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30. November 2021: Beschäftigte des öffentlichen Dienstes demonstrieren in Barcelona für unbefristete StellenFoto: Paco Freire/Zuma/picture alliance

ver.di publik: Zum Jahresbeginn trat in Spanien eine Arbeitsmarktreform in Kraft, die einen Großteil der Maßnahmen aus der Eurokrise rückgängig macht. Anfang Februar wurde diese Reform dann vom Parlament bestätigt. Warum ist die Reform so wichtig?

UNAI SORDO: Das neue Gesetz geht eines der größten spanischen Probleme an: nirgends in Europa werden so viele zeitlich befristete Verträge ausgestellt. Über 25 Prozent der Arbeitsverhältnisse in Spanien sind zeitlich befristet. Vor der Eurokrise zu Zeiten des Baubooms war es sogar knapp ein Drittel. Die Reform enthält eine ganze Reihe von Maßnahmen, um dieses Problem anzugehen.

Wie sehen die aus?

Der unbefristete Festvertrag wird der Normalfall sein. Die Möglichkeit, zeitlich befristete Verträge auszustellen, wird stark eingeschränkt. Bisher waren Zeitverträge von bis zu vier Jahren möglich. Künftig werden sie nur noch sechs und in Ausnahmefällen eine Laufzeit von zwölf Monaten haben. Und für Saisonspitzen, wie etwa im Tourismus oder der Landwirtschaft, ist eine Vertragsdauer von maximal 90 Tagen vorgesehen. Dieser kann nicht verlängert werden. Stattdessen wird es Verträge geben, die zeitliche Unterbrechung, also befristete Arbeitslosigkeit, zulassen. Wir schauen dabei Richtung Deutschland, mit Kurzarbeit statt Entlassungen.

Kurzarbeit, oder ERTE , wie das spanische Modell heißt, kam erstmals während der Covid-Krise verstärkt zum Einsatz.

Dadurch wurden drei Millionen Arbeitsplätze erhalten. In der Arbeitsmarktreform wird dies weiterentwickelt, damit die Unternehmen in schwierigen Lagen andere Maßnahmen als die Massenentlassung ergreifen können. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis dies breit angewandt wird, aber ich bin mir sicher, dass diese Maßnahmen für die Beschäftigten sehr positiv sind.

"Eine Neuauflage der strengen Sparpolitik von vor zehn Jahren hätte die europäische Wirtschaft und vermutlich die EU als solche zerstört."

Die 2012 in der Eurokrise von der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy eingeführte Arbeitsmarktgesetzgebung hatte das Auslagern ganzer Arbeitsabläufe unter wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen zur Folge. Wird sich daran jetzt etwas ändern?

Die Reform stärkt die Gewerkschaften und die Tarifautonomie. Die regionalen Tarifverträge stehen künftig wieder, wie vor 2012, über den Haustarifverträgen. Das heißt Subunternehmen müssen sich künftig an den Branchentarifvertrag halten. Damit wird die Ausgliederung zum Beispiel des Reinigungspersonals und der Zimmerdienste in Hotels nicht mehr so lukrativ sein wie nach 2012, als Zehntausende ausgelagert wurden. Das betraf vor allem Frauen. Sie verdienten fortan wesentlich weniger und mussten unter viel härteren Bedingungen arbeiten.

Das heißt, die Gewerkschaften gewinnen wieder an Gewicht?

Wir haben 2012 bei Branchentarifverträgen Handlungsspielraum verloren. Das heißt aber nicht, dass wir bei Haustarifverträgen nichts herausholen konnten. Allerdings ist Spanien ein Land mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen. Und in denen ist es ohne Branchentarifvertrag schwierig, etwas zu erreichen, da wir in ihnen weniger Mitglieder haben oder oft überhaupt keine. Künftig werden wir dank der Branchentarifverträge auch dort wieder korrigierend eingreifen können. Das stärkt die Gewerkschaften. Und auch die Zeitarbeit wird sich mittelfristig reduzieren. Es ist nicht das Gleiche, ob du Gewerkschaftsarbeit in einem Kleinbetrieb mit mehr als 25 oder 30 Prozent Zeitarbeitern machst oder in einem Betrieb mit Festangestellten.

Die Reform gibt den Gewerkschaften und den Beschäftigten auch Rechte zurück. Es ist das erste Mal, dass in Spanien eine Arbeitsmarktreform von den Sozialpartnern und dem Arbeitsministerium ausgehandelt und nicht einfach von der Regierung erlassen wird. Wie war das möglich?

Die Reform kommt genau jetzt, wo die Hilfsgelder der EU eintreffen. Der Unternehmensverband COE wollte deshalb mit im Zentrum der Entscheidungsfindung stehen, anstatt auf eine Reform von Seiten einer Linksregierung zu warten.

Glaubst Du, dass die Unternehmer eingesehen haben, dass manchmal das Eingreifen des Staates in Krisenzeiten gar nicht so schlecht ist?

In der Covid-Krise hat sich gezeigt, dass eine Politik, die in die Wirtschaft eingreift, wesentlich effektiver sein kann, als die Märkte schalten und walten zu lassen. Die wirtschaftliche Erholung geht viel schneller von statten. Ich glaube, dass die Gewerkschaftsbewegung Positionen gut gemacht hat, gegenüber denen, die eine Sparpolitik des Staates verteidigten.

Welche Rolle spielte Brüssel bei der Arbeitsmarktreform?

Anders als bei der Eurokrise hat die EU keinen Druck ausgeübt, es gibt keine Herren in Schwarz von der Troika, die die Länder im Süden im Gegenzug zu den Hilfsgeldern zum Sparen zwingen. Das ist ein neuer Konsens in der EU.

Und das obwohl die spanische Arbeitsmarktreform eindeutig die Handschrift der Linksregierung aus Sozialisten und Linksalternativen trägt?

Sicher ist hier eine Regierung an der Macht, die so weit links steht wie keine zuvor. Aber viele der Maßnahmen, die in der Krise angewandt wurden und die jetzt in der Arbeitsmarktreform festgehalten wurden, haben auch andere Länder ergriffen, die viel weiter in der Mitte und selbst Mitte-rechts stehen. Ich glaube, dass eine andere Art die Krise anzugehen, an Gewicht gewonnen hat. Eine Neuauflage der strengen Sparpolitik von vor zehn Jahren hätte die europäische Wirtschaft und vermutlich die EU als solche zerstört. Interview: Reiner Wandler