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Foto: Cavan images/Imago

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

2020 war ein Jahr, wie wir es uns weder vorgestellt noch gewünscht hätten. Die Corona-Pandemie bedeutet für viele unserer Mitglieder – zum Beispiel im Luftverkehr, im Tourismus, im Veranstaltungswesen oder im Kulturbereich: Unsicherheit, Kurzarbeit, Einkommenseinbußen, drohender Jobverlust. Und gleichzeitig: Viele ver.di-Mitglieder – in Krankenhäusern, in der Altenpflege, im Lebensmittelhandel, in den Gesundheitsämtern, der Paket- und Briefzustellung, der Bundesagentur für Arbeit und vielen anderen Bereichen – halten für uns den gesamten "Laden am Laufen" und haben oft selbst nicht ausreichend Schutz. Hinzu kommen Belastungen zum Beispiel durch Kita- und Schulschließungen und die Angst um Angehörige in Krankenhäusern und Pflegeheimen.

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Frank WernekeFoto: Gaertner/Photothek

Erfreulich ist: In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Begriff der Solidarität so präsent und aktuell wie selten zuvor. Solidarität – Zusammenhalt, gegenseitige Rücksichtnahme und Unterstützung – wurde in der Pandemie mit neuer Bedeutung aufgeladen. Solidarität ist auch ein grundlegender Wert der Gewerkschaften. Sie wurden gegründet, um gemeinsam und solidarisch zu handeln. Der Sinn von Gewerkschaft wird in dieser Pandemie offensichtlich.

Lange bestehende Missstände sind jetzt in der Pandemie nicht mehr zu übersehen – von der Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und der Kommunen über mangelnde soziale Absicherung von (Solo-)Selbstständigen und Minijobber*innen, von zu niedrigen Regelsätzen in der Grundsicherung bis hin zu geringer Tarifbindung und niedrigen Löhnen etwa in Teilen des Einzelhandels – wo Arbeitgeber versuchen, Sonntagsöffnungen durchzusetzen und Anerkennung für die Beschäftigten vermissen lassen.

ver.di hat in dieser Zeit nicht nur Mitglieder in all ihren existentiellen Fragen beraten und unterstützt. Wir haben die gesetzliche Aufstockung des Kurzarbeitsgelds ab dem vierten Monat und noch höhere Aufstockungen in einer ganzen Reihe von Tarifverträgen durchgesetzt, eine Corona-Prämie für Altenpfleger*innen, Hilfen für (Solo-)Selbstständige, für den Nahverkehr und die Kommunen, im Einzelhandel die Rettung mehrerer Galeria Karstadt Kaufhof-Filialen.

Und: Viele Arbeitgeber dachten wohl, sie würden in Tarifverhandlungen krisenbedingt "billig" davonkommen. Sie haben sich geirrt: 250.000 Streikende haben gezeigt, dass Applaus allein für die 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen nicht reicht. Von dem Tarifergebnis profitieren die Kolleg*innen mit niedrigen Einkommen und in der Pflege besonders. Im ÖPNV kämpfen wir weiter für ein nachhaltiges System von Bussen und Bahnen – inklusive guter Arbeitsbedingungen –, um den Klimawandel zu stoppen. Zur sozialverträglichen Ausgestaltung des Kohleausstiegs haben wir Tarifverträge mit Energieversorgern abgeschlossen. Der Tarifvertrag für die Altenpflege, den wir erstmals verhandeln konnten und der auf die gesamte Branche erstreckt werden soll, ist angesichts der geringen Bezahlung, der extremen Belastung und des Personalmangels in der Branche ein Durchbruch. Und auch bei der Deutschen Telekom sowie bei der Deutschen Post, die in diesem Jahr Rekordgewinne einfuhr, haben wir gute Tarifabschlüsse durchgesetzt. Mehr als 22.000 Warnstreikende haben bei der Deutschen Post AG diesen Erfolg möglich gemacht.

Herausforderungen

Aber auch unerträgliche Entwicklungen zeigen sich dieser Tage. Natürlich muss über die Einschränkung von Grundrechten in der Pandemie intensiv diskutiert werden – aber das Zusammengehen der Kritiker*innen von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mit Verschwörungstheoretikern und gewaltbereiten Nazis ist beängstigend, sogenannte Reichsbürger auf den Stufen des Reichstags machen wütend. Und dass die AfD Corona-Leugner ins Parlament einschleust, um gewählte Volksvertreter*innen einzuschüchtern – das dürfen wir nicht tolerieren. Ebenso wenig wie Anschläge wie die in Hanau oder Halle und rechtsextreme Netzwerke in Sicherheitsbehörden. Und die Geflüchteten in den griechischen Lagern müssen endlich auf europäische Länder verteilt werden. Diese Entwicklungen werden wir weiterhin kritisch begleiten und klare Kante zeigen.

Fest steht: Auch 2021 wird herausfordernd. Die Pandemie wird uns trotz der berechtigten Hoffnung auf einen Impfstoff weiter begleiten. Es geht in die Tarifrunden unter anderem im öffentlichen Dienst der Länder, im Groß- und im Einzelhandel, in der Druckindustrie und im privaten Bankgewerbe. Im Jahr der Bundestagswahl wollen wir zudem politisch einiges bewegen: Wir wollen eine solidarische Finanzierung der Altenpflege, die Eindämmung von Befristungen, die Stärkung der gesetzlichen Rente und der Tarifbindung auf die Agenda setzen und den Einstieg in eine verbindliche Pflegepersonalbemessung in Krankenhäusern schaffen. Lasst uns das gemeinsam angehen.

Alles Gute fürs neue Jahr und: Bleibt gesund!

Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender