01272020-ES_DSC08751c.jpg
Auch die Begrenzung des CO₂-Ausstoßes zählt zu den aktuellen HerausforderungenEckhard Stengel

Konjunkturell und strukturell in einer schwierigen Phase – so beurteilt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung die deutsche Wirtschaft aktuell. Die Gründe dafür seien der schwache Welthandel, anhaltende Handelskonflikte und die Zurückhaltung von Unternehmen bei Investitionen. Immer Anfang des Jahres legen die Forscher*innen ihren Ausblick auf das kommende Jahr vor. Für 2020 gehen sie von einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von lediglich 0,8 Prozent aus.

Zugleich weisen sie darauf hin, dass Deutschland vor großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen steht, die bewältigt werden müssen. Dabei zeichnen die IMK-Forscher*innen ein Spannungsfeld zwischen der Begrenzung des CO₂-Ausstoßes und der Herausforderung, den hohen Lebensstandard im Industrieland Deutschland aufrecht zu erhalten. Schlüsselindustrien müssten sich ebenso verändern wie das Konsumverhalten und die individuelle Mobilität vieler Menschen, heißt es dazu in einer Pressemitteilung des IMK.

Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, geht nicht davon aus, dass Marktprozesse allein für die notwendigen Veränderungen sorgen werden. Eine engagierte Wirtschaftspolitik sei daher wichtiger denn je. "Sie muss nicht nur die richtigen Weichen stellen, sondern Wandel auch über Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur in Gang bringen", sagt Dullien.

Zwar seien das deutsche Klimapaket ebenso wie der Europäische Green Deal der Europäischen Kommission Schritte in die richtige Richtung, sie müssten aber durch eine ökologisch ausgerichtete Geldpolitik der Europäischen Zentralbank unterstützt werden. Die bisher geplanten Investitionen seien zudem zu niedrig und nicht sozial ausgewogen. Dullien fordert außerdem massive Investitionen in technische, ökologische und Bildungs-Infrastruktur; sie verbesserten auch die kurz- und die langfristigen Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft.

Im Herbst vergangenen Jahres hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gemeinsam mit den Arbeitgebern einen Investitionsbedarf von 450 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren in Deutschland errechnet (ver.di publik berichtete). Neuverschuldungen haben beide Seiten zu deren Finanzierung nicht ausgeschlossen. Dullien sagte, dass grundsätzlich eine Neuverschuldung für Investitionen in den Klimaschutz und andere Zukunftsinvestitionen nicht ausgeschlossen werden sollte.

Binnenkonjunktur

Eine wichtige Rolle kommt bei der Stärkung der wirtschaftlichen Leistung der Binnenkonjunktur zu. Dabei spielt die Tarifpolitik eine wichtige Rolle. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat errechnet, dass im vergangenen Jahr die Tariflöhne im Durchschnitt um 3 Prozent gestiegen sind. Nach Abzug des Anstiegs der Verbraucherpreise bleibt ein Reallohnzuwachs von 1,6 Prozent. Damit sei die Tarifpolitik ein wichtiger "Stabilitätsanker", sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten.

Allerdings weist er auch darauf hin, dass die Steigerung in 2019 stärker auf längerfristig angelegte Tarifabschlüsse aus den Vorjahren zurückzuführen sei als auf die in 2019 erreichten. Doch Zurückhaltung ist nicht angesagt. Schulten sagt, dass "weiterhin kräftige Lohnzuwächse dabei helfen, einer möglichen konjunkturellen Eintrübung durch eine Stabilisierung der privaten Konsumnachfrage entgegenzuwirken". In diesem Jahr stehen unter anderem Tarifrunden im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, bei der Telekom und der Deutschen Post an.