Habmurg.jpg

In den meisten deutschen Städten herrscht keine Gendergerechtigkeit: Sie sind vor allem von Männern für Männer geplant und gebaut worden. Und das merken Frauen auch heute noch täglich. Die Städte passen in vielen Bereichen nach wie vor nicht zu ihrem Alltag. Es gibt zwar erstes Umdenken, aber der Weg zur gendergerechten Stadt ist weit. Die ver.di-Frauen Hamburg, die Heinrich-Böll-Stiftung und das Frauen*bildungszentrum DENKtRÄUME widmeten sich dem Thema Ende letzten Jahres auf der gemeinsamen Konferenz "Wie wollen wir leben", an der rund 80 Interessierte und Hamburger Politiker*innen teilnahmen.

"Untersuchungen haben ergeben, dass Frauen oft ganz andere Wege machen als Männer – und zwar Kettenwege und/oder Begleitwege, weil sie nicht stringent zur Arbeit fahren, sondern noch das Kind in die Kita bringen, dann arbeiten, danach einkaufen, dann das Kind wieder abholen, vielleicht noch zum Zahnarzt oder zur Musikschule bringen und erst dann nach Hause fahren", berichtet Ina Clausen, Mitglied des ver.di-Landesbezirksfrauenrates und Teilnehmerin der digitalen Konferenz. Sicher gebe es auch Männer, die solche Kettenwege machen, aber vorwiegend sind es Frauen. Hamburgs ÖPNV sei auf die Frauenbedürfnisse aber nicht ausgerichtet. Zu den "Hauptverkehrszeiten" fahren Busse und Bahnen häufiger, tagsüber nur halb so oft. "Das ist nicht geschlechtergerecht, zumal viele Frauen in Teilzeit arbeiten, also zu anderen Zeiten unterwegs sind. Zudem fahren mehr Männer als Frauen mit dem Auto, umgekehrt mehr Frauen mit dem ÖPNV."

Kurz und direkt

Die Verkehrswege in großen Städten wie Hamburg nutzen Frauen anders als die meisten Männer, betont auch Sandra Goldschmidt, stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin, zuständig für Frauen: "Es geht auch darum, wer stark am "Pendeln" und wer mehr im Wohnumfeld unterwegs ist. Aufgrund unseres patriarchalischen Systems kümmern sich Frauen mehr um Familie und Kinder und sind deshalb, auch wenn vielleicht teilzeitbeschäftigt, mehr in den Nahbereich eingebunden – sei es zum Einkaufen, für Schule und Kita und vieles mehr", so die Mitveranstalterin der Konferenz. Je kürzer und je direkter das funktioniere, um so einfacher sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – egal für welches Geschlecht.

"Darüber hinaus ist mit Corona die Frage aufgepoppt, inwieweit es die Möglichkeit gibt, Pendelverkehr zu reduzieren, was natürlich auch einen Umweltgesichtspunkt hat." Hier brauche es eine dezentrale Stadtplanung, sagt Goldschmidt. "Ich brauche in den Vierteln Co-Working-Spaces, gemeinsame Freizeit-Räume etc.; diese Diskussion ist mit Corona noch mal aufgekommen und das ist gut für den vielfältigen Blick auf die Stadt."

Gute Beispiele für gendergerechte Stadtplanungsprojekte gibt es zum Beispiel in Schweden. Die Stadt Umeå in Nordschweden versucht, Frauen und Männer von Beginn an gleichberechtigt mitzudenken. Dort ist den Planer*innen aufgefallen, dass Spielplätze abends nur von männlichen Jugendlichen benutzt wurden. Also erfanden die Stadt-planer*innen "freie Zonen" – kleine überdachte Plätze mit großen Hängesesseln und Bluetooth-Lautsprechern in der Decke, die immer beleuchtet sind. Die Folge: Mittlerweile halten sich dort Jungs und Mädchen gerne auf.

In Hamburg sieht Sandra Goldschmidt große Unterschiede von Stadtteil zu Stadtteil: "Zum Beispiel gibt es in neu gebauten oder geplanten Gebieten einen viel breiteren, gendergerechteren Blick als in den alten, wo es Ansätze gibt, aber vielleicht noch nicht zu Ende gedacht ist. Zum Beispiel die Frage, wieviel Grünflächen braucht es da eigentlich. Es ist zu spüren, wie das jetzt stärker in die Debatte kommt als vielleicht noch vor zehn Jahren."

Bedürfnisse verdeutlicht

Viele Bedürfnisse von Frauen an die städtischen Räume sind durch Corona deutlicher zutage getreten. Die Pandemie hat beispielsweise gezeigt, dass viele Frauen in Hamburg wesentlich beengter leben als Männer und weniger (Rückzugs-)Räume haben, was auch bei Homeoffice zum großen Problem wird. "Besonders Frauen und Kinder müssen in den Fokus der Betrachtung gerückt werden, wenn es um Teilhabe und gleichberechtigtes Leben geht", so Sieglinde Frieß, ebenfalls stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin bei der Abschluss-Diskussionsrunde mit den Hamburger Senator*innen Anjes Tjarks (Verkehr) und Dorothee Stapelfeld (Stadtentwicklung).

Frauen seien es, die in besonderer Weise der Armut ausgesetzt sind, für Migrant*innen gelte dies verstärkt. Mütter mit Kindern, oft Alleinerziehende, seien in ihrer Mobilität eingeschränkt, ihre finanziellen Möglichkeiten liegen weit hinter denen der Männer, so Frieß. "Stadtentwicklung und Planung heißt für uns deshalb, gleichberechtigte Strukturen aufzubauen, die ein gleichberechtigtes Miteinander sichern und allen – egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft und Lebensweise – die gleichen Chancen bietet."

Die ver.di-Frauen wollen in 2022 das Thema gendergerechte Stadt weiter vorantreiben. "Früher gab es Frauenbeiräte und wir erwarten, dass gerade zu Stadtentwicklung ein solcher Ausschuss eingerichtet wird und gesellschaftlich relevante Organisationen einbezogen werden", so Karin Schönewolf von DENKtRÄUME. Das sei nicht sofort zugesagt worden, erzählt die Mitveranstalterin der Konferenz, aber sie hatte den Eindruck, dass die Politiker*innen darüber nachdenken. "Und da bleiben wir dran mit Veranstaltungen, aber auch im direkten Austausch mit der Politik."

Foto:dpa