Derzeit gibt es rund 1,8 Millionen abhängig Beschäftigte bei kirchlichen Trägern. Die meisten arbeiten unter dem Dach von Caritas und Diakonie, beispielsweise in Krankenhäusern, in der Altenpflege oder in Kindertageseinrichtungen. Finanziert werden diese Leistungen weit überwiegend aus allgemeinen Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen, genauso wie in nichtkonfessionellen Betrieben auch. Für die kirchlichen Träger gelten auch die gleichen Bedingungen bei Finanzierung und Wettbewerb um Klient*innen oder Arbeitskräfte. Sie betreiben – wie andere auch – Tarifflucht, nutzen Leiharbeit oder befristen die Arbeitsverhältnisse ohne Sachgrund – wenn auch teilweise kürzer.

Doch während für nichtkonfessionelle Betriebe das staatliche Arbeitsrecht gilt, pochen Kirchen auf weitgehende Sonderregelungen, zum Nachteil der kirchlichen Mitarbeiter*innen. Unter dem Deckmantel, die "eigenen Angelegenheiten" zu regeln, sind die Beschäftigten bei konfessionellen Trägern vielfachen Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Beispielsweise wird das Streikrecht nicht anerkannt, obwohl es grundsätzlich gilt.

Auch haben in der Vergangenheit immer wieder kirchliche Beschäftigte ihre Stelle verloren, weil sie sich für eine zweite Ehe oder eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft entschieden haben. Ein aktuelles Rechtsgutachten, das das Hugo-Sinzheimer-Institut der Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat, kommt nun zu dem Ergebnis, dass die Ungleichbehandlung von Beschäftigten der Kirchen nicht länger haltbar und nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt ist.

Das Rechtsgutachten bestätigt damit die Auffassung von ver.di, dass die kirchlichen Privilegien im deutschen Arbeitsrecht mit den europäischen Arbeitnehmerrechten in Konflikt stehen und vom Gesetzgeber eingeschränkt werden müssen. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, jetzt die notwendigen Änderungen vorzunehmen, um die Arbeitnehmerrechte in den kirchlichen Einrichtungen zu stärken, fordert ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Für Beschäftigte bei kirchlichen Trägern müssten dieselben Arbeitnehmerrechte gelten wie für alle anderen. Schließlich leisteten sie dasselbe, erlebten dieselben Belastungen und müssten genauso um höhere Löhne kämpfen wie ihre Kolleg*innen in nichtkonfessionellen Einrichtungen.

Deshalb kommt das Gutachten zutreffend zu dem Schluss, dass es keine ausschließlich "eigenen Angelegenheiten" der Kirchen mehr sein können, wenn kirchliche Arbeitgeber privatrechtliche Arbeitsverhältnisse schließen, sondern dass das staatliche Arbeitsrecht anzuwenden ist. Die Beschäftigten von Kirchen können genauso streiken wie andere auch. Das Betriebsverfassungsgesetz muss auch für sie gelten, und die Sonderregelung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, die es unter anderem erlaubt kirchliche Beschäftigte wegen des Kirchenaustritts zu entlassen, gehört gestrichen. Das Rechtsgutachten zeigt für diese Bereiche auf, dass Änderungen zu Gunsten der kirchlich Beschäftigten rechtlich nicht nur möglich, sondern auch geboten sind.

Marion Lühring

Peter Stein: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Arbeitsrecht und seine Grenzen, HSI-Schriftenreihe Band 47, Januar 2023, Download unter kurzelinks.de/wenc