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Raus aus dem täglichen Stau vor dem Dammtorbahnhof – nur wie?Foto: ver.di Hamburg

"Ich bin am Sonntag mit dem Rad am Dammtor vorbeigefahren, da hat es sich gestaut bis zum Abzweig Sternschanze wegen einer Baustelle – Stau am Sonntag? Da haben doch alle frei und es ist Ferienzeit. Doch statt dass sich etwas ändert am Verkehrskonzept, sind in Hamburg noch mehr Autos zugelassen worden", sagt Natale Fontana, Fachbereichsleiter Verkehr bei ver.di Hamburg. Er beschreibt, was jede*r in Hamburg kennt – den täglichen Verkehrskollaps. Nun auch am Wochenende.

Digitale Lösungen soll die ITS, die Weltmesse für Intelligente Transportsysteme bringen, die im Oktober in Hamburg stattfinden wird. Die Elbmetropole soll Schaufenster und Teststrecke für intelligente Mobilität, vernetzten Verkehr und smarte Logistik der Zukunft werden. Der selbstfahrende Bus und die selbstfahrende U-Bahn U5 sind Projekte, mit der die Stadt für die Messe wirbt

"Wollen die Fahrgäste das wirklich?" fragt Silke Kobow, Vorsitzende der ver.di-Bundesfachgruppe Busse und Bahnen. Sie hat ihren Arbeitsplatz in Hamburg. Auf der einen Seite seien solche Projekte sicher die Zukunft, auf der anderen Seite seien aber noch viele Fragen offen: Wer hilft mir als Fahrgast, wenn alles digital läuft? Fühlen sich unsere Fahrgäste weiterhin sicher? Reduzieren wir mit autonomen Bussen wirklich das Verkehrsaufkommen? Sinnvoll eingesetzt könne Digitalisierung im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) helfen, das digitale Ticket vereinfache die ÖPNV-Nutzung, mit einer selbstfahrenden U-Bahn könne man eine etwas höhere Taktdichte erzielen – aber vor allem müsse das Angebot ausgebaut werden und der ÖPNV Vorrang im Straßenverkehr bekommen, sagt Kobow.

Die Einführung digitaler Mobilität, so befürchtet sie, könnte die Arbeit im ÖPNV verschlechtern: "In autonomen Fahrzeugen muss ja noch eine Begleitperson anwesend sein, jemand, der reagiert, wenn etwas passiert. Das wird dann eine Begleitperson mit Fahrberechtigung sein. Wir werden sehen, wie sich die Arbeitgeber dann das Entgelt vorstellen. Die Kluft zwischen gut und schlecht Verdienenden kann dadurch noch größer werden. Das ist in meinen Augen auch ein Grund, warum das Thema Arbeitsplatz auf der Messe ITS nicht vorkommt. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen bleibt außen vor, die Gewerkschaft bleibt außen vor."

Das kritisiert auch Berthold Bose, ver.di-Landesleiter in Hamburg: "Eine digitale Zukunft der Mobilität muss die Arbeitnehmer*innen-Interessen an guter Arbeit und zukunftsfester Beschäftigung berücksichtigen. Ausbildung und Qualifizierung gehören zwingend zum Entwicklungskonzept. Unsere Gesellschaft braucht eine breite Diskussion darüber, wie wir uns die Verkehrswende und Mobilität als Daseinsvorsorge in der Zukunft vorstellen."

Hafen Hamburg

Im Hamburger Hafen hat die Digitalisierung schon Einzug gehalten. Für Felix Pospiech, Betriebsratsmitglied der Gesamthafenarbeiter, macht genau diese aus Menschen Anhängsel von Maschinen. "Wurde klassische Hafenarbeit noch gemeinsam, also zu zweit, zu dritt oder zu viert gemeistert, so ist es heute ein 'Einzelarbeitsplatz' und wird durch die Digitalisierung verstärkt zu einer reinen Überwachungstätigkeit", beschreibt Felix Pospiech die Veränderungen. Das möge zwar die körperliche Belastung verringern, es reduziere aber auch die geistige Beteiligung, Einbringung und Einwirkungsmöglichkeit bei der Arbeit, weil der Computer alles vorgibt.

Am stärksten sieht er die Arbeit der "Personalreserve" des Hafens – die Gesamthafenarbeiter – gefährdet. "Wenn immer weniger Menschen gebraucht werden, wird zuerst bei der 'Zeitarbeit' gespart. Es herrscht Angst um den Arbeitsplatz und die gute Arbeit, die die Beschäftigten im Hafen bisher abliefern, Angst um den Verlust von Qualifizierung und damit verbunden Lohnverlust. Eine Diskussion darüber, wie wir denn arbeiten wollen, was denn in Zukunft 'gute Arbeit im Hafen' ist, ist noch sehr unterentwickelt", sagt Pospiech. Natale Fontana fordert, die Stadt müsse sich die Auswirkungen ihrer Industriepolitik der Zukunft auf die Menschen überlegen. Noch kämen sie in die Stadt, denn hier sei Arbeit, und obwohl die Stadt teuer ist, wollen sie hier leben.

"Nur: wie lange hält das? Der Hafen hat eine große Bedeutung, aber wir merken schon, wie ständig an den Lohnsystemen gerüttelt wird und wir merken, dass Digitalisierung und Automatisierung massiv vorangetrieben werden", sagt Fontana. Aus dieser Entwicklung entstehen neue Fragen: Was heißt das für die Arbeitsplätze? Gibt es adäquaten Ersatz oder Kompensation, und wie sieht das aus? Oder geht es nur darum, alles billiger zu machen und die Tarifverträge kaputt zu schießen? "Die Mobilität der Zukunft betrifft direkt die soziale Frage: Wer kann sich das Fahrticket, die Wohnung, die schöne neue digitale Welt überhaupt leisten?", fragt Fontana.

Klimafreundlich

Hamburgs Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher, SPD, hat bei der Vorstellung der ITS-Messe angekündigt, dass die Mobilität der Zukunft effizienter, klimafreundlicher und komfortabler werden soll. Was die Klimafreundlichkeit angeht, haben die Umweltaktivist*innen von Fridays for Future (FFF) Zweifel. Sie erinnern daran, dass Tschentscher Hamburg zur ersten klimaneutralen Stadt machen wollte. "Da sind andere viel, viel schneller gewesen, viele Städte sind Hamburg voraus in der Klimaneutralität", sagt Annika Rittmann, Sprecherin von FFF Hamburg. Sie nennt die Ziele von FFF: Städte ohne Individualverkehr, stattdessen mehr Bus-⁠, Bahn- und Radverkehr, verknüpft mit Carsharing statt eines eigenen PKW und dem Ausbau von Bus und Bahn ins Umland.

"Die Messe ist insgesamt sinnvoll, um auf das Thema aufmerksam zu machen, aber es hätte breiter eingeladen werden müssen, kleine Unternehmen und Initiativen können sich eine Messeteilnahme nicht leisten. Die Aussteller, die kommen werden, sind nicht die führenden Projekte und Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit", kritisiert Rittmann. Es kämen unter anderem Autohersteller, die auf Individualverkehr setzen, auch mit dem Elektroauto. Für FFF wäre ein Erfolg, wenn staatliche Institutionen nur noch nachhaltige Projekte fördern würden, die den Individualverkehr reduzieren.

Menschen mit Beeinträchtigungen

Viel zu wenig mitgedacht werde bei der Mobilität der Zukunft die Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen, bemängelt Irmhild Rogalla vom Institut für Digitale Teilhabe der Hochschule Bremen. Bei der Entwicklung selbstfahrender Busse werde zum Beispiel oft nicht darüber nachgedacht, wie lange Türen offenbleiben müssten, damit Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator, aber auch Mütter mit Kinderwagen bequem ein- und aussteigen könnten. "Die Digitalisierung jedenfalls macht den ÖPNV nicht barrierefreier, was Bahnsteighöhen, Aufzüge und Türbreiten angeht."

Allerdings würde Fahren mit dem ÖPNV durch die Digitalisierung planbarer – durch eine Reihe von Apps und Webseiten, die Informationen zum Teil auch in Echtzeit liefern. "Ein Traum wäre es, den ÖPNV wirklich mal aus Sicht von Menschen mit Beeinträchtigungen neu zu planen, aber das ist natürlich illusorisch, weil hier Digitalisierung und bauliche Maßnahmen zusammenspielen müssten und das Ganze viel Geld kosten würde", sagt Rogalla. Allerdings würden die Menschen in vielen reichen Ländern immer älter, so dass es schon Sinn machen würde, über grundlegende Konzepte noch mehr als bisher nachzudenken, betont die Expertin.

ver.di Hamburg hat das Thema Mobilität der Zukunft längst auf der Agenda. Schon auf einer Veranstaltung im Januar 2020 forderte die Gewerkschaft unter anderem: Umstieg auf den ÖPNV für den Klimawandel, Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur, Kostensenkung bei Tickets für nachhaltigen Umstieg, kostenlose Tickets für arme Menschen. Die ITS wird sich daran messen lassen müssen.