Ausgabe 01/2023
Mitarbeiter*innen am Limit
Zwei Änderungen sind Anfang des Jahres in Kraft getreten: Zum einen haben deutlich mehr Haushalte Anspruch auf Wohngeld, zum anderen wurde das Bürger*innengeld eingeführt und damit die Regelsätze in der Grundsicherung erhöht. Verbunden mit diesen Änderungen der Bundesregierung sind zum Teil erhebliche Mehrbelastungen für die Beschäftigten in den Wohngeldstellen und den Jobcentern.
Ernst Quitterer, Verwaltungsleiter des Sozialamts der Stadt Nürnberg, verbringt derzeit viel Zeit in Vorstellungsgesprächen. Er geht davon aus, dass sich auch in Nürnberg die Zahl der Wohngeldanträge verdreifacht. Bundesweit sollen es nach Angaben der Bundesregierung zwei Millionen statt bislang 600.000 Haushalte sein. Sie will die Regierung damit von den Folgen steigender Mieten und Inflation entlasten.
Die Stadt Nürnberg hat beschlossen, neue Mitarbeiter*innen in der Wohngeldstelle einzustellen. 25,5 Stellen gibt es dort derzeit, allerdings war das Amt auch schon vor der Reform unterbesetzt. Nur 20,7 Stellen sind tatsächlich besetzt, der Bearbeitungsrückstand lag bereits zum Jahresende bei fünf Monaten. Der Fachkräftemangel ist deutlich zu spüren. Die Arbeit ist anspruchsvoll, erfordert viel Fachwissen.
Daher wurden die Aufgeben erst einmal umorganisiert. Erfahrene Kräfte wurden höhergruppiert, kümmern sich jetzt um komplexe Fälle, wie etwa Haushalte mit wechselnden Einkommen oder größere Bedarfsgemeinschaften. Sie arbeiten aber auch neu eingestellte Kolleg*innen ein. Die müssen gründlich geschult werden, fangen erst mal mit einfacheren Fällen wie Singlehaushalten an. "Zum Glück sind wir durch Corona mit der Digitalisierung schon recht weit fortgeschritten", sagt Quitterer.
Anträge werden meist online gestellt
Das bedeutet , dass Schulungen der Stadt online gemacht werden können. Zusätzlich werden entsprechende Angebote, etwa zu den rechtlichen Grundlagen, vom bayerischen Wohnungsministerium genutzt. Aber auch die Anträge werden weit überwiegend online gestellt. "Daher haben wir hier keine ungesteuerten Menschenmassen sitzen", so Quitterer – zumal ein Teil der Kolleg*innen so auch im Homeoffice arbeiten kann.
Ähnlich ist das Bild bei der Stadtverwaltung Hannover. Hier sind 35 Stellen in der Wohngeldstelle ausgeschrieben, zusätzlich zu den 55, die im Stellenplan stehen. Hier versucht man in erster Linie Nachwuchskräfte einzusetzen, also Azubis, die nach dem Abschluss ihrer Ausbildung befristet übernommen worden sind. Doch um die Azubis gibt es innerhalb der Verwaltung einen Wettbewerb, sagt Cornelia Gutschmidt, freigestellte Personalratsvorsitzende im Fachbereich Soziales. Denn unbesetzte Stellen gibt es innerhalb der Stadtverwaltung in vielen Bereichen. Insgesamt gibt es weniger Nachwuchskräfte als gebraucht werden.
"Die Menschen sind von uns eine hohe Verlässlichkeit gewohnt", sagt sie. Anträge wurden bislang in der Regel innerhalb von zwei Monaten bearbeitet, vollständige Anträge sofort. Doch das sei derzeit nicht zu halten. "Das schmerzt die Beschäftigten", sagt Gutschmidt. Deren eigenes hohes Verantwortungsgefühl verstärke das Belastungsgefühl.
Hinzu kommen weitere "Baustellen": Die Gesetzesänderungen, die Einführung der E-Akte, eine neue Software für die Wohngeldberechnung und ein anstehender Umzug in neue Büroräume. Letztere sollen mehr Platz schaffen, auch für die neuen Kolleg*innen, denn derzeit müssten Beschäftigte immer wieder ins Homeoffice ausweichen, längst gäbe es weniger Schreibtische als Kolleg*innen.
Zudem ist jetzt schon absehbar, dass im Sommer rund 6.000 zusätzliche Anträge aus der Grundsicherung und vom Jobcenter übernommen werden müssen. Doch auch die Beschäftigten in den Jobcentern stehen vor Änderungen. Zum Jahresbeginn wurden die Regelsätze erhöht. "Das sind in erster Linie Rechengrößen, die in den Berechnungsprogrammen geändert wurden", sagt der stellvertretende Personalratsvorsitzende der Jobcenter Region Hannover, Volker Zimmermann. 502 Euro bekommen etwa alleinstehende Arbeitssuchende jetzt, wenn ihr Arbeitslosengeld ausgelaufen ist, vorher waren es 53 Euro weniger. Zudem wurden Freibeträge erhöht.
Die Beratung verändert sich
Weitere Änderungen treten zum 1. Juli in Kraft. Ab dann steht Qualifizierung vor Vermittlung. "Damit verändert sich auch die Beratung", sagt Zimmermann. Die Beschäftigten müssten mehr darauf geschult werden, wie sie die Möglichkeiten und Motivation derjenigen erkennen können, die zu ihnen kommen. "Da geht es eher um Rolle und Haltung, der Mensch muss mehr im Mittelpunkt der Beratung stehen", sagt er.
Wie die Schulungen aussehen, ist noch offen, darüber ist der Personalrat mit der Geschäftsführung im Gespräch. Ebenso wie über Neueinstellungen. 130 Stellen fordert er, das sind acht Prozent mehr als derzeit. Denn bereits jetzt arbeiten die Jobcenter-Beschäftigen am Limit. Aufgrund der Energiekrise verlangen die Energieversorger höhere Beiträge, die dann vom Jobcenter übernommen werden müssen. Zudem treiben Energiekrise und Inflation immer mehr Menschen in die Mittellosigkeit.
Außerdem müssen die Anträge von zahlreichen aus der Ukraine Geflüchteten bearbeitet werden. "Das sind oft komplexe Anträge, nicht nur wegen der Sprachproblematik", sagt Zimmermann. Auf der Flucht vor dem Krieg haben diese Menschen meist nur ihre Ausweise mitnehmen können.
Insgesamt sei die Belastung der Jobcenter-Beschäftigten schon jetzt sehr hoch. Daher hofft er, dass die Geschäftsführung grünes Licht für die Einstellung neuer Kolleg*innen gibt. "Und wenn wir dafür auf die Straße gehen müssen", so Zimmermann.
Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle weist darauf hin, dass überall im öffentlichen Dienst ein enormer Arbeitskräftemangel herrscht. "Die Belastung der verbliebenen Beschäftigten steigt stetig an durch zusätzliche Aufgaben und mehr Anspruchsberechtigte. Das geht nur auf Kosten der Qualität und der Beschäftigten. Nur mit deutlich verbesserten Einkommens- und Arbeitsbedingungen kann der Öffentliche Dienst im Wettbewerb um Arbeitskräfte mithalten", sagt sie.