Vom Ende des Vertrauten

Zwei Brüder werden zu Waisen, ein an sich schon schwer zu verdauender Schicksalsschlag. Blöd nur, wenn dir so etwas in einer von Barbarenhorden bevölkerten Welt widerfährt und dein Vater einer der letzten Menschen war, die noch lesen und schreiben konnten. Der italienische Autor Gipi erzählt in „Die Welt der Söhne“ vom Ende vertrauter Lebensweisen. In bedrückenden Schwarzweiß-Schraffuren stehen sich langsam herausschälende Details für die Entwicklung der Charaktere in dieser düsteren Parabel auf aussterbende Kulturtechniken wie Lesen oder Schreiben. Dass Horden marodierender und ungebildeter Menschen in einer zu weiten Teilen von Süßwassersümpfen bedeckten und daher oft nur mit Booten zu durchquerenden Welt ihr Unwesen treiben, gehorcht zwar etwas zu sehr dem Klischee postapokalyptischer Darstellungen, mag aber der Wichtigkeit der Botschaft geschuldet sein, welche Gipi hier unter Einsatz nur weniger Worte geradezu lautmalt. Und visuell ist sie ohnehin derart beeindruckend in Szene gesetzt, dass man in diesem Fall getrost darüber hinwegsehen kann. Oliver Ristau„DIE WELT DER SÖHNE“ VON GIPI, 288 S., SCHWARZ-WEISS, HARDCOVER, ISBN 978-3-945034-80-4, 30 €


Ein Schlag in den Magen

In der österreichischen Umgangssprache steht „Blad“ für „Dick“. Regina Hofers gleichnamiger Comic zeigt eine junge Frau, die unter Essstörungen leidet. Mittels Silhouetten vor dunklen Hinter- und Abgründen arbeitet die Zeichnerin heraus, dass Dicksein in einer auf schlank getrimmten Welt das Allerletzte ist. Oder das Vorletzte, wenn du nicht gerade eine Frau bist. Man möchte kotzen, und viele tun das auch. Die minutiöse Schilderung der Praktiken von Ess-Brech-Süchtigen wirken dann folgerichtig wie ein Schlag in den Magen. Jedoch schafft Hofer es durch ihren stets sympathischen und souveränen Tonfall Mitgefühl beim Leser zu erzeugen, ohne in simple Gefühlsduselei abzurutschen. Das ist auch einem Kunstgriff geschuldet, der auf den ersten Blick scheinbar simpel daher kommt, bei dem sich der Teufel aber im Detail versteckt. Spätestens beim Verweis auf Roboter ist der gedankliche Sprung zum sogenannten „schlanken Management“ nicht mehr weit und zeigt auf, wer noch so alles vom grassierenden Selbstoptimierungswahn profitiert. Oliver Ristau

„BLAD“ VON REGINA HOFER, 120 S., SCHWARZ-WEISS, SOFTCOVER MIT KLAPPENBROSCHUR, ISBN 978-3-903081-22-2, 18 €