Ausgabe 03/2020
Kurz mal Zeitung machen
Wie füllt man ein tägliches Lokalblatt, wenn Redakteurinnen und Redakteure nur zu 50 Prozent arbeiten? „Gute Frage!“, antwortet ein Redakteur beim Neuen Tag im bayerischen Weiden. Zwar sei die Zeitung dünner, da Anzeigen fehlen. Der redaktionelle Teil mache aber nicht weniger Arbeit, im Gegenteil. Themen und Seiten müssten neu gewichtet und Inhalte aus dem Umland einbezogen werden. Doch müssen die Beschäftigten seit vielen Wochen mit dem gesetzlichen Kurzarbeitergeld auskommen – bei den Oberpfalz Medien wird nicht aufgestockt. Der Geschäftsführer, der als einer der ersten Kurzarbeit beantragte, ist überzeugt, dass man seine Weitsichtigkeit noch schätzen werde, wenn am Ende die Verlagsinsolvenzen aufgelistet würden.
Nachahmer traten bald eine regelrechte Ansteckungswelle los: Kurzarbeit bei Hamburger Morgenpost, Ostseezeitung, Cuxhavener Nachrichten, Niederelbe Zeitung, Weser Kurier und Kieler Nachrichten im Norden, bei der Neuen Westfälischen in Bielefeld, beim Berliner Tagesspiegel und bei der Leipziger Volkszeitung in der Mitte des Landes, bei der Offenbach Post, den Nürnberger Nachrichten, den Blättern der Verlagsgruppe Rhein-Main, bei der Stuttgarter und der Esslinger Zeitung im Süden. Selbst überregionale Blätter wie Die Zeit oder Süddeutsche Zeitung zeigten sich nicht immun. Ende April hatten etwa 80 Prozent der Verlage Kurzarbeit geplant oder bereits veranlasst, meldete der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger. Besonders betroffen seien Anzeigenabteilungen und Marketing, doch dürfte es „bei mehr als 30 Prozent der Unternehmen auch Kurzarbeit in den Redaktionen geben“.
Dabei könnte die Branche jubeln. Der Informationshunger der Leser ist größer denn je. Laut einer Leserbefragung bei großen Regionalblättern sind Zeitungen für 86 Prozent der Befragten in der Corona-Krise das wichtigste Medium und Orientierungshilfe zur Situation am Wohnort. Kein anderes Medium erfülle das Bedürfnis nach Information und Einordnung aktuell so gut wie die Tageszeitungen.
Mehr als 150.000 neue Digitalabos
Belebung im schon fast totgesagten Blätterwald? Die gibt es vorrangig im Online-Bereich, wo den Verlagen noch immer gewinnträchtige Geschäftsmodelle fehlen. Jetzt erfahren sie Klickrekorde: Die Webseite der Saarbrücker Zeitung hatte im März über eine Million Nutzer*innen mehr als im Februar. Corona-Liveblog und Onlineportal bescherten der Aachener Zeitung 150 Millionen Abrufe – bislang undenkbar. Die Frankfurter Allgemeine vermeldet ein Zugriffshoch und steigende Abozahlen. Auch bei der Süddeutschen Zeitung in München stiegen die Klicks auf elektronische Inhalte im März um fast 80 Prozent. Mehr als 150.000 Digitalabos wurden neu abgeschlossen – die Zielmarke bis Jahresende ist schon erreicht.
Und doch wurde in Teilen des Süddeutschen Verlages rückwirkend zum 1. April Kurzarbeit eingeführt. Auch die Redaktion wurde nicht verschont. Wenn die Geschäftsführung "damit drohen kann, Menschen die Existenzgrundlage zu entziehen und sie in die Arbeitslosigkeit zu schicken", habe sie eine starke Position, konstatieren die Betriebsräte. Nach elf Tagen Verhandlung haben sie „schweren Herzens“ einer Betriebsvereinbarung zugestimmt, die zwar Kündigungsschutz, aber keinerlei Aufstockung des staatlichen Kurzarbeitergeldes enthält. Ein "Härtefallfonds", für den auch die Verlagsmanager spenden, soll helfen.
Selbst die Ippen-Gruppe beim Münchner Merkur war weniger knausrig und sichert Kurzarbeitern 90 Prozent des bisherigen Nettoentgelts. Die Madsack-Verlagsgesellschaft hatte in ihren Häusern bis Ende April immerhin zu 100 Prozent aufgestockt. „Inzwischen soll im Mai noch auf 90 und im Juni nur auf 80 Prozent aufgesattelt werden. Eine Reihe von Betriebsräten will das nicht akzeptieren und hat Verbesserungen durch einen Tarifvertrag auf Konzernebene gefordert“, weiß Karin Wagner, die Potsdamer Betriebsratsvorsitzende bei der Märkischen Allgemeinen. Madsack hat abgelehnt. Es muss also weiter verhandelt werden.
Wenn schon Kurzarbeit, dann mit mehr als dem gesetzlichen Kurzarbeitergeld, war von Beginn an die Forderung von ver.di. „Viele Arbeitgeber wollen die Erstattung der Sozialbeiträge für sich einstreichen und nichts an die Beschäftigten weitergeben“, kritisiert der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Umso mehr seit die Große Koalition das Kurzarbeitergeld angehoben hat. Zeitungsverlage als sogenannte Tendenzbetriebe, wo lange Zeit fette Renditen eingefahren wurden und keinem Wirtschaftsausschuss Zahlen offengelegt werden müssen, machen schamlos mit und profitieren.
Die Anzeigeneinbrüche träfen sie „mit großer Wucht“, sagen Verleger. Dieses finanzielle Standbein der Zeitungsverlage sei mit den Corona-Einschränkungen bis zu 80 Prozent weggebrochen: Nichts mit Veranstaltungshinweisen und Stellenanzeigen, keine Reisebeilagen und Magazine, Wochenblätter erschienen zeitweise nicht. Doch reiche das als Begründung für Kurzarbeit allein nicht aus, heißt es von der Bundesarbeitsagentur: „An diesem Punkt tragen auch Verlage ein Betriebsrisiko.“ Was sie gern wegschieben – auf die Allgemeinheit, ihre Journalist*innen und Verlagsangestellten. ver.di-Sekretäre berichten bundesweit von „brutal harten“ Auseinandersetzungen.
Sparen an der falschen Stelle
„Es gibt eher mehr Arbeit, um die Corona-Krise journalistisch zu begleiten und einzuordnen“, sagt Cornelia Berger, Bereichsleiterin Medien und Publizistik bei ver.di. Für sie ist „nicht nachvollziehbar, dass ganze Redaktionen in Kurzarbeit geschickt und Freien keine Aufträge mehr erteilt werden“. Sollte es in der derzeitigen Krise Finanzierungsengpässe geben, stünden auch Verlagen KFW-Darlehen zur Verfügung. Keinesfalls sollte "jetzt an der falschen Stelle, nämlich am journalistischen Inhalt gespart werden". Doch genau das geschieht. Freie Autor*innen werden vielerorts kaltgestellt, Festangestellte müssen Resturlaub und Überstunden abbauen. Ausgaben erscheinen abgespeckt. Dennoch wird täglich um journalistische Qualität gerungen, nicht selten im Ausnahmezustand. Mobiles Arbeiten stellt nicht nur technisch besondere Anforderungen. Redaktionelle Planung und Ideenfindung entstehen in Telefon- und Videokonferenzen, Interviews per Datenleitung. Das tägliche Nachrichtenaufkommen steigt eher, die Nachfrage nach Gesundheits- und rechtlichen Themen wächst. Vielerorts wurden neue Serien für die Printausgaben gestartet und Live-Ticker eingeführt. Ob redaktionelle „Kurzarbeiter“ nicht doch voll und damit zeitweise umsonst arbeiten, wer will das prüfen?
So mancher Verlagschef zeigt sich gar offen, aktuelle Inhalte oder – wie Gruner +Jahr – ganze Magazine von Stern bis Brigitte digital zu verschenken, „Bezahlschranken niederzureißen“, wie Populisten fordern. Macht das Schule, würde man das eigene wirtschaftliche Fundament sprengen, an dem Tausende Arbeitsplätze hängen. Sorgfältig recherchierter Journalismus koste Geld, mahnte selbst Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner die Branche. Man solle „mutig und innovativ“ sein und anerkannte Systemrelevanz dazu nutzen, bessere digitale Geschäftsmodelle zu etablieren. Höchste Zeit, denn bisher gelingt es Verlagen nicht, Anzeigenverluste mit Auflagensteigerung und Online-Abos zu kompensieren. Die Zeitungshäuser verpassen eine große Chance, ist Cornelia Berger überzeugt. Wenn man es nicht schaffe, digitale Reichweite gewinnträchtig zu machen, drohe „eine Umsatzkrise trotz Produktions- und Nachfrage-Chancen“, warnt die Gewerkschafterin.