Gedenken_Rostock_Lichtenhagen.jpg
Von Anfang an gab es auch sie, die Menschen, die den Geflüchteten und Vertragsarbeiter*innen im Sonnenblumenhaus zur Seite standenFoto:Christian Jungeblodt

Der Brandanschlag auf das Sonnenblumenhaus vom 24. August 1992, die eingeschlossenen Menschen darin, davor der rechte Mob, die Bilder der Jubelnden, die sich für die Avantgarde einer schweigenden Mehrheit hielten, tatenlose Polizei, die sich schließlich ganz zurückzieht, 120 Menschen, die nur noch über das Dach des Hauses flüchten können – vor 30 Jahren sammelten sich junge Menschen in Hamburg, um nach Rostock zu fahren und gegen die rassistischen Gewaltexzesse zu protestieren. An die Tage im August 92 erinnern sich vier Männer, vier ver.dianer. Anlass ist der Aufruf zur Teilnahme an Demonstration und Gedenken in diesem Jahr, den die ver.di Jugend Hamburg und Nord initiiert hat (Fahrt von Hamburg nach Rostock – Infos auf der Instagramseite ver.di_Jugend_ Hamburg).

Der verbreitete Rassismus

"Es war ein rassistisches Volksfest. Gefährlich waren der verbreitete Rassismus und die breite Akzeptanz der Belagerung der Geflüchteten und Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam. Ich war damals 28, bin am Sonntag vor dem Pogrom mit einigen Aktiven in Rostock-Lichtenhagen gewesen, wo sich etwa 200 Linke und Gewerkschafter*innen im Jugendzentrum sammelten, aber nichts gegen die große Nachbarschaftsversammlung mit Neonazibeteiligung machen konnten, die die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende, ZASt, und das Vertragsarbeiterheim belagerten und bedrohten – es war eine Ohnmachtserfahrung", sagt Moritz Herbst, heute in Hamburg ver.di-Mitarbeiter.

Tieffliegende Hubschrauber

"Uns war klar, dass die offizielle Politik die Feinde der Demokratie nicht in Lichtenhagen verortete, sondern bei den anreisenden Gegendemonstrant*innen. Der gesamte Hamburger Konvoi – ich war damals 32 und fuhr mit dem Auto – wurde in Bad Doberan mithilfe eines Teils der insgesamt über 3.000 eingesetzten Beamten gestoppt. Plötzlich tauchten die Beamten auf, die die Sonnenblumenhausbewohner*innen nicht vor dem deutsch-rassistischen Mob hatten schützen können, weil sie überfordert waren. Ich habe noch die Geräusche der tieffliegenden Hubschrauber im Ohr – einen Sound, den sonst nur Brokdorf-Demonstrierende kennen. Wir wurden mit den üblichen Unterstellungen (Gefährder im Auto, daher ein Filzen sämtlicher Fahrzeuge und Personen) an der Weiterfahrt gehindert und erreichten dennoch durch flexibles Einsickern kleiner Fahrgemeinschaften in den örtlichen Straßenverkehr Rostock-Lichtenhagen", erinnert sich Peter Bremme, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Hamburg.

Eine üble Zeit

"Ich war 15 und bin mit dem Bus im Konvoi von Hamburg los. Von Gefahren auf Fahrt oder Demo bin ich nicht ausgegangen, wir waren mehrere Tausend an diesem Tag. Demoerfahrung hatte ich schon, aber Rostock-Lichtenhagen war der Start meiner tieferen Politisierung, es sollte eine starke politische Prägung für mein zukünftiges Leben werden. Die Ausschreitungen, das Pogrom habe ich mit Gleichgesinnten als Gefahr eines neuen Faschismus diskutiert, den wir zumindest in den Ansätzen für realistisch gehalten haben. In Lichtenhagen erinnere ich besonders die Tristesse, wo völlig fertig aussehende Leute im Unterhemd aus den Hochhausfenstern geguckt haben – eine üble Zeit, in der Widerstand gegen Rechtsradikalismus absolut notwendig war", so Björn Krings, Gewerkschaftssekretär ver.di Hamburg.

Gesicht zeigen

"Die Anschläge auf die ZASt in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 sind einer von vielen dunklen Flecken der deutschen Geschichte und haben mich auch im Nachhinein in meiner Jugend sehr geprägt. Ich bin als Sohn einer sogenannten Gastarbeiterfamilie in einem Arbeiterviertel in Hamburg aufgewachsen. Mit Alltagsrassismus hatte ich immer zu kämpfen. Früh stellte ich mir die Frage: Warum gibt es einige Menschen, die feindselig gegenüber Menschen mit einer anderen Hautfarbe, Kultur oder sexuellen Orientierung sind? Ich bin erst zwei Jahre nach den Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen geboren und muss 13 Jahre alt gewesen sein, als ich das erste Mal bewusst wahrgenommen habe, was damals passiert ist. Auch in Hamburg und Umgebung ereigneten sich rassistisch motivierte Anschläge zu dieser Zeit. Der Brandanschlag in Mölln, auch der Brandanschlag in den 80er Jahren in Hamburg-Billbrook, in dem zwei asylsuchende Menschen ihr Leben verloren – nicht zu vergessen die zutiefst zu verurteilenden Taten des sogenannten NSU, die auch in Hamburg tiefe Wunden hinterlassen haben. Vor einigen Jahren bin ich nach Rostock-Lichtenhagen gefahren, um mir selbst ein Bild davon zu machen, wie sich das Ganze wohl ereignet haben könnte. Viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind in den 1990ern nach Deutschland geflohen und haben selbst einige Zeit in "Asylantenheimen" – ich nenne sie ganz bewusst so – gelebt. Ihnen hat in dieser Zeit das gleiche Schicksal gedroht, wie den Bewohner*innen der Sonnenblumenhäuser. Wir werden mit einer Gruppe Engagierter zum Jahrestag des Pogroms nach Rostock fahren, um Gesicht zu zeigen und ein Zeichen zu setzen", sagt Mesut Demirtas, ver.di-Jugendsekretär in Hamburg.

Alle wichtigen Infos zum Gedenken unter hamburg.verdi.de