Bis heute gut erhalten – die Altstadt von Ferrara

50 Kilometer nördlich von Bologna liegt eine der wenigen italienischen Städte, die nicht von den Römern erbaut wurde. Ferrara entstand erst im Mittelalter unter tatkräftiger Mithilfe des Flusses Po, der sich südöstlich weiter in der Ebene verliert und schließlich in die Adria mündet. Damals floss der stolze Fluss noch direkt an Ferrara vorbei, machte sich aber schon im Jahr 1155 selbstständig und bahnte sich weiter nördlich einen neuen Weg, während das stadtnahe Flussbett verdorrte.

Im Gegensatz zur Stadt selbst, deren planvolle Entwicklung im 14. Jahrhundert schnell zu ungeahnter Blüte führte. Nördlich der verwinkelten Altstadt wurden erstmals breite Straßen und Alleen angelegt, samt dem Castello Estense. In dieser steinernen Wasserburg im Stadtzentrum hatte es sich 200 Jahre lang die herzogliche Familie D’Este mitsamt ihrer Kunstsammlung gemütlich gemacht.

Bis ins letzte uneheliche Glied lässt sich der adlige Groß-Clan auf meterhohen Portrait-Teppichen bewundern. Die dicken Mauern dienten ihrem Schutz vor renitenten Venezianern und Bürgern, denen die Steuerlast zu viel wurde. Für nicht wenige von ihnen endete der Protest gegen die Abgaben in einem der Verliese im Keller des Castellos.

Hatte schon der Krieg gegen Venedig zu Wohlstand geführt, brachte die Stadt eine weitere Maßnahme maßgeblich nach vorne: die Einladung an vertriebene sephardische Juden aus Spanien und Portugal ab 1536. Sie löste eine Migrationswelle aus, die Ferrara weiteren Aufschwung in Handel und Wohlstand brachte und die Stadt zu einem Mittelpunkt jüdischen Lebens in Norditalien machten. Noch in den 1920er Jahren zählte die jüdische Gemeinde rund tausend Mitglieder. Nach dem zweiten Weltkrieg kam nur einer von ihnen zurück.

Erst blühende Kultur, dann Ghetto

Quert man vom Castello Estense in südlicher Richtung die Piazzetta del Castello, steht man im ehemaligen jüdischen Viertel. Schon nach der Vertreibung der Familie D’Este 1593 wurde es für die Juden zum Ghetto. Unter den Augen der mächtigen katholischen Kirche und der Stadtmacht im Schloss blieben ihnen nur mehr drei winzige Sträßlein, in denen sie eingeschränkt leben und arbeiten durften. Heute ist die Via Mazzini eine kleine Geschäftsstraße. Nichts außer der alten Synagoge erinnert dort an die einst blühende Gemeinde. Sie wurde 2012 stark von einem Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen und nun frisch renoviert für Besucher wiedereröffnet.

Schriftsteller Giorgio Bassani

Die zwei angrenzenden Straßen des jüdischen Viertels sind enge Gässchen aus altem Backstein und Kopfsteinpflaster, die still in der Mittagshitze liegen. Eine davon stößt an ihrem Ende an die historische Stadtmauer, wo die Fenster des letzten Hauses noch heute zugemauert sind: Nicht nur sollte niemand die Juden sehen. Auch ihnen selbst wurde der Blick aus dem Fenster verwehrt.

Wie radikal die jüdische Gemeinde durch die Faschisten vernichtet wurde, sieht man bestürzt auf dem jüdischen Friedhof. Hier pflegt die 81-jährige Mara Pazzi seit 30 Jahren Garten und Gräber. Es sind verwitterte, alte Grabsteine, die zwischen hohen Gräsern zu finden sind. Viele Besucher haben hier ein genaues Ziel. So wie Samuel Moyn, Professor aus New Haven, USA. Der schlanke Mann mit Kippa befindet sich auf einer literarischen Pilgerschaft durch Europas jüdische Gemeinden und sucht das Grab des verehrten Giorgio Bassani. Dem Schriftsteller, der den Juden von Ferrara mit dem Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Die stiefmütterliche Lage des Grabs zeugt von einem bis heute zwiespältigen Verhältnis. Bassani gehörte damals selbst zum modernen und völlig integrierten jüdischen Bürgertum der Stadt. Sie wähnten sich als Teil der bürgerlichen Gesellschaft, einige waren sogar Mitglied der Nationalen Faschistischen Partei. Die grausame Überraschung kam in der „Nacht des Jahres 1943“, eine Gedenktafel an der Schlossmauer erinnert an das Massaker. 12 Juden wurden gleich dort erschossen, der Rest der Gemeinde wurde nach Hitlers Aufforderung von Mussolini an die Deutschen ausgeliefert.

Um sie der Vergessenheit zu entreißen, hat es sich das neue Nationalmuseum des italienischen Judentums und der Shoah zur Aufgabe gemacht, Geschichte und Kultur des italienischen Judentums zu erzählen. Es liegt in der Nähe des Friedhofs am Ende der Via delle Vigne und ist im ehemaligen Gefängnis der Stadt untergebracht. Dort musste auch der Antifaschist Bassani einsitzen. Moderne Anbauten sind teils bereits realisiert, andere geplant. Hat man Glück, gibt es gerade eine Veranstaltung oder Lesung. Dann findet hier aus der Umgebung eine jeweils neu gewürfelte jüdische Gemeinde zusammen. Und sei es nur, um lebhaft die Zukunft der Vergangenheit zu diskutieren. Schlafen und Essen auf der Farm: http://principessapio.com/en/home-en

Gut essen in Ferrara: www.trattoriadanoemi.it