Ausgabe 06/2021
Umstrittener Entwurf
Nordrhein-Westfalen – Als einen "Angriff auf die Zivilgesellschaft" bezeichnet ein breites Bündnis verschiedener gesellschaftlicher Organisationen in Nordrhein-Westfalen (NRW), darunter auch der ver.di-Landesbezirk, den Entwurf der schwarzgelben Landesregierung für ein Versammlungsgesetz. Seit 2006 haben die Bundesländer die Möglichkeit, das Bundesversammlungsrecht durch eigene Ländergesetze abzulösen. Die Landesregierung erweckt den Eindruck, das Bundesgesetz sei nicht mehr zeitgemäß und müsse angepasst werden.
Sechs andere Bundesländer haben seit 2006 von der Möglichkeit, ein eigenes Landesgesetz zu schaffen, ganz oder teilweise Gebrauch gemacht. In Bayern hatten unter anderem die Gewerkschaften, darunter auch ver.di, damals gegen die mit dem Entwurf einhergehenden Verschlechterungen protestiert und letztendlich in einem breiten Bündnis Verfassungsbeschwerde gegen die neuen Regelungen eingelegt.
Auch in NRW ist der Gesetzentwurf umstritten. "Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung dient aus unserer Sicht der Einschüchterung von Versammlungsteilnehmenden", sagte ver.di-Landesbezirksleiterin Gabriele Schmidt bei einer Kundgebung Ende August in Düsseldorf, "Das haben wir alle selbst am 26. Juni erlebt." Damals hatte die Polizei bei einer weiteren Demonstration gegen das Gesetz einen Teil der Teilnehmenden stundenlang eingekesselt. Die Begründung der Polizei: Von vermummten Demonstrierenden sei Gewalt ausgegangen. Die Veranstalter*innen hatten das zurückgewiesen.
Der umstrittene Einsatz fand in der Öffentlichkeit großes Echo, und die Kritik an dem Gesetzentwurf wurde breiter. Mittlerweile hat sich auch der Koalitionspartner FDP von dem Gesetzentwurf distanziert. "Wenn Bürger*innen zukünftig Angst haben müssen, aufgrund der Teilnahme an Versammlungen erfasst zu werden, dann ist in diesem Land was nicht in Ordnung", kritisierte Schmidt in ihrem Redebeitrag Ende August. Die Durchgriffsrechte der Polizei seien weitreichend und diese Regelungen hätten aus ihrer Sicht deutlich zu viel Spielraum.
Streikwesten sind keine Bedrohung
Ob Streikwesten oder Verkleidungen, mit denen auch die ver.di Jugend gerne mal Aktionen aufpeppt, künftig unter das Vermummungs- oder Uniformierungsverbot fallen sollen, bleibt weiter offen. "Kreative und künstlerische Aktionen gehören dazu, um mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erzeugen", sagt die Gewerkschafterin. Und deshalb müssten auch lautstarke Sprechchöre, zugespitzte Darstellungen, einheitliche Verkleidungen wie Schals, Streikwesten, Mützen und andere Kleidung ebenso wie friedliche Blockaden erlaubt seien: "Diese Mittel dienen uns zur Identifikation und sie stellen Einigkeit dar – keine Bedrohung."
Kritik übte Schmidt auch daran, dass die Veranstaltungen künftig mindestens zwei Tage im Voraus, aber nur von Montag bis Freitag, schriftlich angemeldet werden müssen. Das könnte am Wochenende mit Feiertagen zu einem Vorlauf von vier Tagen führen. Zeit genug, befürchtet Schmidt, in der Arbeitgeber versuchen könnten, die Teilnahme an Streikkundgebungen oder Demos zu verhindern.
Laut dem Entwurf sollen unter bestimmten Umständen auch die Ordner*innen namentlich angemeldet werden. Gezielte Anmeldungen von Gegenveranstaltungen zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit lauter Musik oder Lärm zum Beispiel durch Sprechchöre können als "Störung" gelten und aufgelöst werden. Das könnte auch Gegenveranstaltungen zu Neonazi-Aufmärschen unmöglich machen.
Nachdem die öffentliche Kritik zugenommen hat, ist derzeit unklar, wie es mit dem Gesetzentwurf weitergeht. Der zuständige Ausschuss tagt Ende September wieder, die Tagesordnung ist noch nicht bekannt. Ministerpräsident Armin Laschet, CDU, möchte Bundeskanzler werden, im kommenden Frühjahr wird in NRW ein neuer Landtag gewählt – da werden umstrittene Themen gerne mal auf Eis gelegt. Vor zwei Jahren ist in NRW übrigens ein neues Polizeigesetz durch die schwarz-gelbe Landesregierung verabschiedet worden. Nach massiven öffentlichen Protesten wurde der ursprüngliche Entwurf stark abgeschwächt.