Ausgabe 06/2020
Das lief doch wie geschmiert
Hallo Bürgerinnen und Bürger, hier ist Eure Bundesregierung, der Finanzminister. Wir heißen Hans Eichel, Peer Steinbrück, Wolfgang Schäuble, Olaf Scholz. Wir haben eine Frage: Ist es legal, dass wir einem Aktienbesitzer eine Steuer zurückzahlen, die der gar nicht bezahlt hat? Wir sind da unsicher. Bitte sagt uns Eure Meinung. Wir werden uns dann nach der Meinung des Volkes richten, wir sind ja schließlich eine Demokratie. Also bitte abstimmen!
Leider hat sich keiner der bundesdeutschen Finanzminister von SPD und CDU in dieser Frage an die Bevölkerung gewandt. Dabei wäre die Frage doch einfach zu beantworten, oder? Wer eine bestimmte Steuer, hier die Kapitalertragssteuer auf eine Aktien-Dividende, gar nicht bezahlt hat, darf sie auch nicht rückerstattet bekommen, oder? Die Finanzminister wussten aber nicht, wie sie diese einfache Frage beantworten sollten. Deshalb fragten sie hochbezahlte Besserwisser. Das war die "renommierte", global tätige Wirtschaftskanzlei Freshfields mit Hauptsitz im Finanzzentrum London. Sie wusste die Antwort: Ja, es ist legal, eine nicht gezahlte Kapitalertragssteuer darf auch an einen Aktionär ausgezahlt werden, der gar keine Kapitalertragssteuer gezahlt hat. Und diese Operation wurde möglich, weil andere "renommierte", hochbezahlte Besserwisser die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte entwickelt hatten: Kurz vor dem Auszahlungstag der Dividende an den Aktionär leiht sich ein zweiter oder auch ein dritter "Investor" gegen eine kleine Gebühr die Aktie aus ("Leerverkäufe"), gibt sich seinem Finanzamt gegenüber als Aktienbesitzer aus und behauptet, der zuständige Konzern, zum Beispiel Siemens oder die Depotbank, habe gesetzes-treu die Kapitalertragssteuer zurückbehalten. Weil es für Aktionäre viele Steuervergünstigungen gibt, haben die meisten das Recht, dass ihnen die Steuer rückerstattet wird.
Die schlecht ausgestatteten Finanzämter blickten bei den komplizierten Karussellgeschäften nicht durch.
Die Anwälte von Freshfields stellten den beteiligten Banken, also zum Beispiel der Deutschen Bank, der Commerzbank, der Warburg und Maple-Bank, Gutachten aus: Die Rückzahlung nicht gezahlter Steuer ist legal! In der Frankfurter Freshfields-Zentrale, einem 100 Meter hohen Glasturm gegenüber der Alten Oper, wurde die Steuerabteilung auf zwei Etagen ausgeweitet. Der Chef Ulf Johannemann wurde im seligen Cum-Ex-Jahr 2007 auch Chef der weltweiten Freshfields-Steuerabteilung und verdiente zwei Millionen jährlich.
Die schlecht ausgestatteten Finanzämter blickten bei den komplizierten Karussellgeschäften nicht durch. Eichel, Steinbrück, Schäuble, Scholz ließen das laufen. Allein bei der kleinen Frankfurter Niederlassung der Maple-Bank entstand dem deutschen Staat zwischen 2006 und 2016 ein Steuerverlust von 388 Millionen Euro, bei Warburg in Hamburg sollen es 280 Millionen sein. Insgesamt könnten es 10 oder 30 oder auch 40 Milliarden Euro sein: Wer weiß das? Jedenfalls der zuständige Finanzminister Scholz und die für die Nation ach so treusorgende Bundeskanzlerin Merkel wissen es nicht. Ein paar mutige Finanzämter haben bisher bei kleinen Tätern immerhin 1,1 Milliarden Euro zurückgeholt. Die Staatsanwaltschaften in Köln, Bonn, Wiesbaden und Frankfurt/ Main haben mit den Anklagen gegen mehrere Dutzend Cum-Ex-Akteure von Freshfields und von Banken erst angefangen. Das erste Urteil des Landgerichts Bonn fiel milde aus: Cum-Ex ist eine schwere Straftat, die Angeklagten kamen mit Bewährung davon.
2015 lobte der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, der jetzige Finanzminister, die Kanzlei Freshfields: Sie sei "unbestechlich, dem geradlinigen Gang verpflichtet. Sie hat unsere Gesellschaft immer wieder aktiv mitgestaltet". Scholz war der Festredner zum Jubiläum der Kanzlei. Richtig ist: Freshfields hat die Bundesregierungen seit Kanzler Gerhard Schröder, SPD, in Milliardenverluste hineinberaten, hat das für die öffentliche Hand so nachteilige Vertragsmuster Public Private Partnership (PPP/ÖPP) mitentwickelt, hat den 17.000-Seiten-Geheimvertrag zu Toll Collect (LkW-Maut) genauso verfasst wie die Gesetze zur Bankenrettung. Der jetzige Verkehrsminister Andreas Scheuer, CSU, wirft Freshfields Millionenbeträge hinterher. Und Freshfields ist nicht der einzige derartige Staats-, Landes- und Kommunalberater. So kommen wir und unser Staat nicht weiter. Die Bürgerinnen und Bürger müssen jetzt echt mal abstimmen, was in Deutschland Recht und Unrecht ist. Die Frage ist doch gar nicht so schwer, oder?