Ausgabe 07/2019
Subventionierte Ausbeutung
"Ich war begeistert, als ich die Arbeit im Königspalast bekam", sagt Lidia. Sie ist 55 Jahre alt und zu 33 Prozent schwerbehindert. Als Aufsichtspersonal im weltbekannten Gebäude Mitten in Madrid, eine schicke Uniform, Morgen- oder Mittagsschicht, mindestens 800 Euro plus Überstunden, das klang für Lidia mehr als verlockend. Doch die Arbeit wurde für die 55-Jährige zum Martyrium. "Wir mussten elf Stunden am Tag arbeiten, ohne Ablösung, mit nur 45 Minuten Pause", sagt Lidia. Ihre Aufgabe: Still in einer Ecke stehen und darauf achten, dass die Besucher*innen nichts anfassen oder mit Blitz fotografieren. Ihr Arbeitgeber war Integra, ein Unternehmen, das Behinderte ins Arbeitsleben integrieren soll.
Lidias Behinderung geht auf eine Blasenkrankheit zurück. "Ich muss einfach öfter aufs Klo als andere", sagt sie. Und darin lag das Problem. Bittend, flehend bat sie über das Sprechfunkgerät immer wieder um Ablösung. Niemand kam. Und dann: "Ich pinkelte mich ein." Nach zehn Tagen ging Lidia zum Arzt, ihre Entlassung kam umgehend. Diana – 38 Prozent Behinderung wegen eines Schlaganfalls – gehörte ebenfalls zu den 61 Integra-Angestellten im Palast. Die 51-Jährige stand Tag für Tag zehn Stunden, weit über 240 Stunden im Monat, in einer Sonderausstellung: "Wir bekamen 545 Euro monatlich statt der versprochen 800." Und Überstunden wurden auch nicht bezahlt. Im Winter sei der Palast kürzer geöffnet, dann würden die Stunden aufgerechnet, wurde ihr gesagt. Einen Vertrag bekam sie erst, als sie gekündigt wurde. "Mir wurde am Anfang mitgeteilt, dass der Vertrag alle sechs Monate verlängert würde. Dann plötzlich waren es nur noch zwei Monate und ich war auf der Straße."
Aus Angst vor einer schwarzen Liste
Diana und Lidia gehören zu einer Gruppe von 16, die den Weg zur Gewerkschaft fanden, um gegen die "miserablen Zustände" im Königshaus vorzugehen. Beide wollen ihren Nachnamen nicht gedruckt sehen – "aus Angst, auf einer schwarzen Liste zu landen und nie wieder Arbeit zu finden". Denn Integra gehöre "einem der einflussreichsten Unternehmer Spaniens", sagt Lidia. Gemeint ist Florentino Pérez, Chef der Holding ACS, einem weitverzweigten Imperium aus Bau- und Dienstleistungsunternehmen – und Präsident von Real Madrid.
Pérez und seine ACS haben sich auf die privatisierten, öffentlichen Dienstleistungen spezialisiert. Über 2,5 Milliarden Euro im Jahr soll die Unternehmensgruppe damit laut der Internet-Nachrichtenseite diario16.com umsetzen. Pérez Firma gewann die Ausschreibung um den Dienstleistungsvertrag im Königspalast. Um mehr Geld herauszuschlagen, wurde Integra unter Vertrag genommen. Als Unternehmen zur Eingliederung von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt bekommt Integra bis zur Hälfte des Mindestlohnes von 900 Euro im Monat vom Staat erstattet.
"Verträge an Subunternehmen wie im Falle des Königspalastes sind illegal", sagt Isabel Galvín von der größten spanischen Gewerkschaft CCOO, an die sich die 16 aus dem Palast gewendet haben. CCOO hat bei der Arbeitsinspektion Anzeige erstattet. "Das ist ein klarer Fall von diskriminierender Behandlung von Menschen mit Behinderung. Das Unternehmen gefährdet nicht nur ihre körperliche Unversehrtheit, sondern verletzt auch ihre Menschenwürde", so Galvín.
Reiner Wandler