Selten lässt sich so leicht durchschauen, wer mit aller Macht schnelle Spitzenrenditen durchsetzen will – und auf wessen Kosten: In den aktuellen Tarifrunden des Handels versuchen Unternehmen, deren Umsätze brummen wie nie, die ohnehin nicht besonders üppigen Tarifeinkommen auf Billigniveau zu drücken. Corona dient den Arbeitgebern als Vorwand für Mini-Angebote, die den Beschäftigten im Einzel- und Versandhandel wie im Groß- und Außenhandel Reallohnverluste einbringen würden. So bieten die Einzelhändler für eine 36-monatige Tariflaufzeit stufenweise Erhöhungen, bei denen das tabellenwirksame Niveau pro Jahr gerechnet nur um 1,8 Prozent zunehmen würde. Die Konsequenz: Alle hätten bei den zu erwartenden Preissteigerungen weniger Kaufkraft als vorher, wobei die Belegschaften in "von der Pandemie betroffenen" Firmen noch doppelt bestraft wären. Für sie sollen die Erhöhungen erst nach sehr vielen Null-Monaten erfolgen.

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Andreas Hamann ist freier JournalistFoto: Christian von Polentz

Zu Recht haben die ver.di-Tarifkommissionen mit unzähligen guten Streikaktionen auf die Skandalangebote reagiert. Doch der Arbeitgeberverband HDE machte bisher keine Kehrtwende. Im Gegenteil: Mit einer Empfehlung für die "freiwillige" Anhebung der Entgelte um 2 Prozent noch vor einem Abschluss verschärfte er den Konflikt. Die Absicht ist klar: Man will die Streikbewegung schwächen.

ver.di hat für den Handel deutlich gemacht, dass Tariflösungen für einzelne, durch Corona bedingt in die Krise geratene Unternehmen machbar sind. Doch das ist etwas völlig anderes als die einheitlichen Branchentarifverträge zu zerstückeln, was einige Arbeitgeber offenbar zum Ziel haben. Mit ihren Angriffen auf das Einkommensniveau verschärfen sie das Risiko für Altersarmut, die einer Mehrheit der Beschäftigten im Handel droht. Dieses Drama muss gestoppt werden – mit aller Macht. Und das ist nicht nur Aufgabe von ver.di. Hier ist auch die Politik gefragt, wenn es darum geht, die Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären.