Mit dem Referentenentwurf eines Bürger*innengeld-Gesetzes des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) soll eine "bedeutende sozialpolitische Reform" eingeleitet werden. Ziel soll es sein, mehr Respekt und mehr soziale Sicherheit in einer modernen Arbeitswelt zu verankern und unnötige Bürokratie abzubauen. So sollen Vertrauen und der Umgang auf Augenhöhe stärker in den Fokus rücken. Gleichzeitig soll die Leistung jedes/jeder Einzelnen mehr Anerkennung finden. Den Menschen sollen soziale Teilhabe, langfristige Perspektiven und neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden.

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Judith Kerschbaumer ist Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- & Sozialpolitik in der ver.di-BundesverwaltungFoto: privat

Darüber hinaus sollen die Regelbedarfe neu bemessen werden. Der Referentenentwurf, der am 14. September vom Kabinett gebilligt wurde, muss nun noch von Bundestag und Bundesrat, in dem die Ampel keine eigene Mehrheit hat, beschlossen werden. Zum 1.1.23 soll das Gesetz in Kraft treten. Das ist sowohl in zeitlicher wie auch in politischer Hinsicht ein Kraftakt. Es ist zu hoffen und alles daran zu setzen, dass die positiven Ansätze auf dem Weg durch das Gesetzgebungs-verfahren nicht der "schwarzen Null" der FDP geopfert werden. Auch das ist eine Frage des Respekts.

Das Bürger*innengeld-Gesetz enthält viele positive Ansätze, wie etwa den Wegfall des Vermittlungsvorranges, die Förderung der Fortbildung, die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes, den höheren Schutz der Wohnung sowie die Erhöhung der Bagatellgrenzen. An einigen Stellen muss jedoch nachgebessert werden. So sollte das Gesetz gleichermaßen für alle gelten und nicht nach Neuanträgen oder Bestandskunden unterscheiden. Dazu haben die Mitgliedsgewerkschaften mit dem DGB eine Stellungnahme in den politischen Prozess eingebracht. Zu den besonders ver.di wichtigen Aspekten des Bürger*innengeld-Gesetzes hat ver.di eine eigene, ergänzende Stellungnahme abgegeben, die von einer Arbeitsgruppe aus ehren- und hauptamtlichen Kolleg*innen erarbeitet wurde. Das Bürger*innengeld-Gesetz strebt einen Paradigmenwechsel an, weg von der Sanktionspraxis hin zu deutlich mehr Motivation und Vertrauen. Dieser kann aber nur gelingen, wenn er auch personell begleitet wird – ein Aspekt, für den sich ver.di ganz besonders einsetzt. Erforderlich ist eine intensive Beratung in unterschiedlichsten Lebenslagen, die sich auch in den Betreuungsrelationen zwischen Bürger*innen und Beschäftigten in den 405 Jobcentern abbilden muss. Neben einer entsprechenden Qualifizierung und einer deutlich besseren Personalausstattung müssen die Beschäftigten ausreichend Zeit für die neuen Aufgaben haben, insbesondere für Potenzialanalyse und Kooperationsplan. ver.di fordert deshalb, Supervision und andere Beratungsmöglichkeiten für die Beschäftigten im Gesetz zu verankern und nicht von der Durchsetzungskraft einzelner Personalrät*innen abhängig zu machen.

"Die Regelsätze müssen so bemessen sein, dass jede Frau und jeder Mann eigenständig ihre/seine Existenz sichern kann."

Ein wesentlicher Aspekt, der sich im Referentenentwurf noch nicht findet, ist die Neugestaltung und deutliche Anhebung der Regelsätze. Aktuell erhalten rund 5,2 Millionen Menschen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die bisherigen Hartz-IV-Leistungsbezieher*innen sind zu über 50 Prozent weiblich. Von den erwerbsfähigen Leistungsbeziehern*innen sind viele Alleinerziehende, Frauen mit niedrigen Monatseinkommen in Vollzeitbeschäftigung aber auch Teilzeitbeschäftigte, die auf diese Leistung zur Sicherung der eigenen Existenz – und ihrer Kinder – dringend angewiesen sind.

Im vorliegenden Gesetzesentwurf wird nun erstmals auch eine Zahl für die Neubemessung des Regelsatzes genannt, der bei 502 Euro monatlich liegen soll. ver.di fordert nachdrücklich, dass die Regelsätze so bemessen sein müssen, dass jede Frau und jeder Mann eigenständig ihre/seine Existenz sichern kann. Mit einem nur um rund 50 Euro höheren Regelsatz wird diese Forderung im Hinblick auf die explodierenden Preise und Lebenshaltungskosten keinesfalls erfüllt. Ausgehend vom aktuellen Regelsatz von 449 Euro, fordert ver.di einen angemessenen um mindestens 200 Euro angehobenen Regelsatz. Viele Menschen, die heute auf Hartz-IV angewiesen sind, benötigen schnell diesen höheren Regelsatz. Schon heute wissen viele nicht mehr, wie sie das Monatsende finanziell erreichen können. Deshalb müssen die Regelsätze noch so rechtzeitig in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden, dass die neuen Beträge auch zum 1. Januar 2023 ausgezahlt werden können.