Demokratie mit Einschränkungen: Zwar findet, wie es das Gesetz vorsieht, am 7. und 28. Oktober die Präsidentschaftswahl in Brasilien statt, neu bestimmt werden im Superwahljahr auch der Kongress sowie die Gouverneure und die Abgeordneten der Parlamente in den Bundesstaaten. Doch der Favorit für die Präsidentschaftswahl, Lula da Silva von der Arbeiterpartei PT, sitzt seit Anfang April in Curitiba im Gefängnis. Wegen angeblicher Korruption war der frühere Gewerkschaftsführer und ehemalige Präsident – von 2003 bis 2010 – ohne Beweise zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden.

Lulas Popularität ist weit größer als die der anderen Aspiranten auf das höchste Staatsamt. Während in der PT-Ära Millionen aus dem Elend befreit wurden, hat die Regierung des amtierenden Staatschefs Michel Temer seit 2016 mit neoliberalen „Reformen“ eine Schneise der sozialen Verwüstung gezogen. Installiert wurde die Temer-Regierung durch einen „kalten Putsch“ im Kongress gegen Lulas 2014 gewählte Nachfolgerin Dilma Rousseff. Temer ist bei der Bevölkerung durch, tritt gar nicht erst zur Wahl an. Dessen Kurs fortsetzen wollen zwei Männer des Großkapitals, Geraldo Alckmin und Henrique Meirelles. Auch sie zählen zur traditionellen Politikerkaste, von der viele nichts mehr wissen wollen. Doch Brasilien könnte noch weit Schlimmeres blühen. Der ultrarechte Jair Bolsonaro hat Aussichten, die Stichwahl zu erreichen. Bolsonaro lobt Diktatur und Folter, mordenden Polizisten möchte der Exmilitär Orden verleihen. Bei einem Wahlkampfauftritt in Acre Anfang September verkündete er: „Wir werden die PT-Bande abknallen.“

Marsch für Lulas Freiheit

Die Arbeiterpartei hält unverrückbar an Lula fest. Zur Registrierung des Gefangenen als ihren Präsidentschaftskandidaten am 15. August kamen Zehntausende zu einer Kundgebung vor der Wahlbehörde im Zentrum der Hauptstadt Brasília zusammen. Die Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (MST) beteiligte sich mit einem „Nationalen Marsch: Freiheit für Lula“. Doch am 31. August kassierte das Wahlgericht Lulas Kandidatur. Die Entscheidung stützt sich auf ein Gesetz, das Politiker mit schwarzer Weste – wovon es in Brasilien mehr als genug gibt – von Ämtern fernhalten soll.

In der Vergangenheit wurden, wenn wie im Fall Lula noch nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren, immer wieder Ausnahmen gemacht. Das Gericht setzte sich über eine Entscheidung der UN-Menschenrechtskommission hinweg, die von Brasilien fordert, den internationalen Zivilpakt einzuhalten und die politischen Rechte Lulas zu garantieren. Seine Verteidiger wollten gegen den Ausschluss von der Wahl Berufung einlegen, die PT versprach, für Lula „bis zum Ende zu kämpfen“.

Die Arbeiterpartei und ihre Verbündeten ringen um jede Lula-Stimme. Als „Lulas Kandidat“ hält sich der Ex-Bürgermeister von São Paulo, Fernando Haddad, bereit. Vizepräsidentin in einer PT-geführten Regierung würde die Kommunistin Manuela d ́Ávila, Abgeordnete im Bundesstaat Rio Grande do Sul. Das Lula-Wahlprogramm verspricht eine „demokratische Neugründung von Brasilien“. Seit 2016 erlassene Gesetze, die sich gegen die Arbeitenden richten, sollen rückgängig gemacht werden.

Zählen kann die Linke auf die Unterstützung der CUT, der größten Gewerkschaft Lateinamerikas. Im August vor 35 Jahren wurde sie auf dem „1. Nationalen Kongress der Arbeiterklasse“ nahe São Paulo gegründet. Damals ging es gegen die Militärdiktatur, die das Land bis 1985 im Griff hatte. Heute geht es darum, den Vormarsch der Ewiggestrigen zu stoppen. Der CUT-Vorsitzende Vagner Freitas spricht vom 7. Oktober als einem entscheidenden Datum: „Am Wahltag werden wir die Demokratie auf den Straßen verteidigen.“ Peter Steiniger