Ausgabe 02/2019
Mehr Kontrollen wären gut
Horst Riesenberg-Mordeja
Schwere Lasten bei der Paketzustellung, der Umgang mit infizierten Spritzen im Krankenhaus oder auch unzufriedene und wütende Bürger*innen im Amt, das sind allesamt Arbeitssituationen, die die Gesundheit gefährden oder zu Unfällen führen können. ver.di publik hat Horst Riesenberg-Mordeja, der bei ver.di für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zuständig ist, gefragt, wie sich gesundheitliche Risiken am Arbeitsplatz vermeiden oder zumindest verringern lassen.ver.di-Publik: Was ist der Unterschied zwischen Arbeits- und Gesundheitsschutz?Horst Riesenberg-Mordeja: Unter den Arbeitsschutz fallen die mitbestimmten Regelungen, die sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ableiten, beispielsweise zum Schutz vor Lärm, Gefahrstoffen und Unfällen. Gesundheitsschutz umfasst auch betrieblich relevante Regelungen, etwa zum Gesundheitsmanagement. Davon abzugrenzen ist die individuelle Gesundheitsförderung, beispielsweise mit Kursen zur Rückenschule oder zur Raucherentwöhnung.ver.di-Publik: 2017 hat es bundesweit 451 tödliche Arbeitsunfälle – vorwiegend auf dem Bau – gegeben. Hat der Arbeitsschutz versagt?Riesenberg-Mordeja: Sicher nicht der Arbeitsschutz. Hauptproblem sind zu wenige Betriebskontrollen, die wiederum ursächlich mit Personalmangel zu tun haben. Im Durchschnitt wird jeder Betrieb nur alle zwanzig Jahre von der Gewerbeaufsicht kontrolliert – die großen eher häufiger, die kleinen seltener.ver.di-Publik: Wer kontrolliert denn die Betriebe auf Einhaltung der Regelungen zum Arbeitsschutz?Riesenberg-Mordeja: Zuständig sind die Unfallversicherungen, also Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, und die Gewerbeaufsichtsämter, wobei letztere allein für die Einhaltung von Mutterschutz, Jugendschutz sowie Arbeitszeitregelungen sorgen sollen. Doch gerade bei der Gewerbeaufsicht fehlt es massiv an Personal. Die Unfallversicherungen sind besser ausgestattet, sie haben aber noch zusätzliche beratende Aufgaben. ver.di-Publik: Nützen die Kontrollen zum Arbeitsschutz denn?Riesenberg-Mordeja: Tatsächlich haben allein Betriebsbegehungen schon erhebliche Effekte. Oftmals reicht es, einen weiteren Besuch anzukündigen, bei dem nachgeschaut wird, ob die gefundenen Mängel abgestellt sind, um entsprechende Nachbesserungen zu bewirken. Allerdings gibt es auch hartnäckige Verweigerer, denen nur mit Sanktionen beizukommen ist. Doch Anordnungen und Bußgelder werden nur zaghaft genutzt. Die Durchschnittshöhe der Geldbußen ist zu gering, um Änderungen zu erreichen – das hat auch eine umfassende Auswertung des Arbeitsschutzes in Deutschland durch einen EU-Ausschuss mit Aufsichtsbeamten ergeben. Insgesamt stellten die Inspektoren fest, dass das duale, aus staatlicher Aufsicht und Unfallversicherungen bestehende System im Arbeitsschutz in Deutschland positiv zu bewerten ist. Die Gesetze und Regelungen seien gut, doch es gebe – gerade wegen des Personalmangels – ein Vollzugsdefizit.ver.di-Publik: Welche besonderen Belastungen gibt es in den Dienstleistungsberufen?Riesenberg-Mordeja: Das Spektrum ist sehr groß: Paketzusteller etwa sind hohen körperlichen Belastungen ausgesetzt, weil sie schwer heben, und das oft aus ungünstigen Haltungen heraus. Aber auch in der Müllabfuhr, im Großhandel und in Pflegeeinrichtungen sind die physischen Belastungen enorm. Daneben rücken in vielen Dienstleistungsberufen aber auch die psychischen Belastungen in den Fokus – vor allem dort, wo Kundenkontakte, generell die Interaktion mit Menschen zur Arbeit gehören. Oft müssen wir feststellen, dass die Arbeitsverdichtung durch Personalmangel die psychischen Belastungen noch verschärfen.ver.di-Publik: Stichwort physische und psychische Gefährdungen: Nahezu in jedem zweiten Betrieb fehlt eine vollständige Gefährdungsbeurteilung, obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben ist. Was ist zu tun?Riesenberg-Mordeja: Auch hier sollten die möglichen Sanktionen öfter gegen Arbeitgeber eingesetzt werden, die die Gefährdungsbeurteilung verweigern. Vor allem in Kleinbetrieben hapert es am Willen zur vollständigen Gefährdungsbeurteilung – und selbst wenn sie stattgefunden hat, werden die nötigen Verbesserungsmaßnahmen nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Immerhin rund ein Viertel der Betriebe bemüht sich um vollständige Überprüfungen. Dies mit Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung und oft auch unter Einbeziehung der Beschäftigten. Vorgeschrieben ist letzteres nicht, doch in der Praxis bewährt es sich sehr, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am gesamten Prozess der Gefährdungsbeurteilung teilhaben zu lassen. Von einer guten Präventionskultur im Betrieb profitieren letztlich alle.ver.di-Publik: Seit zwei Jahren existiert auch eine neue Arbeitsstättenverordnung. Was ist da jetzt besser geregelt?Riesenberg-Mordeja: Aus Sicht von ver.di ist es wichtig, dass nun auch Telearbeitsplätze miteinbezogen sind. Arbeitgeber müssen Arbeitsplätze im Home-Office auf ihre Sicherheit überprüfen und auf die Einhaltung der Vorgaben achten – allerdings nur einmal bei ihrer Einrichtung. Ich kann allerdings nicht nachvollziehen, warum für Telearbeitsplätze etwas anderes gelten soll als beim Arbeitsplatz im Betrieb.ver.di-Publik: Und wie sieht es mit Regelungen für mobile Arbeit aus?Riesenberg-Mordeja: Die gehören nicht zum Anwendungsbereich der Arbeitsstättenverordnung, und die meisten Arbeitgeber tun so, als ob sie dieser Bereich nichts angehen würde. Positive Ausnahme ist die Telekom, bei der ver.di und die Betriebsräte einen Tarifvertrag und eine Betriebsvereinbarung zum Bereich Mobiles Arbeiten aushandeln konnten. Generell gelten auch für Mobile Arbeit das Arbeitsschutzgesetz, der Versicherungsschutz der Unfallversicherung und die Vorgaben zur Gefährdungsbeurteilung. Interview: Gudrun Giese