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Corona hin oder her, Bewegung an der frischen Luft und freies Spiel sind wichtig für Kinder
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Seit 42 Jahren Erzieherin: Marion Krieger
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Seit 38 Jahren Erzieherin: Kerstin Zappe
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Corona-Tagebuch – die Kinder erzählen, die Erzieherinnen notieren es
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Zarte Pflanzentriebe, um die sich die Kinder selbst kümmern
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Absperrbänder trennen im Außengelände die Kita-Gruppen voneinander

"Corona ist doof!", ruft der siebenjährige Niklas, während er über den Flur der Kita in der Tempelhofer Bosestraße rennt. "Corona ist saudoof!", überbietet ihn sein Freund Karim und streift sich die Jacke über. Beide gehören zu den "Parkschützern", einer von drei Gruppen der Vier- bis Siebenjährigen, der Maxis, wie sie hier genannt werden. Beim Runtergehen durchs enge Treppenhaus klagt Niklas, er habe Weihnachten die Großeltern nicht besuchen dürfen. Und Karim ist sauer, weil wegen der Pandemie kaum noch Ausflüge möglich sind.

Immerhin hat die Kita Bosestraße einen großen Spielplatz, und die Kinder – kleine wie große – sind bei fast jedem Wetter regelmäßig dort anzutreffen. "Extrem wichtig", findet Erzieherin Kerstin Zappe, 57, die Bewegung an der frischen Luft für die Kids. Nicht so schön ist die vom Amt vorgeschriebene Aufteilung des Platzes, damit Begegnungen zwischen den Minis und den Maxis vermieden werden. "Am Nachmittag und am Wochenende spielen dann aber doch alle kreuz und quer und durcheinander auf den öffentlichen Spielplätzen", sagt Kerstin Zappe. "Leider drängt sich in der Pandemie oft der Eindruck auf, dass Anordnungen durch die Behörden nicht zueinander passen. Die Kinder spüren solche Widersprüche ganz genau und finden das überhaupt nicht witzig."

Alles, was zu Fuß erreichbar ist

Die Erzieher*innen in der Bosestraße geben sich jede erdenkliche Mühe, ihnen die schwere Corona-Zeit etwas leichter zu machen. Vieles ist im Moment nicht möglich, das Schwimmen nicht, der Sport in der Halle und Ausflüge in entferntere Stadtgegenden auch nicht. Immerhin gehen sie mit den Großen ab und zu auf kurze Exkursionen, um ihnen Abwechslung zum eigenen Spielplatz mit den bekannten Schaukeln und Kletterbäumen zu bieten. Sie sind schon zum nahe gelegenen Naturpark Südgelände gezogen oder vormittags, wenn noch wenig allgemeiner Betrieb ist, auch mal auf einen öffentlichen Spielplatz. "Alles, was zu Fuß erreichbar ist", sagt die erfahrene Erzieherin Zappe, die seit 1983 im Beruf und bereits seit 20 Jahren in der Kita in der Bosestraße ist.

"Früher war ich bei den Minis", erzählt sie. Wenn die dann zu den Großen wechselten, sei das immer eine schwierige Trennung gewesen. Bei den Maxis falle ihr der Abschied leichter, weil die am Ende ihrer Kita-Zeit in die Schule kommen. "Toll ist es natürlich, wenn ich nach Jahren auf der Straße angesprochen werde und sich herausstellt, dass die junge Frau, der junge Mann vor mir mal bei uns in der Kita waren und sich gerne an diese Zeit erinnern."

Mitte April, acht Grad Außentemperatur, doch die Kitakinder sind gut eingepackt in Jacken und Mützen. Beim Rennen und Toben wärmen sie sich sowieso auf. Karim, Niklas, Enno und Noel spielen Ausfahrt mit dem Piratenschiff. Aus einigen Holzstücken haben sie sich ihr Boot gebaut. Augenklappen runden ihr Piraten-Outfit ab. Mit Geschrei geht es los zum Eroberungszug. Mira sammelt unterdessen Blumenköpfe und erzählt Kerstin Zappe von ihrer neuen Katze. Luisa und Hanna schaukeln. Neun Kinder der "Parkschützer" und eine ähnlich große Gruppe der "Füchse" spielen in ihrer Platzhälfte. Im daneben liegenden Abschnitt scharen sich rund 20 Minis um die Rutsche und die Buddelkiste. Das ist die aktuelle Situation bei eingeschränkter Öffnung im schärferen Lockdown.

"Von 15 Kindern, die zur Maxi-Gruppe ,Parkschützer' gehören, können 13 gebracht werden, weil die Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, alleinerziehend sind oder die Kinder einen Integrationsstatus haben", erklärt Marion Krieger, 62, Erzieherin seit 1979, den Notbetrieb. Für die zwei Kinder, die jetzt ihren Kitaplatz nicht beanspruchen dürfen, weil die Mütter gerade im Homeoffice oder mit einem Säugling zu Hause sind, bedeutet das aber, auf die gewohnten Spiele mit den Freundinnen und Freunden zu verzichten. "Auch keine ideale Lösung", findet Kerstin Zappe.

110 Kinder, 23 Fachkräfte

Die Tempelhofer Einrichtung, die zum Berliner Kita-Eigenbetrieb Südwest gehört, war seit Beginn der Corona-Pandemie überhaupt nur eine einzige Woche komplett geschlossen, gleich zu Beginn im März 2020, als noch niemand so richtig wusste, was ein Lockdown bedeutet. "Schnell haben wir dann eine Notbetreuung angeboten", sagt Marion Krieger. "Erst kamen nur sehr wenige, insgesamt nur etwa zehn von regulär rund 110 Kindern. Dann wurden es allmählich immer mehr." Zwischendurch war die Kita mit ihren 23 pädagogischen Fachkräften längere Zeit im Normalbetrieb.

Und trotzdem gab es bisher keinen einzigen Covid-19-Fall durch Ansteckung in der Einrichtung. Sicher sei das auch Glück, mehr noch gehe es aber auf ein gutes Hygienekonzept zurück, betont Kerstin Zappe. "Unser Arbeitgeber zahlt schon seit längerem einen wöchentlichen Test für alle Beschäftigten." Außerdem halten sich die Kitagruppen im Haus stets im eigenen Raum auf. Dort gibt es Luftreinigungsgeräte. "Und die Kontakte zu den Eltern sind stark begrenzt," sagt Kerstin Zappe. Die müssen beim Bringen und Abholen der Kinder Masken tragen, anders als die Erzieherinnen, die ihre Mund-Nasen-Bedeckung nur im Treppenhaus anlegen, weil im Umgang mit den Kindern sonst die Mundbewegungen beim Sprechen und die Mimik kaum zu erkennen wären. Beides ist aber sehr wichtig für den Nachwuchs, der ja den Wortschatz und Sprachgebrauch tagtäglich in der Kita erweitert.

Die Beschäftigten fühlen sich an ihrem Arbeitsplatz in einer schönen alten Villa, die früher mal ein Kinderheim beherbergt hat, relativ sicher. Es habe zwar Coronafälle bei Eltern gegeben, aber kein Übergreifen auf die Kita, die deshalb auch nicht geschlossen werden musste. Einzelne Erzieher*innen waren schon mal in Quarantäne, doch insgesamt sind sie hier in der Kita Bosestraße bisher gut durch die Corona-Zeit gekommen.

Trotzdem nervt alle das Hin und Her der Anordnungen durch Senat und Bundesregierung. "Zeitweise war Corona bei uns nur noch ein Reizwort, für das dann eine kleine ,Abgabe' in die Kaffeekasse fällig wurde", erzählt Kerstin Zappe, die sehr ausgeglichen wirkt, in sich zu ruhen scheint. "Es war und ist anstrengend, sich ständig auf neue Vorgaben einzustellen." Umso besser, dass der zuständige Kitabetrieb die Sorgen der Erzieher*innen ernst nimmt und manches abfedert.

Corona-Ausbrüche in anderen Kitas

Nicht überall in den Berliner Kitas läuft es so rund, weiß Erich Mendroch, der im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg für den Bereich Gemeinden und damit auch für die Kolleg*innen der Kita-Eigenbetriebe zuständig ist. Fünf dieser Betriebe gibt es in der Stadt, neben Südwest, zu denen die Stadtbezirke Tempelhof-Schöneberg, Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf zählen, noch Südost (Treptow-Köpenick, Neukölln), Nordost (Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Hohenschönhausen-Lichtenberg), Nordwest (Reinickendorf, Spandau) und City (Mitte, Kreuzberg-Friedrichshain). Ungefähr 7.500 Beschäftigte betreuen in insgesamt 276 Kitas etwa 33.500 Kinder.

"Im Eigenbetrieb City musste vergangenes Jahr wegen mehrerer Corona-Infektionen eine Kita komplett geschlossen werden", sagt der Gewerkschaftssekretär. Es habe weitere Ausbrüche in Kitas der Eigenbetriebe sowie denen der kirchlichen, freien und gemeinnützigen Träger gegeben. ver.di kritisierte auch wegen dieser Entwicklungen die Rückkehr zum Kita-Regelbetrieb Anfang März heftig. "Der Berliner Senat handelt absolut verantwortungslos und setzt die Gesundheit der Erzieher*innen wissentlich aufs Spiel", erklärte damals Andrea Kühnemann, stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di Berlin-Brandenburg. Zu dem Zeitpunkt fehlte es zudem noch an ausreichend Selbsttests und Impfterminen für die Beschäftigten.

Das sieht inzwischen erheblich besser aus, wie Kerstin Zappe in der Kita Bosestraße bestätigt. "Wir haben alle Impftermine." Im April sollte es losgehen. Bei ihnen im Kita-Eigenbetrieb Südwest ist es dabei selbstverständlich, dass sie für die Impfung von der Arbeit freigestellt werden. "Wer am Wochenende geimpft wird, erhält einen entsprechenden Freizeitausgleich." In dieser Weise praktizieren das aber nur zwei der fünf Eigenbetriebe, in einem weiteren gibt es zumindest die Freistellung für einen Termin, der in der Arbeitszeit liegt. Doch zwei Betriebe sehen das Impfen offenkundig als "Freizeitbeschäftigung" an. Erich Mendroch findet das ausgesprochen ärgerlich. "Solche Unterschiede sind den Kolleginnen und Kollegen nicht vermittelbar." Hier müsste für alle das gleiche gelten, nämlich die Freistellung. "Impfen ist doch kein Hobby!"

Stampfkartoffeln mit Blumenkohl

In der Kita Bosestraße gehen Erzieher*innen und Kinder jetzt zurück ins Haus. Das Mittagessen kommt gleich auf den Tisch, selbst gekocht in der Kita-Küche. "So können wir am besten auf alle Rücksicht nehmen", sagt Marion Krieger. "Manche Kinder haben Allergien, andere beachten religiöse Speiseregeln. Frische und Vielfalt sind aus unserer Sicht besonders wichtig. All' das lässt sich mit dem eigenen Kochen am besten unter einen Hut bringen."

Dass Mira, Niklas, Karim und Co allerdings freudig juchzen, als sie von der Nachspeise "Eis" erfahren und eher weniger Begeisterung über die Hauptmahlzeit "Stampfkartoffeln mit Blumenkohl" zeigen, hat nichts damit zu tun, ob in der Kita gekocht wird, eine Großküche Kantinenkost liefert oder die Eltern die Mahlzeiten bereiten. Die Geschmacksnote "süß" ist über Generationen und Zeiten hinweg der Favorit der Kinder geblieben.

In ihrem Raum essen die "Parkschützer" nicht nur zusammen. Sie haben hier auch ein riesiges Angebot an Spielen, Bilderbüchern, Bastelmaterialien. Auf der Fensterbank stehen im Moment mehrere kleine Blumentöpfe, die zarte Triebe von Paprika-⁠, Tomaten- und Peperoni-Pflanzen zeigen. Mira freut sich schon auf die Ernte – wenn auch etwas verfrüht angesichts der Jahreszeit und der frischen Außentemperatur.

Leonardo und Luca vertiefen sich nach dem Essen in ein abgewandeltes Monopoly-Spiel, bei dem statt Würfeln ein angeschubstes Auto am Außenrand über die Zahl der Züge entscheidet und statt Straßen Automarken Erfolg und Niederlage markieren. Grundsatz der Erzieherinnen ist – egal ob beim Spiel im Freien oder drinnen – den Kindern selbst die Vielzahl an Entscheidungen in ihrem Alltag zu überlassen. "Wir geben Anleitungen und beantworten Fragen, aber wir fördern gerade bei den Älteren die Selbstständigkeit und Fähigkeit, Konflikte zu lösen", sagt Kerstin Zappe.

Dankbare Eltern

Nach dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr hätten sie und ihre Kolleginnen deshalb auch befürchtet, dass viel Erlerntes in der Zeit zu Hause verloren gehen könnte. Eltern verfügen nun einmal nicht über das pädagogische Wissen, um den Kindern in allen Lagen des Alltags gerecht zu werden. Außerdem seien die meisten Mütter und Väter ohnehin stark überlastet gewesen durch gleichzeitige Betreuungsaufgaben, Arbeit im Homeoffice und Schulaufgabenanleitung bei den älteren Geschwisterkindern. "Doch zum Glück lief es besser als erwartet", merkten die Erzieher*innen, nachdem sie die Kita allmählich wieder öffneten.

"Tatsächlich haben die Eltern den Kontakt zu uns gehalten und sich mit den Kindern zum Beispiel an die Arbeitsblätter gesetzt, die wir ihnen zugeschickt hatten." So habe bei ihnen auch kein Kind bereits erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten wieder verlernt. Vermutlich liegt diese gute Zwischenbilanz auch an der relativ sozialen Ausgeglichenheit in der Kita Bosestraße, die in erster Linie Kinder aus Mittelstandsfamilien besuchen. "Die Eltern waren unglaublich dankbar, als wir wieder mehr geöffnet haben. Sie wissen, was sie an uns haben und wie wichtig das Miteinander hier bei uns ist."

In der Anfangszeit der Pandemie, als sie nur zehn Kinder in einer Gruppe betreuten, hätten sogar einige von ihnen ins Homeoffice wechseln können – zumindest theoretisch, so Marion Krieger. "Aber es fehlte an der nötigen Ausstattung, und so waren die meisten dann doch in der Kita."

Erzieher*innen und Büroarbeit? Das hört sich erst einmal nicht zwingend an, dennoch: "Ich mag den Beruf wirklich gerne", sagt Kerstin Zappe. "Sonst würde ich etwas anderes machen. Nur leider nimmt die Bürokratie immer weiter zu."

Unter diesen Arbeiten sollen die Kinder nicht leiden. Doch die Belastung der Erzieher*innen steigt weiter – trotz des eigentlich guten Personalschlüssels. "Es wäre besser, wenn wir vorab mal gefragt würden, was sinnvoll ist und was nicht", findet die erfahrene Fachkraft. Und das gelte nicht allein für die anfallende und steigende Bürokratie, sondern gerade auch für die Organisation des Kita-Alltags – und das nicht nur in der Zeit der Corona-Pandemie.