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Trotz Regen: Auch Krankenhausbeschäftigte in Frankfurt fordern EntlastungFoto: Martin Schutt/dpa

Seit 2003 werden Krankenhausbehandlungen in Deutschland nach Fallpauschalen abgerechnet. Die Folge ist eine stetig wachsende Arbeitsbelastung, die Beschäftigte nicht länger hinnehmen wollen. An insgesamt 22 großen Kliniken haben sie in den letzten Jahren mit ver.di Vereinbarungen für Entlastung erkämpft. So bei Charité und Vivantes in Berlin und zuletzt an den sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen (NRW) im vergangenen Sommer. 77 Tage streikten die Beschäftigten dort für einen Tarifvertrag Entlastung – am Ende mit Erfolg. "Das war ein sehr harter Arbeitskampf, der den Kolleginnen und Kollegen extrem viel abverlangt hat", sagt Katharina Wesenick, Leiterin des ver.di-Fachbereichs Gesundheit in NRW. Dass eine solch langwierige Auseinandersetzung überhaupt nötig war, führt die Gewerkschafterin neben anderen Faktoren auf das System der Krankenhausfinanzierung zurück. Dieses habe die Verhandlungen erschwert.

Denn die jetzige Krankenhausfinanzierung spalte die Belegschaften potenziell: Während die Kosten der "Pflege am Bett" von den Krankenkassen voll refinanziert werden, gilt das für andere Beschäftigtengruppen nicht. "Wir hatten uns fest vorgenommen, Entlastung für alle zu erreichen – denn alle sind von Personalnot und Überlastung betroffen", sagt Wesenick. Voraussetzung für den Tarifabschluss sei deshalb gewesen, dass die Landesregierung als Eigentümerin der Unikliniken verbindlich zusagt, die Kosten des Tarifvertrags in den nicht kostendeckend finanzierten Bereichen zu übernehmen. "Das ist uns letztlich gelungen, wofür jede Menge politischer Druck nötig war."

DRG-System angebohrt

Mit dem Tarifvertrag sind nun personelle Mindestbesetzungen auf den Stationen und in den Abteilungen festgeschrieben. Für fast alle Pflegekräfte gilt: Werden die Vorgaben mehrfach (in einigen Bereichen im Jahresdurchschnitt) unterschritten, erhalten sie zusätzliche freie Tage als Belastungsausgleich. "Wir haben so viele in den Geltungsbereich dieser Regelung einbezogen wie in keiner der zuvor erreichten Entlastungsvereinbarungen", freut sich Wesenick. Doch das sei nicht für alle gelungen. Bei den sogenannten patientenfernen Bereichen wie IT, Technik und Transportdienst konnte ver.di lediglich die Einstellung von jeweils 30 zusätzlichen Vollkräften an den sechs Kliniken festschreiben. "Viel zu wenig", betont Wesenick.

Der Tarifkonflikt in Nordrhein-Westfalen wirft zugleich ein Schlaglicht darauf, wie das Finanzierungssystem den Kampf von Krankenhausbeschäftigten um bessere Arbeitsbedingungen hemmt. Im System der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, kurz: DRG) werden einzelne Behandlungen mit fixen Preisen vergütet. In Kombination mit der Konkurrenz der Kliniken untereinander schafft das den Druck, die Kosten permanent zu senken und zugleich die Fallzahlen zu steigern. Flächendeckend haben Krankenhäuser zudem Servicetätigkeiten in Tochter- oder Fremdfirmen ausgegliedert, um so Tarifverträge zu umgehen.

Gegen Lohndrückerei und Überlastung macht ver.di seit Jahren mobil. Ein erster Erfolg war, dass sich der damalige CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn 2018 gezwungen sah, die "Pflege am Bett" aus den Fallpauschalen herauszulösen und mit einem gesonderten Pflegebudget zu finanzieren. "Das hat den Spardruck in diesem Segment deutlich reduziert, was Tarifsteigerungen und Vereinbarungen zur Entlastung erleichtert", erläutert Grit Genster, Leiterin des ver.di-Bereichs Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik. "Das DRG-System wurde erstmals angebohrt. Da es aber grundsätzlich bestehen bleibt, hat sich der finanzielle Druck auf andere Bereiche dadurch noch weiter verschärft."

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD, will nun offenbar einen weiteren Schritt gehen. Anfang September kündigte er im Bundestag eine Reform an, mit der Kinderkliniken "komplett aus dem Bereich der Fallpauschalen entfernt werden" sollen. "Damit wird der ökonomische Druck auf diese Kliniken von jetzt auf sofort beendet", so Lauterbach. Die Finanzierung pädiatrischer Kliniken werde künftig "im Wesentlichen nach dem System der Kostendeckung" funktionieren. Gerade bei Kindern sei das unbedingt notwendig, so der Gesundheitsminister. Es könne nicht länger akzeptiert werden, dass in der Kinderkrankenhausversorgung ökonomische Aspekte Einfluss auf die Therapieentscheidungen haben.

Jetzt wird in Frankfurt gestreikt

Die Kinderkliniken den Fallpauschalen zu entziehen, sei absolut richtig, sagt Grit Genster. "Es wäre ein weiterer wichtiger Schritt zur Überwindung des DRG-Systems, das für einen Großteil der Probleme verantwortlich ist." Ökonomische Faktoren dürften nirgendwo medizinische Entscheidungen beeinflussen – auch nicht in der Erwachsenenmedizin. "Die Krankenhäuser brauchen eine auskömmliche Finanzierung. Zugleich muss die Bundesregierung ihr Versprechen einlösen, eine verbindliche und bedarfsgerechte Personalbemessung einzuführen", so Grit Genster mit Verweis auf einen vom Bundeskabinett Mitte September beschlossenen Gesetzentwurf. Dieser sei noch zu vage und unverbindlich und müsse vom Parlament deutlich korrigiert werden.

Klinikbeschäftigte wollen indes nicht darauf warten, bis die Bundesregierung wirksame Maßnahmen ergreift. Sie streiten weiter dafür, die Arbeitsbedingungen mit Hilfe von Tarifverträgen zu verbessern. Nun hat sich auch die Belegschaft der Frankfurter Uniklinik auf den Weg gemacht, einen Tarifvertrag Entlastung durchzusetzen. Ende August machten dafür mehr als 800 Beschäftigte mit einem zweitägigen Warnstreik Druck.

"Das DRG-System hat dazu geführt, dass wir mit immer weniger Beschäftigten immer mehr Patientinnen und Patienten versorgen müssen. Jetzt wehren wir uns", sagt der Gesundheits- und Krankenpfleger Richard Ulrich, der sich in der ver.di-Tarifkommission am Uniklinikum Frankfurt engagiert. Er sieht die Tarifbewegung für Entlastung auch als Teil einer größeren Auseinandersetzung um die Ausrichtung des Gesundheitswesens: "Wir wollen die bestmögliche medizinische Versorgung bei guten Arbeitsbedingungen. Das steht in grundlegendem Widerspruch zu Ökonomisierung und Gewinnmaximierung, die vom DRG-System befördert werden. Für mich ist daher klar: Weg damit!"

Die wichtigsten FAQs

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ruft unter dem Motto "Alarmstufe ROT" zu Aktionen auf. Was ist los?

Die Kliniken sind bereits finanziell unter Druck. Zusätzlich steigen jetzt auch noch die Energiepreise. Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts können 96 Prozent der Kliniken die Energiekosten nicht aus den laufenden Einnahmen bezahlen. Fast 40 Prozent sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Die DKG fordert deshalb einen sofortigen Inflationsausgleich. ver.di unterstützt das.

Wo liegen die strukturellen Probleme?

Die Krankenhausfinanzierung steht auf zwei Säulen: Investitionen sollen die Bundesländer, den laufenden Betrieb die Krankenkassen bezahlen. Doch die Länder kommen ihrer Verpflichtung seit 20 Jahren nur unzureichend nach. Die DKG beziffert die jährliche Investitionslücke auf 3,5 Milliarden Euro. Die Kliniken reagieren darauf, indem sie Geld für Investitionen zweckentfremden, das eigentlich für Personal und Krankenversorgung gedacht ist.

Wie wirkt das DRG-System?

Wenn Krankenhäuser mit ihren Kosten unter den Fallpauschalen liegen, können sie Gewinne machen. Andernfalls fahren sie Verluste ein. So entsteht ein permanenter Druck zur Kostensenkung durch Arbeitsverdichtung und Tarifflucht. Diesen Weg gehen insbesondere kommerzielle Träger, die sich zudem oft auf lukrative Fälle spezialisieren. Große Konzerne wie Asklepios und Helios erzielen auf diese Weise hohe Profite, während kommunale und freigemeinnützige Träger zunehmend von Insolvenz bedroht sind.

Was ist die Alternative?

Die volle Refinanzierung aller notwendigen Krankenhauskosten bei wirtschaftlicher Betriebsführung. Gewinnmaximierung wäre dann nicht mehr möglich. So war es in Deutschland bis Anfang der 1980er Jahre.