Gute Arbeitsbedingungen sind keine Selbstverständlichkeit, sie müssen erstritten und gestaltet werden. Das ist die Kernaussage einer aktuellen Broschüre "Gesunde Arbeit", die der ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit gemeinsam mit der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung in der Reihe "Praxis gestalten" herausgegeben hat.

Für harte Arbeitsbedingungen ist – nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie – die Krankenpflege bekannt. Zu wenig Beschäftigte auf den Stationen, körperlich wie psychisch fordernde Arbeit bei nicht gerade üppiger Bezahlung kennzeichnen den Krankenpflegeberuf. Doch wissen auch in diesem Bereich Beschäftigte und ihre Personalräte, dass gut gestaltete und tarifvertraglich abgesicherte Vereinbarungen die Arbeitsbedingungen sichtbar verbessern.

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Zum Beispiel mit INPULS – die Abkürzung steht für "INtensivPflege Und LeistungserfassungsSystem" –, ein 1997 von Pflegekräften des Universitätsklinikums Heidelberg entwickeltes System zur Personalbemessung für Intensiv- und Wachstationen. "Ein großer Vorzug dieses Systems ist, dass alle Arbeiten an den und um die Patient*innen detailliert erfasst sind", erklärt Regina Glockmann, die Personalratsvorsitzende des Uniklinikums. Daraus ergibt sich ein sechsstufiger Katalog mit minutengenau aufgeschlüsseltem Pflegebedarf. Für die höchste Kategorie 6 bedeutet das ein Verhältnis von einer Pflegekraft für eine*n Patient*in. Und: "INPULS wird stetig an neue Anforderungen angepasst."

26 Krankenhäuser bundesweit haben INPULS übernommen, darunter auch die Berliner Charité. In Baden-Württemberg ist das System seit 2018 Bestandteil des Entlastungstarifvertrages, der auch vorsieht, alle sechs Monate die Pflegeschlüssel der Intensivstationen offenzulegen. Regina Glockmann sagt: "Corona bringt hier leider Einschränkungen. Generell hat aber die tarifliche Einführung von Schichtbesetzungen aus INPULS dazu beigetragen, dass eine gute Versorgung gewährleistet werden kann." Nötig sei auch ein gutes Ausfallmanagement, das die Schichtbesetzung sicherstellt. "Deshalb haben wir eine tarifliche Ausfallquote von 20 Prozent vereinbart, die für Fort-⁠, Weiterbildung, Urlaub und Krankheitsfälle hinzukommt."

„43 Prozent der Frührenten in der gesetzlichen Rentenversicherung gehen auf psychische Diagnosen zurück“
Andrea Kocsis, stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende & Christoph Schmitz Bundesvorstandsmitglied

Die Kolleg*innen der Universitätsklinika in Baden-Württemberg haben beherzigt, was die ver.di-Broschüre "Gesunde Arbeit" allen Beschäftigten empfiehlt: mit Tarifverträgen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen bessere Arbeitsbedingungen zu regeln und umzusetzen. Dass das bitter nötig ist, zeige die zunehmende Zahl psychischer Erkrankungen, die zu Arbeitsunfähigkeit führen, schreiben die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende Andrea Kocsis und Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz im Vorwort. "Bereits 43 Prozent der Frührenten in der gesetzlichen Rentenversicherung gehen auf psychische Diagnosen zurück." Der Entlastungsbedarf sei im Dienstleistungsbereich mit vielen personennahen Berufen enorm.

Mehr Pflegekräfte auf allen Stationen hat der Tarifvertrag Entlastung am Universitätsklinikum Jena zum Ziel, der seit dem 1. April 2020 in Kraft ist. "Wir haben Untergrenzen beim Personal für jede Station vereinbart", sagt Susanne Kipping, Pflegerin auf einer kardiologischen Station und Mitglied der Tarifkommission. Muss ein*e Beschäftigte*r mehr Patient*innen versorgen als die Untergrenze vorsieht, gibt es einen Belastungspunkt. Sechs dieser Punkte bringen einen zusätzlichen freien Tag. "Auf diese Weise soll die Klinikleitung motiviert werden, mehr Personal einzustellen."

Im Moment krankt die Umsetzung des Tarifvertrages Entlastung jedoch an der Corona-Pandemie. So werden etwa Pflegekräfte von Normal- auf Intensivstationen mit Covid-19-Kranken versetzt. Dort zählten sie anfangs gleich voll mit, was unrealistisch gewesen sei, da sie eine spezielle Einarbeitung benötigten. Inzwischen sei dieser Mangel durch Nachverhandeln abgestellt worden, so Susanne Kipping. Es zeige sich aber auch an anderen Stellen, dass es an der praktischen Umsetzung der Regelungen hapere. "Die Kolleginnen und Kollegen müssen Belastungspunkte einfordern, die wegen falscher Berechnung nicht gewährt werden. Das tun sie noch zu selten." Mit Abschluss des Tarifvertrages wurde eine Kommission Entlastung gewählt, der Susanne Kipping angehört, und die über nötige Nachbesserungen weiterverhandelt.

"Wir haben Untergrenzen beim Personal für jede Station vereinbart"

Susanne Kipping, Pflegerin auf einer kardiologischen Station und Mitglied der Tarifkommission

Selbstläufer sind Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen nicht. Sie bilden – wie die Beispiele zeigen – eine wichtige Grundlage für bessere Arbeitsbedingungen und "Gesunde Arbeit", deren konkrete Gestaltung die ver.di-Broschüre mit weitreichenden Vorschlägen unterstützt. Dazu gehören auch die Themen Arbeitszeit, Leistungssteuerung und Qualifizierung.

Hier kann die Broschüre als PDF heruntergeladen werden:

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