Der Finanzmafia geht es an den Kragen. Die Richter des Bundesgerichtshofes haben entschieden, dass sogenannte Cum-Ex-Geschäfte strafbar sind. Wer sich daran beteiligt hat, ist ein Steuerbetrüger. Das sind schlechte Nachrichten für eine kriminelle Bande aus Bankern, Fondsverwaltern, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten. Sie könnten schon bald hinter schwedischen Gardinen sitzen.

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Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik bei ver.diKay Herschelmann

Im größten Steuerskandal dieser Republik ermitteln Staatsanwälte und Steuerfahnder in 95 Fällen gegen mehr als 1.000 Beschuldigte. In den letzten acht Jahren gab es drei Urteile und zwei abgeschlossene Verfahren. Eine schnellere Aufklärung und Strafverfolgung scheitert an personell unterbesetzten Staatsanwaltschaften und Steuerbehörden. Trotzdem scheint der Rechtsstaat zu funktionieren. Im März 2020 verurteilte ein Bonner Richter zwei ehemalige Aktienhändler der HypoVereinsbank zu Bewährungsstrafen, die milde Strafe war der Kronzeugenregelung geschuldet. Zuletzt verdonnerte dasselbe Bonner Landgericht den ehemaligen Generalbevollmächtigten von M.M. Warburg zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis. Es war die erste Haftstrafe für einen Cum-Ex-Täter. Ferner sitzt der Erfinder vieler Cum-Ex-Geschäfte, der Anwalt Hanno Berger, in der Schweiz in Auslieferungshaft.

Das kriminelle Geschäftsmodell hätte ohne staatliche Beihilfe nicht funktioniert.

Das organisierte Verbrechen hoffte bis zuletzt, ungestraft davon zu kommen. Die Gangster hätten schließlich nur eine Gesetzeslücke ausgenutzt. Das Karlsruher Urteil macht der Finanzmafia jetzt einen Strich durch die Rechnung. Cum-Ex-Machenschaften sind illegal und kriminell. Doch wie plünderten Investoren, Banker und Aktienhändler die Staatskasse? Deutsche Bank, Commerzbank, HypoVereinsbank, Warburg, LBBW & Co handelten Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende. Die Banken verkauften vor Dividendenstichtag Aktien, die sie nicht besaßen. Nach Dividendenausschüttung kaufte die Bank jene Aktien, die sie dem Käufer zugesagt hatte. Dieser erhielt die Aktien somit erst einige Tage später gutgeschrieben. Solche "Leerverkäufe" sind tatsächlich legal. Und zahlen sich aus: Dividenden sind steuerpflichtig. Finanzinstitute können sich diese Steuer vom Finanzamt zurückerstatten lassen. Dafür brauchen sie einen Steuerbescheid ihrer Depotbank. Bei den Cum-Ex-Geschäften bekam der ursprüngliche Aktienbesitzer diese Steuerbescheinigung. Dann stellte die Depotbank des Käufers einen zweiten Bescheid aus, obwohl er keine Steuer gezahlt hatte. Die Beteiligten ließen sich die einmal gezahlte Steuer also mehrmals erstatten. Die Beute teilten sie untereinander auf. Anders lief es bei den sogenannten Cum-Cum-Geschäften. Hier verliehen ausländische Aktionäre ihre deutschen Aktien vor Dividendenausschüttung an Finanzdienstleister, welche die Kapitalertragssteuer vom Finanzamt zurückerstattet bekamen. Letztere kassierten dann die Steuerrückzahlung, die sie sich mit dem ausländischen Verleiher teilten. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie KPMG und Anwaltskanzleien wie Freshfields verpassten dem kriminellen Treiben durch ihre Gutachten einen legalen Anstrich.

Der Cum-Ex-Raubzug verursachte einen Schaden von rund zehn Milliarden Euro. Der Cum-Cum-Betrug beläuft sich auf geschätzte 20 Milliarden Euro. Geld, das heute für Klimaschutz, Kitas, Schulen und Krankenhäuser fehlt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ohne staatliche Beihilfe hätte das alles nicht funktioniert. Minister, Staatssekretäre, Fachbeamte und Aufseher ignorierten jahrelang Hinweise von Mitarbeitern und Informanten. Das größte Problem war aber die enge Beziehung zwischen Finanzwelt und Politik. In den 2000er Jahren gaben sich im Finanzministerium die Lobbyisten die Klinke in die Hand. Der Bundesverband der deutschen Banken schrieb gar eine Gesetzesvorlage, die einen Cum-Ex-Boom auslöste.

Aus dem größten Wirtschaftsverbrechen der Republik müssen Lehren gezogen werden. Das Karlsruher Urteil kann die strafrechtliche Aufklärung des größten deutschen Steuerraubs voranbringen. Die Täter dürfen nicht ungestraft davonkommen. Doch damit nicht genug. Ein elektronisches Meldeverfahren für Steuerbescheinigungen sollte künftigen Cum-Ex-Betrug vorbeugen. Des Weiteren muss die Macht der Lobbyisten beschnitten werden. Ein legislativer Fußabdruck würde den politischen Einfluss von Wirtschaftsverbänden besser dokumentieren. Und: Finanzverwaltung und Aufsicht müssen endlich personell besser ausgestattet werden. Nur so kann ein demokratischer Staat künftige Finanzverbrechen verhindern.