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ver.di und das Beratungsnetzwerk Faire Mobilität informieren die Fahrer*innen gemeinsam über ihre RechteFoto: Christian Ditsch

Weihnachtszeit ist Pakete-Zeit. Und damit genügend Päckchen auf den Gabentischen liegen, herrscht auch bei den Zustelldiensten in den letzten beiden Monaten des Jahres Hochbetrieb. Der Bundesverband Paket- und Express-Logistik (BIEK) rechnet für Weihnachten 2022 an Spitzentagen mit 20 Millionen Paketen täglich, das sind rund 5 Millionen mehr als im Jahresdurchschnitt. 4,51 Milliarden Pakete wurden im gesamten Jahr 2021 zugestellt.

Los geht die Spitzensaison bereits Ende September und hält an bis Ende Januar. Spürbare Höhepunkte in dieser Zeit sind etwa die vom Handel in den vergangenen Jahren aggressiv beworbenen Einkaufstage wie Black Friday oder Cyber Monday, aber auch die Tage vor Weihnachten. Dann bekommen die Zusteller*innen noch einmal mehr Sendungen in ihre Fahrzeuge.

Fahrer*innen haften für verlorene Pakete

Beladen werden die Wagen etwa in Birkenstein, am östlichen Rand von Berlin gelegen. Hier unterhält der Kurierdienst UPS sein Depot Berlin-Ost. Gegen 9 Uhr rollen wie aus dem Nichts unzählige braune Zustellfahrzeuge vom Hof. An diesem Morgen Ende November stehen Michael Wahl und Agnieszka Misiuk vom DGB-Beratungsnetzwerk Faire Mobilität auf dem Gehweg vor der Einfahrt, versuchen, die Fahrer*innen anzusprechen. Aber Zeit ist Geld in der Branche, die Wagen sind vollgepackt, die meisten halten nur an, weil sie nicht sofort in den fließenden Verkehr abbiegen können.

Ein freundliches "Dzień dobry", "Guten Morgen" auf Polnisch, kann zum Türöffner werden, denn viele kommen aus dem Nachbarland und kurbeln dann die Scheibe weiter runter. Auch die Flugblätter mit den kurzen Informationen über ihre Rechte auf türkisch und russisch werden immer wieder mitgenommen. "Rufen Sie uns an bei Problemen mit dem Chef, das ist kostenlos", geben sie den Männern mit auf ihren Weg. Viele der Fahrer*innen wissen nicht, welche Rechte sie hierzulande haben.

Als der Ansturm vorbei ist, erzählt Agnieszka Misiuk, dass sich immer wieder Fahrer*innen bei den Beratungsstellen von Faire Mobilität melden. Dann geht es um Pakete, die verschwunden sind, wofür die Fahrer*innen haftbar gemacht werden sollen. Um Schäden an den Fahrzeugen, die sie von ihren ohnehin schon knappen Gehältern bezahlen sollen. Um lange Arbeitszeiten, die nicht angemessen vergütet werden.

Zwar sind bei UPS bundesweit rund 45 Prozent der Zusteller*innen bei dem Unternehmen festangestellt, aber die, die hier in Birkenstein das Gelände verlassen, arbeiten für Subunternehmen. Während die Deutsche Post fast ausschließlich mit Festangestellten fährt und Tarifverträge abgeschlossen hat, gehören GLS, DHL Express, Amazon, DPD und Hermes zu den Paketdienstleistern, die praktisch fast ausschließlich mit Zusteller*innen von Subunternehmen arbeiten.

Der Zustellmarkt ist zudem extrem fragmentiert. 79,6 Prozent der Unternehmen haben ein bis neun Beschäftigte, teilweise handelt es sich um Soloselbstständige, teilweise geht die Auftragsvergabe stark verschachtelt über Sub- und Subsubunternehmen. Für Beschäftigte von solchen Firmen gelten in der Regel keine Tarifverträge, sie erhalten oft weniger Lohn und geringere, freiwillige Sozialleistungen. Und sie setzen damit auch die Beschäftigten unter Druck, die noch festangestellt und häufig zu besseren Bedingungen arbeiten. Dort ist die Angst, ausgegliedert zu werden und bei einem Subunternehmen anheuern zu müssen, gegenwärtig.

"Fair zugestellt statt ausgeliefert"

ver.di will da gegensteuern. Ende November fand deshalb die bundesweite Aktionswoche "Fair zugestellt statt ausgeliefert" statt, eine Fortsetzung ist in der Woche vor dem vierten Advent geplant. Die Fahrer*innen sollen über ihre Rechte informiert werden, bekommen Hilfe von ver.di und/oder Faire Mobilität angeboten. Denn das deutsche Arbeitsrecht gilt auch für sie. "Kontrollen des Zolls zeigen immer wieder Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben auf", sagt Stefan Thyroke, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Speditionen, Logistik, Kurier-, Express- und Paketdienste.

Der Zustellmarkt ist lukrativ. In der KEP-Studie 2022 ging die BIEK von einem Umsatz von 26,9 Milliarden Euro aus. Auch wenn Inflation, weltweite Lieferengpässe und die Folgen des Ukraine-Krieges die Wachstumsprognosen etwas gedämpft haben, rechnet der Verband bis 2026 miteiner Steigerung um 4,7 Prozent pro Jahr.

Die sogenannte letzte Meile, die Zustellung zur Haustür, ist teuer, auch weil sie personalintensiv ist. Daher wächst der Druck auf die Arbeitsbedingungen. Das zeigt sich auch um die Ecke des UPS-Depots Berlin Ost. Amazon hat ein Verteilzentrum in das Gewerbegebiet gebaut, eins von mittlerweile über 70 in Deutschland. Hier werden die aus den Logistik- bzw. Sortierzentren angelieferten Pakete für die Region auf die Zustellfahrzeuge verteilt. Gearbeitet wird in dem Gebäude überwiegend nachts. Als die Gewerkschafter*innen vor dem Gebäude ankommen, fährt gerade ein Bus polnische Beschäftigte aus der Nachtschicht zurück in die Gegend von Küstrin. Boris Bojilov spricht sie an. Er versucht, Beschäftigte für ver.di zu gewinnen und Betriebsräte aufzubauen. Er schätzt, dass von den 150 Beschäftigten des Verteilzentrums nur etwa 20 Prozent einen festen Vertrag haben.

Im Laufe des Vormittags werden dann die Zustellfahrzeuge beladen. Bis die Fahrer*innen das Signal bekommen, auf das Firmengelände zu fahren, stehen sie mit ihren Kleintransportern noch in den Straßen des Gewerbegebiets. In Fahrgemeinschaften kommen die Fahrer*innen mit dem Pkw teilweise über viele Kilometer hinweg Tag für Tag nach Birkenstein. Ob sie überhaupt einen Einsatz bekommen, erfahren sie meist erst am Abend vorher.

Auch diese Fahrer*innen sind nicht beim Auftraggeber, in diesem Fall Amazon, angestellt, sondern bei einem der zahllosen Sub- oder Subsubunternehmen, die der Versandhändler mit der Paketzustellung beauftragt hat. Nur ein Teil von ihnen ist in den dunkelblauen Fahrzeugen mit dem Amazon-Logo und dem Zusatz "Im Auftrag von" unterwegs, der überwiegende Teil fährt in weißen Kleintransportern, teilweise sogar noch mit dem Aufdruck der jeweiligen Mietwagenfirma.

"Dadurch lassen sich undurchsichtige Subunternehmerketten noch besser verschleiern", sagt Katarzyna Witoszek von Faire Mobilität bei einer Tour durch die Nebenstraßen. Die Auftraggeber wechseln, aber auch Subunternehmen machen dicht und die Fahrer*innen sind kurze Zeit später für Zustellfirmen mit ähnlich klingenden Namen unterwegs. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern, aus Polen, der Ukraine, aus der Türkei, aber auch aus Tschetschenien oder Syrien. Viele von ihnen sprechen kaum deutsch, haben häufig keinen klaren Aufenthaltsstatus, kennen ihre Rechte nicht. Sie sind froh, überhaupt einen Job zu haben. Und diese Umstände nutzen die Paketdienste aus, damit auch sie mit den boomenden Online-Bestellungen Gewinne machen können.

Faire Paketzustellung

Die ver.di-Forderungen:

Das Verbot des Einsatzes von Fremdpersonal

Gesundheitsschutz durch die Begrenzung des Gewichts von Paketen auf 20 Kilo sowie eine Kennzeichnungspflicht bei schweren Paketen

Wirksamere und mehr Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des bundesdeutschen Zolls

Mehr erfahren in unserem Blog „wir sind ver.di“

Interview mit einem Amazon-Fahrer

Interview mit dem Betriebsratsvorsitzenden in einem Amazon-Sortierzentrum