Ausgabe 08/2020
Da tickt eine Bombe
Nürnberg – Nein, beileibe nicht alle seien radikal rechts, die bei sogenannten "Corona-Demos" mitlaufen, betont Ulli Schneeweiß. Doch bei einigen Leugnern der Gefahren des Covid-19-Virus sei die Radikalisierung inzwischen sehr weit gediehen, stellt der Nürnberger ver.di-Gewerkschaftssekretär heraus. Er belegt das mit einer detailgenauen Bombenbau-Anleitung, die Anfang November auf der "Telegram"-Seite von "Widerstand100" (W100) zu finden war. W100 ist nur eine in einer ganzen Reihe von Organisationen in Mittelfranken, die das Nürnberger Bündnis Nazistopp in den vergangenen sechs Monaten intensiv im Auge behalten hat. "Rechtsoffen, unsolidarisch und wissenschaftsfeindlich" lauten die drei Schlagworte auf der Titelseite der daraus entstandenen Broschüre, die auch online einzusehen ist.
"Rechtsoffen und gefährlich", so lautet auch das Fazit des Bündnisses, dem ver.di Nürnberg und Ulli Schneeweiß angehören. Auf den sogenannten Corona-Demos von 2020 seien oft dieselben Sprüche zu hören oder zu lesen, die "rechte Friedensapostel bereits 2014 verwendet haben" oder später der Nürnberger Pegida-Ableger Nügida. "Solche Neonazis, AfD-ler, Pegida-Aktivisten, Reichsbürger: Alle werden integriert", sagt Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung e.V. (ISFBB), die ebenfalls aktiv im Nürnberger Bündnis gegen Nazis ist.
60 Tagessätze
Dubravko Mandic, einer der rechten Pandemieleugner, marschiert zwar nicht in Nürnberg, aber dafür in Freiburg mit. Er sitzt dort für die AfD im Stadtrat. Mitte November wurde er wegen Nötigung – wenn auch noch nicht rechtskräftig – in Schwabach zu 60 Tagessätzen Geldstrafe (7.200 Euro) verurteilt. Weil er Birgit Mair im Mai 2019 das Handy entrissen hatte. Mair, die auch als Journalistin arbeitet, hatte eine Veranstaltung des inzwischen als "rechtsextrem" eingestuften und offiziell aufgelösten "Höcke-Flügels" der Rechtsaußen-Partei in Greding, Mittelfranken, beobachtet, bis Mandic sie bedrängte.
Bei den mehr als 40 Anti-Corona-Kundgebungen in Nürnberg seit dem Frühjahr 2020 finden sich unter den Teilnehmenden ähnliche Kaliber. Beispielsweise ein Soldat, der sich schon mal mit der Nazi-Reichskriegsflagge zeigt. Oder ein Ex-NPD-Funktionär, der im vergangenen Jahr unter anderem bei einer rechten Fackeldemo auf der Nürnberger Hitler-Tribüne gesehen wurde.
Wenn der Spruch "Impfen macht frei" statt des Nazi-Schriftzugs "Arbeit macht frei" in das Foto eines Konzentrationslager-Tores eingefügt werde, ist das für Mair "schlichtweg eine Verharmlosung des faschistischen Nazi-Regimes". Und wenn – wie im Juni 2020 registriert – davon "geschwurbelt wird, dass Zionisten den Massenmord durch Impfungen planen, ist das einfach Antisemitismus der eindeutigen Sorte", so Mair.
Beunruhigende Aggressivität
Anna Heinze-Lahcalar hat ehrenamtlich die Webseiten von W100 und anderen rechten Gruppierungen durchforstet. Sie fand nicht nur jene Bombenbauanleitung. Im Laufe ihrer Recherche stellte sie eine erschreckende "Radikalisierung" fest. "Die Aggressivität der Propaganda und die zunehmende Vernetzung sind beunruhigend."
Diese Gewaltbereitschaft war auch bei der Online-Vorstellung der Broschüre in den Kommentaren deutlich zu spüren. So drohte ein Zuschauer unter dem Pseudonym "Unter Vorbehalt" Birgit Mair: Nach einer Machtübernahme der Rechten "wird diese Frau in nicht allzu langer Zeit vor ein Gericht gestellt". Roland Sauer, einer der Fotografen, von denen die Bilder in der Broschüre stammen, merkte denn auch in der digitalen Veranstaltung kopfschüttelnd an: "Die verhalten sich wie Pegida, sehen sich aber in einer Reihe mit den überzeugten Antifaschisten Sophie Scholl oder Dietrich Bonhoeffer." Beide wurden bekanntlich wegen ihrer Haltung von den Nazis ermordet.
Rüdiger Löster, der zweite Demo-Fotograf berichtete von seinen Erfahrungen: "Auch vor gewalttätigen Attacken wird nicht halt gemacht." Selbst eine Frau mit Ordnerbinde habe ihn angegriffen. Auf einem Bild hat er den Moment festgehalten. Das wollte zwar ein weiterer Zuschauer mit dem Kunstnamen "Querdenken 911" nicht so stehen lassen: "Wir treten für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Wissenschaft ein." Doch für Gewerkschafter Ulli Schneeweiß steht fest: All diese Organisationen "sind rechtsoffen und gefährlich".
Die Dokumentation zum Download:
nazistopp-nuernberg.de/download/ Coronaschwurbler_Layouted5_ komprimiert.pdf