Ausgabe 05/2021
Langsamer Staatsstreich
Schon die Amtseinführung von Pedro Castillo Ende Juli hatte sich mehr als sechs Wochen verzögert. Ohne Beweise vorzulegen, sprach die in der Stichwahl vom 6. Juni unterlegene Diktatorentochter Keiko Fujimori von Wahlbetrug und erkannte ihre Niederlage nicht an.
"Die Verzögerungstaktik, um die Ernennung Castillos zu verhindern, nennen wir in Peru ,golpe lento', langsamen Staatsstreich", sagt Moises Vega Romero, Generalsekretär der Gewerkschaft Federación Grafica del Peru (FGP) und einer der Führer des Gewerkschaftsverbandes CGTP. Und nun versuchten die alten Machtgruppen, Castillo zu stürzen. "Leider hat Castillo bei der Auswahl seiner Minister Fehler gemacht", muss Vega zugeben.
Tatsächlich sorgte die Bekanntgabe der Ministerriege, die erste große Entscheidung Castillos, selbst im engsten Umfeld des neuen Präsidenten für Erstaunen und in Lima für ein politisches Erdbeben. Vor allem die Ernennung von Guido Bellido von der marxistisch-leninistischen Regierungspartei Peru Libre zum Ministerpräsidenten stößt auf Widerstand. Gegen den 42-Jährigen laufen zwei Ermittlungsverfahren wegen "Rechtfertigung des Terrorismus". Grund sind mutmaßliche Sympathiebekundungen für die maoistische Rebellengruppe Leuchtender Pfad. In der Vergangenheit ist Bellido darüber hinaus durch sexistische und homophobe Äußerungen aufgefallen, von denen er sich nun distanziert. Auch Castillo, früher Lehrer und Gewerkschafter, vertritt gesellschaftlich eher konservative Positionen. Er ist für die Todesstrafe und spricht sich gegen Abtreibungen und gleichgeschlechtliche Ehen aus.
Auch andere, von Castillo ernannte Minister werden von Opposition und Öffentlichkeit kritisiert. Gegen Innenminister Juan Manuel Carrasco ermittelt die Justiz wegen angeblichen "Fehlverhaltens" in seiner Zeit als Staatsanwalt. Und der neue Verkehrsminister, Juan Silva Villegas, hat nicht nur einige schwere Verkehrsstrafen auf dem Kerbholz, sondern wurde 2011 von seiner damaligen Partnerin wegen physischer und psychischer Übergriffe angezeigt. Arbeitsminister Iber Maraví gilt wie Castillo selbst vielen der politischen und wirtschaftlichen Elite als zu linksradikal. Und so warnt Jorge Montoya, Sprecher der rechten Oppositionspartei Renovación Popular, bereits, die Amtsenthebung Castillos sei eine Option.
Gewerkschaften eingeschränkt
Vega hofft unter Castillo, der 2017 einen großen Bildungsstreik anführte, auf eine Verbesserung der Situation der Gewerkschaften. Mit der Präsidentschaft Alberto Fujimoris (1990–2000) und der Neoliberalisierung Perus habe die Gewerkschaftsbewegung an Kraft verloren, sagt er. "Sie macht heute nur noch fünf Prozent der arbeitenden Bevölkerung aus." Die Möglichkeiten kollektiver Verhandlungen und die Gewerkschaftsfreiheit seien eingeschränkt worden. "Wir haben dem Präsidenten einen Forderungskatalog vorgelegt, um die Gewerkschaften zu stärken", sagt Moises Vega Romero. Wichtig sei den Gewerkschaften vor allem, der Prekarisierung der Arbeit Einhalt zu gebieten.
Doch leider habe Castillos Präsidentschaft auch für die Gewerkschaften schlecht begonnen. Der neue Arbeitsminister genehmigte einen Verband im Bildungssektor und damit nach Ansicht Vegas parallele Strukturen zu der zur CGTP gehörenden Bildungsgewerkschaft SUTEP. "Dies wird sich auf die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften auswirken", sagt Vega. "Da werden ohne Not Fronten aufgemacht, und das beunruhigt uns." Andreas Knobloch