Ausgabe 02/2020
Das lässt sich reparieren
Samuel Waldeck löst die letzte Schraube von der Rückseite des Smartphones vor ihm auf dem Tisch, legt das Display vorsichtig beiseite und deutet neben die Platine. "Das hier ist die Kamera, die tausche ich jetzt aus, und dann können Sie wieder Fotos machen", sagt der 41-Jährige. Flink setzt der hagere Mann mit dem gepflegten Vollbart und dem penibel rasierten Schädel die Linse in die Halterung und eine Minute später ist das aus 13 Komponenten bestehende Mobiltelefon wieder zusammengeschraubt. Und funktioniert. "Das kann jeder Laie. Die Reparatur-Anleitungen stehen online, aber es gibt auch ein Reparatur-Team im Haus", sagt Waldeck, der den Besuchern mal eben schnell gezeigt hat, wie sich das "Shiftphone", das er mit entwickelt hat, reparieren lässt. Waldeck ist einer der drei Geschäftsführer von Shiftphone, Deutschlands einzigem Hersteller von Smartphones.
Ihre Geräte sind anders konzipiert als die der Konkurrenz. Nicht verklebt, nicht "verbacken" oder gelötet und dadurch irreparabel, sondern verschraubt, gesteckt und übersichtlich angeordnet. "Wir wollen den mündigen User. Unsere Kunden sollen selbst reparieren und entscheiden können, ob sie die Kamera upgraden, die Ladeeinheit austauschen oder mehr Datenspeicher installieren wollen. All das geht und spart Ressourcen", sagt Waldeck. Fünf, besser noch zehn Jahre soll ein Handy mit dem runden Shift-Logo genutzt werden. Deshalb ist der Akku auch ohne das Lösen einer einzigen Schraube austauschbar.
Nachhaltig, modular und unabhängig
"Meinen Bruder und mich hat es total genervt, dass nach zwei, drei Jahren, wenn die Akkuleistung unserer Smartphones nachließ, wir keine Option hatten, den Akku zu wechseln. Ab in den Müll und dann ein Neukauf waren für uns aber auf Dauer keine Optionen", erinnert er sich. 2013 begannen die Brüder aus Falkenberg, einem Dorf am Rande der hessischen Kleinstadt Wabern, rund 30 Kilometer von Kassel entfernt, darüber nachzudenken, es anders zu machen.
Die Idee, ein eigenes Mobiltelefon zu konzipieren, stieß bei vielen Freunden auf Kopfschütteln. "Sie haben uns für verrückt erklärt", sagt Samuel Waldeck. Doch er und sein Bruder ließen es darauf ankommen. Sie konkretisierten ihre Idee und suchten per Crowdfunding nach Geldgebern. Es war der Anfang vom Shiftphone.
Zugute kam den Brüdern ein Kontakt nach China aus früheren Projekten: Jacky Shen. Er machte sich mit Waldecks Bruder auf die Suche nach Lieferanten, knüpfte Kontakte und ist heute Vorarbeiter der kleinen Fabrik in Hangzhou, zwei Stunden westlich von Shanghai, wo das Shiftphone hergestellt wird. Ende 2014 wurden die ersten Mobiltelefone ausgeliefert, heute gibt es zwei Modelle und das dritte ist für April 2020 angekündigt. Moderne Technik kombiniert mit angepasster Software aus nachhaltiger und fairer Produktion, das ist der Anspruch der Waldecks.
Ihn einzulösen, ist alles andere als einfach, gibt Samuel Waldeck unumwunden zu. "Wir warten gerade auf das Ergebnis einer Rohstoffanalyse der Universität Göttingen, die uns verraten soll, wo die recycelbaren Wertstoffe auf der Platine sitzen." Sie wollen wissen, welche Edelmetalle, von den seltenen Erden bis zum Gold, ablösbar sind und wiederverwendet werden können. Ein Schritt, der neue Recycling-Möglichkeiten aufzeigen soll, denn zur Unternehmensphilosophie gehört "so wenig Schaden anzurichten wie möglich".
Recycling wird deshalb großgeschrieben, jedes Mobiltelefon wird vom Unternehmen zurückgenommen, ein Gerätepfand von 22 Euro wird dafür ausgezahlt. Ungewöhnlich in der Branche, genauso wie der Weiterverkauf von gebrauchten und reparierten Smartphones durch das Unternehmen. Für Samuel Waldeck ist es aber Teil der Philosophie.
Komplexer sei es, die Lieferkette zu optimieren und transparent zu machen. "In China wird das Gold für die Prozessoren auf der Hauptplatine zentral eingekauft, da ist es als kleines Unternehmen kaum möglich, Einfluss zu nehmen", sagt Samuel Waldeck. Aus welchen Minen das Gold und andere Rohstoffe kommen, wird in China einfach nicht deklariert. Den Einsatz von Coltan konnte das deutsche Start-Up inzwischen schon mit Erfolg durch Keramik ersetzen. Aber was in der Platine, die rund 95 Prozent der Wertstoffe enthält, tatsächlich noch alles drin steckt, werden die Brüder Waldeck erst nach der Rohstoffanalyse genau wissen.
Arbeitsplätze wie in Deutschland
Dort, wo sie jedoch direkt Einfluss nehmen können, unterscheidet sich Shift deutlich von anderen Produzenten. Etwa bei den Arbeitsbedingungen in der Fabriketage in Hangzhou. Dort steht der gleiche Arbeitstisch wie im Büro von Samuel Waldeck, auch die Stühle sind identisch "Wir wollten, dass sich die Arbeitsbedingungen in China von denen hier nicht unterscheiden", sagt Waldeck. Das schlägt sich auch in den Löhnen nieder. "Unsere Angestellten in Hangzhou verdienen das Dreifache des chinesischen Mindestlohns und sie sind kranken- und rentenversichert."
Atypisch in der Branche, doch ebenfalls zum Anspruch der Brüder zählend, gehören flache Gehaltsstrukturen. Eigener Aussage zufolge verdienen die beiden Gründer von Shiftphone nur das Dreieinhalb- fache eines einfachen Angestellten in Hangzhou. Festgehalten ist das auch im "Wirkungsbericht", einer Art Transparenzbericht des etwas anderen Unternehmens. Das definiert sich als "social enterprise", als soziales Unternehmen und verpflichtet sich, einen Teil der Gewinne in soziale Projekte zu investieren. So ist als nächstes anvisiert, einen Dorfladen in Falkenberg einzurichten. Das Haus dafür ist bereits gekauft, die Umbauarbeiten haben begonnen, und eine Plane mit dem Logo des Unternehmens hängt bereits davor.
Kleine Leuchte
30 Mitarbeiter*innen im hessischen Wabern-Falkenberg, zehn im chinesischen Hangzhou – der einzige deutsche Handyhersteller ist ein kleines Licht im Vergleich mit den großen der Branche wie Samsung, Apple oder Huawei, die jeweils mehr als 200 Millionen Smartphones pro Jahr herstellen. Knapp 50.000 Geräte wurden in den vergangenen sechs Jahren aus der Shiftphone-Firmenzentrale versandt. Ähnlich wie der niederländische Produzent "Fairphone", der seit Januar 2013 von seinen drei Modellen rund 200.000 Geräte verkauft hat, versteht sich Shiftphone als soziales Unternehmen. Man will nicht nur ein möglichst nachhaltiges Mobiltelefon produzieren und gute Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter*innen schaffen, sondern auch etwas für die Region tun. So unterstützt Shift am Standort Falkenberg unter anderem eine Jugendhilfe-Einrichtung.
Spezial: Muss es immer noch mehr sein?
Wenn SARS-CoV-2 eines Tages keine Menschenleben mehr bedrohen wird, wird auch Bilanz gezogen werden können. Und vielleicht wird dann auch festgestellt werden, mit wie wenig Konsumgütern wir eigentlich ausgekommen sind in den Wochen, in denen das öffentliche Leben mehr oder weniger stehengeblieben ist. Müssen wir immer so viel einkaufen, wovon dann doch immer ein Teil weggeworfen wird? Braucht es jedes Jahr das neueste Handy, das in der Herstellung viele seltene Erden verbraucht? Müssen wir wirklich immer so viel fliegen? Dieses Spezial zeigt, dass es an Alternativen schon jetzt nicht mangelt. Und sich auch die Arbeitswelt bereits nachhaltig wandelt.
Petra Welzel