Dilemma einer Betriebsratssitzung. Zwischen Bangen, Hoffen und hitziger Diskussion. Kaum eine der Frauen kann sich den Widerstand leisten

Das Theaterhaus Stuttgart bringt das Stück „Sieben Minuten“ auf die Bühne und greift damit ein Thema aus der Arbeitswelt auf – mit Erfolg und Einfühlungsvermögen in das tägliche Drama betrieblicher Mitbestimmung

Das kennt man: Eine Firma wird verkauft. Das neue Management und die Investoren wollen, natürlich nur um den Betrieb zu retten, Arbeitsplätze abbauen, Löhne kürzen, das Übliche.

Während Blanca, die Betriebsratsvorsitzende der betroffenen Textilfabrik, und eine weitere Kollegin darüber mit der Geschäftsleitung verhandeln, warten neun andere Frauen ungeduldig im blassgrünen Betriebsratszimmer auf das Ergebnis; sie gehen von einer Ecke zur anderen; blättern nervös in einer Zeitung, lauern auf Schritte, sie schlagen mit der Hand auf die Tischplatte – die Anspannung muss raus. Die Dauer der Verhandlung verheißt nichts Gutes, die Blicke der Frauen sind voller Sorge. Bis ins Publikum überträgt sich die angespannte Atmosphäre.

Endlich sind die Schritte der beiden Betriebsrätinnen zu hören, sie kommen zurück. Das Angebot des neuen Managements: sieben Minuten weniger Pause für sichere Arbeitsplätze. Erleichterung macht sich breit; die Firma scheint gerettet. Nach Momenten gelöster Stimmung kommen erste Bedenken und unterschiedliche Ansichten auf. Noch muss der Betriebsrat der Pausenkürzung formal zustimmen. Um einen diskussionserprobten Tisch werden für die Betriebsratssitzung elf Stühle zusammengerückt, elf Frauen, elf Schicksale. Eigentlich scheint alles klar; eine deutliche Mehrheit wird dem Wunsch der neuen Eigentümer als dem kleineren Übel zustimmen. Das schmale Fenster im Bühnenraum ist so vergittert wie die Verhandlungsbasis der Frauen.

Es ist schon eine Herausforderung, eine Betriebsratssitzung auf die Theaterbühne zu bringen. Wie kriegt man da Pepp rein, wodurch wird es spannend, wie hält man das Publikum am oft als spröde empfundenen Stoff? Regisseur Werner Schretzmeier hat es geschafft, seine „Sieben Minuten“ sind spannend, unterhaltsam und packend aktuell: „Der Originaltext des Autors Stefano Massini spielt in einem italienischen Textilbetrieb, mit all den betrieblichen Realitäten, die in Italien üblich sind. Wir wollten, dass das Stück in Deutschland spielt, und dass ein spannendes Finale den Abend beschließt“, erzählt er.

Elf Frauen, zehn Kulturen

Das Ensemble aus elf Schauspielerinnen hat Schretzmeier bewusst für dieses Stück zusammengestellt. Als „beglückend“, beschreibt der Regisseur die Arbeit mit dem Ensemble. Die Frauen kommen aus zehn unterschiedlichen Ländern und Kulturen, was der Wirklichkeit am Arbeitsplatz in einer Fabrik entspricht. Sogar die 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtete Eman Dwagy konnte für die starke Rolle der Kurdin Samra gewonnen werden.

Die Frauen auf der Bühne haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, eine Entscheidung muss her. Ihr Leben lässt ihnen keine Wahl: „Eine Kürzung des Lohns wäre noch schlimmer. Dann könnte ich die Betreuung meiner Kinder nicht mehr finanzieren“, schreit eine jener Kollegin entgegen, die, schon am Businessanzug erkennbar, in der bessergestellten Verwaltung arbeitet. Aufregung liegt in der Luft. Leidenschaftlich versucht eine Kollegin den anderen zu vermitteln, dass es hier um eine Grundsatzfrage gehe und jeder Kompromiss ein Einfallstor für weitere Kürzungen sei. Denn „gibt man denen erst einen Finger, dann wollen sie die ganze Hand“. Andere finden, dass die verbleibenden acht Minuten nicht wirklich ausreichen, um sich von dem Lärm der Webstühle zu erholen – Kostproben des tosenden Maschinenkrachs werden bei jeder Türöffnung eingespielt und dringen in den Theatersaal. Einige der Frauen hingegen halten die sieben Minuten für keine große Sache. Die Meinungen, die persönlichen Empfindungen, sie gehen durcheinander, es ist ein Auf und Ab der Emotionen. Und man kann es fühlen, auch das Publikum schwankt. Letztlich haben alle Frauen aus ihrer persönlichen Situation heraus gute Gründe, der Forderung der „Krawatten“, wie die Manager von den Frauen genannt werden, zähneknirschend nachzugeben.

Nur die Vorsitzende Blanca, sichtlich enttäuscht vom Einknicken ihrer Kolleginnen, hat „so ein Bauchgefühl“. Mit dem Rücken an der Wand steht sie ihren Kolleginnen allein gegenüber – eine Konstellation, die an das Kammerspiel des Films „Die zwölf Geschworenen“ erinnern soll. Auch hier muss sich die einzelne Stimme eines Andersdenkenden Gehör gegenüber einer Mehrheit verschaffen. Das Bauchgefühl sagt ihr, dass sich aus den sieben Minuten weitere negative Folgen entwickeln können, nicht nur für ihren Betrieb. Doch ein Sturm der Entrüstung ihrer Kolleginnen lässt sie zweifeln. Sie schwankt, grübelt – aber sie bleibt bei ihrer Meinung und wird der Pausenkürzung nicht zustimmen.

Die Mehrheit überzeugen

Spannend wie ein Krimi ist diese Betriebsratssitzung – nicht zuletzt weil die unterschiedlichen Stimmungen und differenzierten Meinungen mit einer tollen schauspielerischen Leistung überzeugend auf die Bühne gebracht werden. Schnell empfindet man sich gar nicht mehr als Zuschauer, man ist herausgefordert, mit Beifall, mit Zwischenrufen in dieses Ringen um die richtige Entscheidung einzugreifen; wirklich packend, was sich da auf der Bühne abspielt.

Gegen Ende der turbulenten Sitzung schlägt die Stimmung um. Die Kollegin aus der Buchhaltung wirft ein, dass diese sieben Pausen-Minuten im Grunde sieben Minuten mehr Arbeit bedeuten. Denn „was passiert, wenn in allen Betrieben sieben Minuten länger gearbeitet wird?“, spinnt eine andere Frau diesen Faden weiter. Schnell überschlagen die Frauen, dass diese sieben Minuten für den gesamten Betrieb eine Einsparung von 1.000 Arbeitsstunden im Monat ergeben. Das sind sechs Arbeitsplätze – die entweder mehr Produktion bringen oder auf Dauer nicht mehr besetzt werden.

Diese Rechnung elektrisiert: Was passiert, wenn in anderen Firmen genauso verfahren wird? Wo soll das enden? Die Frauen zerreißt es immer mehr zwischen persönlicher Betroffenheit und dem Erkennen von Zusammenhängen.

Und trotzdem: Eine knappe Mehrheit entscheidet, die Verkürzung der Pause um sieben Minuten hinzunehmen.

Die Krawatte zieht sich zu

Blanca, deren Argumente sich nicht durchsetzen konnten, muss der Geschäftsleitung dieses Ergebnis mitteilen. Sie greift zum Telefon, der Sprecher der neuen Eigentümer bedankt sich – bittet aber auch gleich um Entschuldigung und Verständnis. Ihnen sei ein Missverständnis unterlaufen, denn der Effizienz halber müssten es eigentlich neun Minuten sein. Das Management zieht die Krawatte noch fester zu.

Das Theaterstück „Sieben Minuten“ macht die Verschlingung zwischen persönlicher Situation und betrieblichen, letztlich volkswirtschaftlichen Bedingungen erlebbar. Und es wird höchste Zeit, dass mehr Theater verstärkt den betrieblichen Alltag auf die Bühne bringen. Wie es gehen kann, zeigt Regisseur Schretzmeier. Ein auf den ersten Blick dröger Stoff wird hier spannend und unterhaltsam inszeniert und auf seinen gesellschaftspolitischen Kern zugespitzt – eine herausragende Leistung aller Beteiligten. Belohnt wurde sie inzwischen mit einer Nominierung für den Monica-Bleibtreu-Preis in der Kategorie „Zeitgenössisches Drama“ bei den Hamburger Privattheatertagen 2018.

Sieben Minuten

von Stefana Massini, Deutsch von Sabine Heymann

Regie: Werner Schretzmeier

Bühnenbild: Gudrun Schretzmeier

Mit: Fermesk Abdolrahman, Magda Agudelo Moreno, Dahab Borke, Àngels Capell, Eman Dwagy, Jeiny Cortés, Thuraya Sami Qashanna, Karmela Shako, Larissa Ivleva, Katerina Papandreou, Katja Schmidt-Oehm, Stephan Moos und Yavuz Köroglu

Wo: Theaterhaus – T3, Siemensstraße 11, 70469 Stuttgart

Wann: Samstag 21.7.2018, und Sonntag 22.7.2018

Weitere Aufführungen und Reservierungen unter www.theaterhaus.com