Ausgabe 03/2021
Eine schwere Niederlage
Die Gewerkschaftswahlen im Amazon-Logistikzentrum in Bessemer, Alabama, sind gescheitert. Die Niederlage der Gewerkschaft RWDSU fiel sogar deutlicher aus als erwartet. Lediglich 738 der fast 6.000 Beschäftigten stimmten für die erste Gewerkschaftsvertretung an einem US-Standort des Onlineriesen. Auch Gewerkschafter*innen in Deutschland dürften sich fragen, wie das geschehen konnte. Die RWDSU wirft Amazon Wahlbehinderung vor. Recht hat sie. Seit Anfang des Jahres hat das Unternehmen Millionen in eine riesige Union-Busting-Kampagne investiert. Die Belegschaft wurde belogen, schikaniert und unter Druck gesetzt. Auch die Corona-Pandemie hat ihren Teil dazu beigetragen, machte sie doch größere Gewerkschaftsversammlungen unmöglich.
Doch reichen diese externen Faktoren als Erklärung aus? Zur Wahrheit gehört ebenso, dass die Gewerkschaft strategische Fehler gemacht hat. Soll Bessemer lediglich eine verlorene Schlacht im langen Kampf der Amazon-Beschäftigten bleiben, müssen wir über diese reden. Die wahrscheinlich wichtigste Lehre: Promi-Beifall allein reicht nicht. Zu sehr hat sich die RWDSU von der lautstarken Unterstützung durch Sportstars, Black-Lives-Matter-Aktivisten oder des US-Präsidenten Joe Biden blenden lassen. Zu wenig hat sie getan, um mit den Amazon-Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Zu oft war der einzige Berührungspunkt die Übergabe eines Flyers am Autofenster. In der Arbeitsrealität der Menschen kam die RWDSU kaum vor.
Die zweite Erkenntnis: Der Gewerkschaftsfokus darf sich nicht mehr auf die Organisierung einzelner großer Logistikzentren beschränken. Längst umfasst Amazons Vertriebsnetz auch diejenigen, die die Pakete an die Haustür bringen. Verwundbar ist Amazon, wenn alle zusammenstehen. Von den Kollegen und Kolleginnen im Lager bis zur Paketbotin und dem Paketboten. Sicherlich erfordert das eine große Kraftanstrengung. Dass sie machbar ist, haben die italienischen Gewerkschaften im März gezeigt. Mit dem weltweit ersten Streik, der das gesamte Vertriebsnetz umfasste.