Dreharbeiten zu Babylon Berlin – beim Film wird um jede*n Mitarbeiter*in gerangelt

Die Berlinale im Februar ist der jährliche Treffpunkt der deutschen Filmbranche. Auch wenn hierzulande immer mehr Filme produziert werden, deutet sich eine Krise an. Produzenten beklagen einen Nachwuchsmangel in den meisten Gewerken der Filmherstellung. Die Arbeitsbedingungen für Filmschaffende spielen hierbei eine entscheidende Rolle.Das Produktionsvolumen von Filmen hat sich in Deutschland erhöht. Dies hängt nicht nur mit der Aufstockung des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) von 50 auf 75 Millionen Euro durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU, zusammen. Es liegt auch an Amazon, Netflix & Co. Nach Erfolgen wie „Babylon Berlin“ und „Das Boot“ plant der Bezahlsender Sky eine Offensive: sechs Serien im Jahr. Und Netflix produziert nach „Dark“ und „Dogs of Berlin“ dieses Jahr seine dritte Serie in Deutschland.

Der Nachwuchs fehlt

Die vielen Seriendrehs binden Filmschaffende über einen langen Zeitraum. Die Verbliebenen reichen für die Spielfilme nicht mehr aus und setzen die Personalplanung vor allem der mittelgroßen Produktionsfirmen mächtig unter Druck. Sie sind es, die die meist 90-minütigen Kino- und Fernsehfilme herstellen, letztere auch im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender. Die Firmen drehen meist zwei bis drei Filme pro Jahr und rekrutieren ihr Personal sowohl für das Filmset am Drehort, als auch fürs Büro unter den vielen Freiberuflern in der Branche. Einige aus dem Stab arbeiten als Selbstständige auf Rechnung, so die Szenenbildner*innen, andere werden, wie zum Beispiel Tonangler*innen, nur für die Drehzeit angestellt. Beschäftigte aus dem Produktionsbüro fangen vorbereitend meist zwei Monate vor dem Dreh an. Zu diesen Berufen gehören die Produktionsleitung, die Erste Aufnahmeleitung und die Filmgeschäftsführung. Idealerweise stehen den Beschäftigten Assistent*innen zur Seite. Und gerade an denen mangelt es. Besonders am wichtigen Branchenstandort Köln macht sich dies bemerkbar.

Set-Requisite verzweifelt

Ingo Weerts von der ver.di FilmUnion vertritt die Interessen aller film- und fernsehschaffenden Gewerkschaftsmitglieder in Köln. „Die Lage ist hier sehr angespannt. Es fehlen Assistenten, und das ist ein hausgemachtes Problem der Produzenten.“ Warum? Unter den Gewerken der Filmschaffenden gibt es nur wenige Ausbildungsberufe. Es sind vor allem Quereinsteiger, fasziniert vom Medium Film, die sich bis vor einigen Jahren mit zwei Praktika, fünf Assistenzen über etwa vier bis fünf Jahre bis zu ihrem Beruf hochgearbeitet haben. Seitdem auch für Praktikanten der Mindestlohn gilt, sparen viele Produzenten und besetzen zu wenige Praktikumsstellen. Deshalb verzweifelt heute zum Beispiel die Set-Requisite, weil ihnen kaum noch Assistent*innen für ihre Arbeit zur Verfügung stehen.Wenn Firmen kein Personal mehr finden, wenden sie sich an die Plattform „crew united“ und die ZAV-Künstlervermittlung der Agentur für Arbeit. Sybille Steinfartz von der ZAV in Köln sagt: „Bei uns geht es weit über den Nachwuchsmangel hinaus. Ich habe bereits im Januar einige solcher Anfragen erhalten: Vier-Millionen-Projekt sucht Produktionsleiter ab sofort!“ Und dies betreffe noch weitere Berufe, die insbesondere in der rund zweimonatigen Vorbereitungszeit eines Drehs gefragt sind: Filmgeschäftsführung, erste, zweite sowie Motivaufnahmeleitung und Regieassistenz. Da in letzter Zeit vermehrt Historienfilme gedreht werden, herrsche auch Mangel im Kostümbildbereich.

Wo ist der Glamour hin?

In Berlin hat sich der Mangel an Nachwuchs noch nicht bemerkbar gemacht, auch weil Filmschaffende aus dem Ausland in die Stadt ziehen. In München und Hamburg scheint es sich laut FilmUnion in den kommenden Jahren in eine ähnliche Richtung wie in Köln zu entwickeln. Die Lage in Köln lässt auf einen durch die Produktionsfirmen selbst verursachten Fachkräftemangel schließen. „Es trifft den Nagel nicht richtig auf den Kopf. Es ist auch ein Generationenproblem“, meint Bernhard Speck, Vorstand des Bundesverbands Produktion (BvP). Der Verband vertritt die Interessen der Filmschaffenden im Bereich Produktion, also jene, die den Dreh im Büro vorbereiten und begleiten. „Nach der Generation Praktikum kommen jetzt junge Leute, die von der fehlenden Work-Life-Balance beim Film reden. Das können unsere Berufe einfach nicht bieten“, so Speck. Hört man sich in der Branche um, meinen viele, die Arbeit beim Film habe für junge Leute ihren Glamour verloren. Sie überlegen sich genau, ob sie sich auf Berufe einlassen, deren Wochen- oder Tagesgagen oft unter Tarif liegen. ver.di konnte mit der Allianz der deutschen Produzenten zuletzt 2018 eine Begrenzung der Tageshöchstarbeitszeit auf zwölf Stunden pro Drehtag verhandeln. Auch die wird von Firmen oft umgangen.

Arbeitsverdichtung am Set

Bernhard Speck vom BvP stellt fest, dass erfahrene und gut bezahlte Filmschaffende mitunter nach zwanzig Jahren im Beruf aussteigen. So gingen Filmgeschäftsführer, verantwortlich für die Buchhaltung, in Steuerkanzleien. Michael S. ist Erster Aufnahmeleiter aus Köln und schon seit 18 Jahren im Geschäft. Er hat beschlossen, kaum noch Spielfilme zu drehen, solange sich die Arbeitsbedingungen nicht änderten. Der Nachwuchsmangel habe unter anderem nach sich gezogen, dass heute zu wenig qualifiziertes Personal am Set arbeite. Das habe für alle Gewerke zu einer sehr hohen Arbeitsverdichtung geführt. An den Gagen liege es nicht, so S., die seien für die Ersten Aufnahmeleiter recht passabel. „Allerdings gibt es bisher so gut wie keine Mehrarbeitsvergütung. Hinzu kommt, dass unsere Vorbereitungszeit immer kürzer wird und gerade für unseren Beruf die Verantwortungsbereiche nicht eindeutig definiert sind.“

Qualifizierung und Weiterbildung verbessern

Es müsse, sagt S., was die Angebote zur Aus- und Weiterbildung betreffe, ein branchenübergreifendes Konzept entwickelt werden. So könne der Beruf für Neueinsteiger wieder interessant werden. In dem Fall wären auch die öffentlichen Filmförderungen gefragt. „Wir bemängeln, dass die Bundesfilmförderung in der Filmförderungsanstalt, FFA, die Weiterbildungsförderung sogar abgeschafft hat, statt sie auszubauen“, sagt Matthias von Fintel vom ver.di-Bundesfachbereich Medien, Kunst und Industrie. „Wir vertreten die Auffassung, dass gerade im Kinobereich, und damit im internationalen Wettbewerb, in die Qualität und damit Qualifizierung der hiesigen Filmschaffenden investiert werden muss. Wie in anderen Branchen ganz verbreitet, wäre das dann ein Beitrag zur anhaltenden Standortpflege, die auch für weitere Produktion auf internationalem Niveau gebraucht wird. Doch leider wird dies von den Förderern vernachlässigt“, sagt von Fintel.