Twitter_Office.jpg
Twitter-Hauptsitz in San Francisco – dort wurden die meisten gekündigtFoto: JASON HENRY/NYT/Redux/laif (M)

"Bleibt zuhause", hatte Twitter seine Beschäftigten gewarnt. Am ersten Freitag im November blieben die Büros und Labore weitgehend leer. 3.700 Beschäftigte, die Hälfte der Twitter-Belegschaft, erhielten ihre Kündigung im Homeoffice. Manche wurden während laufenden Video-Konferenzen und Chats von den Rechnern abgeklemmt. Die meisten erfuhren es per E-Mail.

Die Massenentlassungen bei Twitter kamen so brutal daher, wie der neue Chef Elon Musk, der das Unternehmen erst wenige Tage zuvor für den absurden Preis von 44 Milliarden Dollar übernommen hatte. Aber sie waren bei weitem nicht die einzigen. Schon einen Monat vor seinem Ende ist dieses Jahr das härteste, das die Computerexperten im kalifornischen Silicon Valley seit 2001 erleben, als die Dot-Com-Blase platzte. In den ersten elf Monaten von 2022 haben Tech-Unternehmen in den USA mehr als 142.000 Kündigungen ausgesprochen.

Bei Facebook-Meta traf es 11.000 Beschäftigte – 13 Prozent der Belegschaft. Bei Amazon bislang 10.000 Beschäftigte – drei Prozent der Belegschaft, eine nicht bezifferte Menge von weiteren Beschäftigten sollen folgen. Auch mittlere Tech-Unternehmen – darunter der Lebensmittelhändler "Hello Fresh", der Immobilienmaker "Zillow", der Unterkunftsvermittler "Airbnb", der Transporteur "Lyft", die Bezahlplattform "Stripe" und der Lieferanten-Dienst "Door Dash" – setzten allein in den letzten Wochen jeweils Hunderte auf die Straße.

Die gut Bezahlten müssen gehen

Die Entlassungen treffen vor allem gut bezahlte "White Collar Worker" aus den Entwicklungsabteilungen: Softwareingenieure, Informationsanalysten, Programmierer, von denen manche erst während der Pandemie eingestellt worden sind. In den Jahren 2020 und 2021, während landesweit fast 23 Millionen Menschen ihre Arbeit verloren, schien Silicon Valley eine Insel der Glücksseeligen zu sein. Die Tech-Unternehmen stellten Zigtausende ein. Eine glänzende Zukunft sahen sie für ihre Online-Geschäfte. Doch in diesem Jahr ist das Anzeigenvolumen gesunken, die laufenden Kosten sind gestiegen, die Börsenwerte abgestürzt. Und: Die Furcht vor einer Rezession ist verbreitet.

"Ich habe das Unternehmen zu schnell wachsen lassen", entschuldigte sich der ehemalige Chef von Twitter, Jack Dorsey. Bei Facebook übernahm Mark Zuckerberg die "volle Verantwortung". Auch er vertraute auf die langfristige Zunahme von E-Geschäften und Werbung, investierte massiv und sagte den Gefeuerten in einer weinerlichen Geste per Video: "Leider hat es sich nicht so entwickelt, wie ich erwartet hatte."

Die massive Entlassungswelle fällt zusammen mit einer nie dagewesenen gewerkschaftlichen Mobilisierung in der Branche. Bei Google haben junge Beschäftigte in den letzten Jahren Walk-Outs wegen sexueller Belästigung und Diskriminierungen am Arbeitsplatz organisiert und die Alphabet Workers Union gegründet. Bei Amazon haben Beschäftigte an mehreren Standorten Abstimmungen über die Zulassung von Gewerkschaften durchgesetzt. Für die Tech-Industrie, die seit ihren Anfängen in den 1960ern versucht hat, Gewerkschaften zu verhindern, sind das enorme Veränderungen.

Beschäftigte sollen das Fürchten lernen

Der Fotograf David Bacon betrachtet die Kündigungswelle auch als eine Reaktion auf die Mobilisierungen und einen Versuch, die Beschäftigten einzuschüchtern: "Sie sollen das Fürchten lernen." In den 80ern hat er das selbst erlebt. Er war einer der Techniker, die versuchten, eine Gewerkschaft beim Chip-Hersteller "National Semiconductor" aufzubauen. Bacon und die meisten anderen Aktivisten wurden entlassen und auf schwarze Listen gesetzt.

Bei den Communications Workers of America (CWA), die auch die Gründung der Google-Gewerkschaft unterstützt hat, spricht Tom Smith von einem Generationenwechsel und einem neuen Denken, das den Wert von kollektiven Lösungen erkennt. "Viele Tech-Beschäftigte sind zwar gut bezahlt, aber sie verstehen und erleben die wachsenden Ungleichheiten", sagt er. "Sie haben hohe Studienschulden und wissen, dass ihnen der Weg zum Eigenheim verwehrt ist." Der Spitzengewerkschafter glaubt, dass die Mobilisierungen nach den Massenentlassungen zunehmen werden. "Viele waren entsetzt darüber, wie es geschehen ist. Gäbe es Gewerkschaften bei Twitter und Facebook, hätten die zumindest bessere Konditionen für die Entlassenen aushandeln können", sagt Smith.

Anders reagiert ein auf Risikoinvestitionen im Silicon Valley spezialisierter Experte, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er betrachtet die Entlassungen als "überfällige, kleine Anpassungen an den Trend". Die Tech-Branche habe wie auf einer Insel agiert, zu viele Leute an Bord geholt und zu hohe Löhne geboten. Jetzt hätten die entlassenen Ingenieure den Ansporn, sich bei anderen Industrien – wie der Klimabranche – zu verdingen, wo sie zwar weniger verdienen, aber dringend gebraucht würden.

In den nationalen Arbeitslosenstatistiken, die in den USA mit gegenwärtig offiziell 3,7 Prozent wieder annähernd auf dem Vor-Pandemie-Niveau liegen, schlagen sich die Entlassungen ohnehin kaum nieder. Und das Arbeitsministerium in Washington sieht unbeirrt eine große Zukunft für Softwareingenieure. Bis zum Jahr 2030 erwartet das Bureau of Labor einen Zuwachs von 22 Prozent neuen Stellen in der Branche.

Der 26-jährige Sawyer Birnbaum hat während des Studiums der Computerwissenschaft an der kalifornischen Stanford Universität erste Jobs bei Facebook und Microsoft gemacht. Dann ging Birnbaum für drei Jahre in die Entwicklungsabteilung eines Startups. Inzwischen ist er wieder an der Uni. Auch Sawyer Birnbaum ist nicht beunruhigt über die Zukunft seiner Kollegen und Kolleginnen. Traditionelle Hersteller wie General Motors und Visa und Walmart bieten zwar nicht denselben "sexy Appeal", sagt er, "aber auch sie brauchen Softwareingenieure".