Anfang September kündigte die Stadtverwaltung von Odesa den Start einer neuen Straßenbahnlinie an, der längsten in der Ukraine. Ihre Länge beträgt 29 Kilometer. Die Arbeit an dem Projekt begann lange vor der umfassenden Invasion durch die Russische Föderation, aber die Tatsache, dass sie schließlich in Zeiten umgesetzt wird, in denen Odesa und die umliegende Region häufig unter feindlichem Beschuss stehen, ist ziemlich bewundernswert.

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Olha VorozhbytFoto: privat

Gleichzeitig ist die aktuelle Situation des öffentlichen Verkehrs in ukrainischen Städten äußerst schwierig. Beim Beschuss von Dnipro am 29. September brannten im Depot der Stadt 52 Busse nieder, 98 wurden schwer beschädigt. Fünf Arbeiter wurden verletzt, drei getötet. Die Russen schlugen zu, als die Fahrer nach der Spätschicht abfuhren. Im März wurden in Charkiw mehr als 60 Straßenbahnen beschädigt, im Mai kündigten die Stadtbehörden an, einen Teil der Strecken abbauen zu wollen, weil Russland die Straßenbahndepots der Stadt zerstört hatte.

Niedrige Löhne, oft verzögert ausgezahlt

Seit der groß angelegten Invasion hat sich die Situation auch in Kyjiw einschneidend verändert. Nach Angaben von Kyjiwpastrans, dem öffentlichen Verkehrsunternehmen der Stadt, hat sich die Anzahl der öffentlichen Verkehrsmittel mehr als halbiert. Das Unternehmen versichert, dass die Reduzierung dem reduzierten Passagieraufkommen entspricht. Andererseits ist ein erheblicher Teil der Einwohner Kyjiws, die die Stadt im Februar oder März verlassen haben, bereits wieder zurückgekehrt. Allerdings bevorzugen sie im Moment, wenn möglich, ihre eigenen Autos, Taxis oder "Marschrutkas" – Minibusse privater Transportunternehmen. Auf den Strecken, auf denen der öffentliche Nahverkehr jetzt seltener verkehrt, nutzen die Einwohner nun Marschrutkas. Sie sind jedoch neben dem Auto das unökologischste Transportmittel.

Ein weiteres – das wahrscheinlich schmerzlichste Problem – für den öffentlichen Verkehr in den Großstädten, insbesondere in Kyjiw und Charkiw, ist die Verzögerung bei der Auszahlung von den ohnehin schon niedrigen Gehältern. Deshalb wollten die Busfahrer in Kyjiw im letzten Winter streiken. Die Stadtregierung kündigte daraufhin an, dass sie die ausstehenden Löhne tilgen würde. Kürzlich wollten aus diesem Grund auch die Busfahrer in Charkiw streiken. Zu spät gezahlte Löhne und die Reduzierung der eingesetzten Fahrzeuge lässt viele Fahrer zu privaten Spediteuren wechseln, oft also zu Marschrutkas.

In den letzten zehn Jahren haben die meisten ukrainischen Städte versucht, das öffentliche Verkehrssystem qualitativ zu verbessern. Es war ein langsamer und schwieriger Prozess, aber er brachte positive Ergebnisse. Es wurde versucht, die alten nicht-ökologischen "Marschrutkas" durch geräumigere Busse und Elektrofahrzeuge zu ersetzen, das Radwegenetz wurde ausgebaut und die Anzahl der Elektrofahrzeuge erhöht. Die Terroranschläge Russlands auf friedliche Städte schränken die Möglichkeiten dieser Art des öffentlichen Verkehrs jedoch erheblich ein. Während des letzten massiven Beschusses der Ukraine am 10. und 11. Oktober mussten Straßenbahnen und Busse in Lwiw einfach anhalten, weil russische Raketen die Umspannwerke trafen. Der ständige Beschuss durch die russische Armee und wirtschaftliche Schwierigkeiten machen es schwer, die positiven Veränderungen fortzuführen, die bis zum 24. Februar stattgefunden hatten. Doch selbst unter den derzeitigen Bedingungen hören sie nicht vollständig auf, wie nicht zuletzt die neue Straßenbahnlinie in Odesa zeigt.

Olha Vorozhbyt ist stellvertretende Chef-Redakteurin des ukrainischen Nachrichtenmagazins Ukrajinskyi Tyschden. Seit der Ausgabe 03_2022 schreibt sie regelmäßig für uns ein Update aus der Arbeitswelt in der Ukraine.