Wieder einmal sind wir knapp davongekommen. Beinah wäre unsere Freiheit von regulierungswütigen Spielverderbern und Moralaposteln gestohlen worden. Gemeint ist natürlich die speziell deutsche Art von Freiheit, die auf vier Rädern mit 300 PS unter der Haube und uneingeschränkter Geschwindigkeit auf der Autobahn, jenem Wahrzeichen individueller Emanzipation seit, äh, 1933. Erneut planten gleichmacherische Experten, das Tempolimit aus der Mottenkiste zu holen. Zum Glück war die BILD da, um die Wehklage des kleinen Pendlers zu intonieren: „Was haben wir Autofahrer euch angetan?“ Dass freie Fahrt ein Wesensattribut des freien Bürgers ist, dürfte doch allen seit 45 Jahren bewusst sein, als der erste Versuch scheiterte, den nationalen Rasanzrausch zu unterbinden. Und man komme nicht mit der Ausrede, ein Tempolimit gebe es in allen übrigen Ländern. Gerade der Ausnahmefall ist das bescheidene Privileg, dass wir uns in einem durch und durch reglementierten Leben noch gönnen dürfen. Überall liegt das Volk in Ketten, allein auf der Überholspur darf es ganz es selbst sein. Freilich nicht das gesamte Volk, daher der Sozialneid der Bremser, deren Wunsch nach Bestrafung der Schnelleren ihrer Empörung gegen die steuerflüchtigen Reichen entspricht. Allerdings sind die Deutschen anders geschaffen als die Schwächlinge aus dem Ausland. Das haben die Hundert Lungenfachärzte unmissverständlich belegt, die entgegen der Meinung all ihrer internationalen Kollegen die Unschädlichkeit von Stickstoff für unsere Mitbürger bekräftigten. Und überhaupt: Was wiegen Gesundheitsschäden, Verkehrstote, Klimaerwärmung und sonstige Sentimentalitäten gegenüber unserer sakrosankten Freiheit? Schließlich müssen den Autofetischisten selbst ihre hartnäckigsten Gegner mindestens in einem Punkt recht geben: Was wäre heute die Alternative? In einem verspäteten, überfüllten ICE mit defekter Klimaanlage zu sitzen, der aufgrund einer Signalstörung mitten in der Pampa stecken bleibt? Solange die Deutsche Bahn AG von Kamikazen geführt wird, ist die Zukunft des Autofahrens sicher. Guillaume Paoli