Die vor zehn Jahren von ver.di gestartete Initiative „Gute Arbeit“ setzt auf Beteiligung der Beschäftigten und führt regelmäßig Befragungen durch. Charly Brandl, ver.di-Bereichsleiter Innovation und Gute Arbeit, zu den Erfolgen und künftigen Aufgaben der Initiative:

VER.DI PUBLIK: Wie kam es zum Start der ver.di-Initiative Gute Arbeit vor zehn Jahren?

CHARLY BRANDL: Am Ausgangspunkt stand das damalige sozialpolitische und wirtschaftliche Klima in der Bundesrepublik. Die Zeit war geprägt von der Agenda 2010, von den Hartz-Gesetzen und neoliberalen Parolen wie: Sozial ist, was Arbeit schafft. Die Gewerkschaften organisierten Widerstand gegen diesen Neoliberalismus und starteten die Initiative Gute Arbeit mit dem Anspruch, die Vorstellungen der Beschäftigten von den qualitativen Bedingungen der Arbeit zum Maßstab zu machen. Wer sonst könnte die Deutungshoheit über die Arbeitsbedingungen haben, wenn nicht sie? Das war auch der Anfang des DGB-Index Gute Arbeit.

VER.DI PUBLIK: Auf welche Probleme ist die Initiative gestoßen?

BRANDL: Die Widerstände gegen sie waren groß, kamen von den Arbeitgebern, Wirtschaftsverbänden, aber auch aus Kreisen, wo manche meinten, dass die Gewerkschaften wohl am besten wüssten, was gut für die Arbeitnehmer/innen sei. Dank beharrlichen Einsatzes und sichtbarer Erfolge setzte sich die Einsicht durch, dass die Beteiligung der Beschäftigten, ihr Urteil und ihre Ideen der beste Weg zu Guter Arbeit sind.

Charly Brandl

VER.DI PUBLIK: Welche Beispiele für Verbesserungen im Sinne Guter Arbeit ragen heraus?

BRANDL: Spontan fallen mir die tariflichen Regelungen bei der Deutschen Telekom zur Flexibilisierung der Arbeitszeit ein. Ohne Beschäftigtenbefragung wären wir wohl davon ausgegangen, dass die Kolleg/innen so wenig flexible Arbeitszeiten wie möglich wünschen. Doch das stimmte nicht. Die Telekom-Beschäftigten wünschten sich mehr Flexibilität – aber in einem geregelten Rahmen. Und so konnten wir als Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber Telekom im Sinne der Arbeitnehmer/innen verhandeln, indem wir etwa Lebensarbeitszeitkonten vereinbarten, Regeln für mobiles Arbeiten, regelmäßige psychische Gefährdungsbeurteilungen und anderes mehr. Ein anderes gelungenes Beispiel ist die Aktivierung von Hamburger Beschäftigten des Einzel- wie auch des Groß- und Außenhandels nach einer Beschäftigtenbefragung 2012. Die kam so gut an, dass die darauffolgende Tarifauseinandersetzung 2013 zur erfolgreichsten seit vielen Jahren wurde. Aber auch in jüngster Vergangenheit ist der Handel neue Wege hin zu Guter Arbeit gegangen: Bei der Textilkette Primark wurde ein erster Tarifvertrag zu gesundheitsförderlicher Führung abgeschlossen.

VER.DI PUBLIK: Hat die Initiative rückblickend den richtigen Weg beschritten?

BRANDL: Es war und ist der richtige Weg, die Beschäftigten in den Mittelpunkt zu stellen und den Wandel von der Versorgungs- zur Mitmachgewerkschaft konsequent fortzusetzen. Erfreulicherweise sind wir beim Einkommen und der Arbeitsplatzsicherheit auch punktuell weitergekommen. Doch die durchschnittliche Arbeitsqualität hat sich seit Einführung des DGB-Index Gute Arbeit nur geringfügig verbessert. Und neue große Aufgaben stehen mit der zunehmenden Digitalisierung bereits bevor.

VER.DI PUBLIK: Wie reagiert ver.di da?

BRANDL: Schon seit 2014 gibt es die ver.di-Leitlinien für gute digitale Arbeit und erste Erfolge durch qualitative Tarifverträge in den unterschiedlichsten Branchen. In den Betrieben und Konzernen führen wir auch heute schon an vielen Stellen Abwehrkämpfe gegen die negativen Auswirkungen der Digitalisierung, etwa bei Amazon, wo die Automatisierung in den Warenlagern rasant ausgebaut wird. Wie vor zehn Jahren brauchen wir nun wieder eine große Debatte über das Thema Gute Arbeit, vor allem in Zeiten der Wirtschaft 4.0. Wir müssen über neue Beteiligungsansätze angesichts der voranschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt reden. Fest steht: Es lohnt sich, für Gute Arbeit weiter zu kämpfen!

INTERVIEW: Gudrun Giese