Ausgabe 05/2022
Der neue Arbeitsplatz
ver.di publik: Wie bist du auf die Idee gekommen, Menschen im Homeoffice zu fotografieren?
WERNER BACHMEIER:Arbeitswelten fotografiere ich seit 40 Jahren. Mit der Pandemie war schnell klar, dass ich in keinen Betrieb mehr reinkomme. In der Anfangszeit war das noch irritierend, weil ich nicht mehr arbeiten konnte. Als sich das Homeoffice immer mehr ausbreitete, stärkte mich das in der Annahme, dass das eine neue Arbeitsform in unserer Gesellschaft wird. Homeoffice wurde durch die Pandemie salonfähig. Ich las viele Artikel dazu, unter anderem ein Interview mit dem Arbeitsdirektor von Thyssen, der sinngemäß sagte, es wäre doch verrückt, wenn wir bei den positiven Erfahrungen, die wir da gemacht haben, alles wieder zurückdrehen würden. Das war der Ausgangspunkt, mein Fotoprojekt Homeoffice zu starten.
Du hast dich auch um eine Förderung bemüht für das Projekt?
Ich habe mich bei der Kulturstiftung der VG Bildkunst für eine Projektförderung beworben und diese auch bekommen. Das Geld hilft mir, das Projekt bundesweit zu realisieren. Interessanterweise stieß ich bei den Gewerkschaften, für die ich schon sehr lange arbeite, auf wenig Interesse. Mal hieß es, Werner, Homeoffice, das wollen wir nicht, die Arbeitswelt findet im Betrieb statt. Oder: Rechtlich ist das aktuell nur mobiles Arbeiten. Bei Homeoffice müsste ja der Arbeitgeber den Arbeitsplatz stellen, und so weiter. Ich glaube, das Thema ist durch, Homeoffice ist Bestandteil unserer neuen Arbeitswelt.
Wie haben die Menschen, die du fotografiert hast, dir die Türen geöffnet, dich in ihr Privatleben reingelassen?
Ich telefoniere vorab mit den Leuten, erkläre mein Projekt und versuche deren "häusliche" Arbeitswelt einzuschätzen. Das schöne für mich ist, jede/jeder hat seine Geschichte und ich habe jeden fotografiert, der mir die Tür öffnete. Dabei gibt es Leute, die mein Projekt super finden und sagen: Komm gerne. Bei denen habe ich offene Türen. Dann gibt es Skeptiker, die dann aber begeistert sind, wenn sie meine Fotos im Anschluss sehen. Und es gibt natürlich Leute, die sagen, in mein Privatleben möchte ich niemanden reinlassen. Das akzeptiere ich selbstverständlich.
Wie hast du die Menschen erlebt im Hinblick auf ihre Arbeit im Homeoffice?
Ein Mann erzählte mir von seinem Bewegungsmangel. Früher brachte er 8.000 Schritte auf seine Uhr, heute sind es keine 1.000 mehr. Er versucht den Ausgleich mit Sportgeräten am Arbeitsplatz zu schaffen. In Frankfurt habe ich eine Frau fotografiert, die stinkesauer auf ihren Arbeitgeber war, weil ihr Chef ihr verboten hatte, ihren Bürostuhl leihweise mitzunehmen. Er argumentierte, der Stuhl sei Betriebseigentum. Sie sitzt jetzt zuhause mit Kreuzschmerzen auf einem Küchenstuhl. Andere haben ihren gut ausgestatteten Arbeitsplatz meist selbst beschafft. Da kommt außer dem Laptop nichts vom Arbeitgeber. Eine Frau hat sich zum Beispiel einen höhenverstellbaren Schreibtisch zum Geburtstag geschenkt.
Auffällig für mich ist, dass Angestellte im Homeoffice hoch konzentriert und effizient arbeiten, und dies nicht nur, weil ich als Fotograf vor Ort bin. Gerade IT-Angestellte arbeiten oft mit Kolleg*innen in unterschiedlichen Zeitzonen zusammen. Da beginnt der Tag schon mal frühmorgens und endet in der Nacht. Eine weitere Beobachtung ist, dass die Beschäftigten versuchen, familiäre und persönliche Alltagsprobleme mit Homeoffice durch Zeitgewinn zu entzerren. Auch wenn das aus meiner Sicht nur für den Moment gelingt, motiviert sie das, Homeoffice an einfachen Arbeitsplätzen zu akzeptieren.
Wie siehst du die Zukunft des Homeoffice?
Die Arbeitgeber werden genau hinsehen, wie sie die Leistung ihrer Beschäftigten kontrollieren und optimieren. Ich sehe da die Herausforderung für Gewerkschaften, diesen neuen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten einen gerechten Rahmen zu geben. Auf der Seite der Beschäftigten ist klar. Sie optimieren ihre Lebensverhältnisse mit dieser Arbeitsform. Etwa Familien mit Kindern, die sich Wohnen in München nicht mehr leisten können, ziehen raus aufs Land und fahren dann ein- bis zweimal die Woche 30 bis 60 Kilometer nach München. Meine Wahrnehmung ist: Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Das heißt, sie haben schon ihre Entscheidung für das dauerhafte Homeoffice getroffen. Wenn ihnen der Arbeitgeber das Homeoffice nicht mehr einräumt, dann suchen sie ein anderes, besseres Arbeitsverhältnis. Auf die Zukunft bin ich auch gespannt. Mein Projekt ist noch nicht zu Ende.
INTERVIEW: Christian Jungeblodt