Vielen Menschen fällt es immer noch schwer, beim "Amt" eine Sozialleistung zu beantragen, auch wenn ein Anspruch darauf besteht. Das gilt auch bei Pflegebedürftigkeit. Hier springt das Sozialamt bei der Finanzierung stationärer Pflege ein, wenn das eigene Alterseinkommen nicht reicht und wenn auch Kinder und Partner*innen nicht herangezogen werden können. Das baut eine weitere Hürde auf: Die Angst, engen Verwandten finanziell zur Last zu fallen, hält viele davon ab, Hilfe in Anspruch zu nehmen, auch wenn sie dringend nötig wäre. Das Bundeskabinett hat gerade einen Gesetzentwurf verabschiedet, der dafür sorgen soll, dass die Einkommensgrenzen für die Heranziehung naher Angehöriger stark angehoben werden.

Doch wäre es viel sinnvoller, die Finanzierung für eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Pflege zu sichern. ver.di fordert schon seit vielen Jahren eine Pflegevollversicherung. Jüngst hat die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) eine Studie vorgestellt, die wieder einmal belegt, dass der Systemwechsel in der Pflegeversicherung finanzierbar ist. In dem favorisierten Modell sollen die Beiträge zur Pflegeversicherung von allen Bürger*innen solidarisch getragen werden. Zwar kämen auf Versicherte und Arbeitgeber noch Beitragssatzsteigerungen zu, deren Höhe wäre aber moderat. Denn es sollen auch alle Einkommensarten in die Beitragspflicht einbezogen werden und die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung angehoben werden.

Damit könnte aber das bisherige Teilleistungsprinzip durch ein Sachleistungsprinzip ersetzt werden, das aus der gesetzlichen Krankenversicherung bekannt ist. Das bedeutet, dass die Kosten für alle pflegerisch notwendigen Maßnahmen komplett von der Pflegeversicherung übernommen würden. ver.di-Bundesvorstandmitglied Sylvia Bühler sieht in dem Systemwechsel einen weiteren Vorteil. Damit würde "auch das Dilemma beseitigt, dass bei jeder Tariferhöhung der Beschäftigten der Eigenanteil der Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeeinrichtungen steigt", sagt sie. Derzeit führten bessere Arbeitsbedingungen, steigende Löhne sowie eine bedarfsgerechte Personalausstattung in der Altenpflege zu dem Effekt, dass die finanziellen Eigenanteile steigen, die die Pflegebedürftigen beziehungsweise ihre Angehörigen aufbringen müssen.

Im ersten Quartal 2019 lagen die aus eigenen Mittel zu tragenden Kosten für stationäre Pflege bei durchschnittlich 1.874 Euro. Diese Eigenanteile übersteigen bereits heute das Einkommen vieler Pflegebedürftiger. Je nach Region schwankt die Höhe stark.

Für die HBS hat der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang am Beispiel von drei verschiedenen Modellen berechnet, wie das Armutsrisiko durch Pflegebedürftigkeit gesenkt werden kann. Dabei hält Rothgang die Pflegebürger-vollversicherung für das geeignetste Modell. Er kommt zu dem Schluss, dass bis 2060 bei einem Anstieg des Beitragssatzes von rund 0,25 Prozent damit ein nachhaltiger Systemwandel gelingen könne. Auf diesem Weg würde zugleich einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nach einer ausgewogenen Lastenver-teilung Rechnung getragen.

Heike Langenberg

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Die 105-seitige Studie "Die Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung" kann unter