erdbeben_tuerkei_verdi_spenden_02.jpg
Wie ein Kartenhaus ist dieses Haus in der Türkei durch das Erdbeben im Februar eingestürztFoto: Sedat Suna/EPA/picture alliance

Im Haus der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin stellt Olga Losinskaya aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa die letzten Pakete ihres Hilfsprojektes für Familien ukrainischer Seeleute und Hafenarbeiter zusammen. Sie arbeitet bei der Marine Transport Workers' Trade Union of Ukraine (MTWTU), zu der ver.di schon seit langem sehr gute Kontakte hat. Kurz nach dem Beginn des brutalen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist die 35-Jährige mit ihrem deutschen Ehemann von Odessa nach Berlin geflohen. Sehr schnell hat sie hier mit der Hilfe von Gewerkschaften ein Hilfsprojekt für die Familien von Mitgliedern der Schwestergewerkschaft MTWTU gegründet.

"Gewerkschaften helfen" – das ist die Initiative des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften für humanitäre Katastrophenhilfe weltweit. Als die Elbe im Sommer 2002 über die Ufer trat, gründete sich die gewerkschaftliche Nothilfe. Seitdem hat der Verein die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften mehrere Male erfolgreich aufgefordert zu spenden: für Betroffene von Flutkatastrophen im In- und Ausland, aber auch bei einem Bergwerksunglück in der Türkei oder als in Bangladesch eine Textilfabrik abbrannte. Mehrere Millionen Euro Spenden – vor allem von Gewerkschafter*innen, hat der Verein Gewerkschaft helfen bis heute ausgezahlt.

Die Ahr-Flut

14. Juli 2021: Als die Wasserlawine die ersten Fenster zerbersten ließ, war Holger Karaschewitz allein im Keller. Er wollte noch schnell ein paar Familiendokumente retten. Seit 30 Jahren verheiratet, vier inzwischen erwachsene Söhne, ein eigenes Haus, ohne Ende Anschaffungen – da kommt eine Menge zusammen: all die Zeugnisse, Quittungen und Versicherungen, die Bilder und Geburtstagsvideos, Bank- und Versicherungsunterlagen, Heirats- und Geburtsurkunden. Es war kurz vor 22:30 Uhr, durch die Kellerfenster stieg das Wasser und Holger Karaschewitz öffnete den ersten Schrank des Familienarchivs.

"Ich dachte, es wird erst gefährlich, wenn mir das Wasser bis zur Brust steht", erzählt der heute 61-Jährige. Falsch. Wenige Minuten vorher hatte ihn ein Freund, der ein paar Meter höher im Tal wohnt, gewarnt: "Geht endlich, ihr seid in Lebensgefahr." Holger Karaschewitz ging stattdessen in den Keller, Erinnerungen und Dokumente retten.

"Wenn das Wasser 40 Zentimeter hoch im Raum steht, kriegst Du die Kellertür aus eigener Kraft nicht mehr auf. Das Wasser ist einfach zu mächtig", weiß er heute. Zum Glück hatten seine Frau und zwei seiner Söhne den Knall der zerspringenden Fenster gehört. Sie rannten in den Keller, den Ehemann und Vater retten, stemmten sich dem Wasser mit aller Kraft entgegen und konnten die Tür einen Spalt weit aufdrücken: groß genug, damit ein Kind durchpasst und bei Todesgefahr auch ein 60-jähriger Mann, der auf der anderen Seite der Kellertür seine Liebsten hört, die ihn vor dem Ertrinken retten wollen.

Hinter Holger Karaschewitz – gelernter Koch, Barchef im Steigenberger Hotel einen Kilometer weiter – lag an diesem Tag, an dem sie eigentlich den Geburtstag seiner Frau feiern wollten, bereits eine sehr schwierige Zeit. Anderthalb Jahre Corona mit Kurzarbeitergeld für ihn und seine Frau hatten die wenigen Ersparnisse deutlich schrumpfen lassen. Als sie nun endlich aus ihrem Haus flüchteten, ging der Alptraum weiter. Die Nachbarn schrien in der dunklen Nacht um ihr Leben, das Licht war ausgefallen. Durch die Straßen treibende Autos knallten laut aufeinander, und die 90-jährige Nachbarin kam allein nicht aus dem Haus heraus.

Zu viert konnten sie die 90 Kilo schwere Rollstuhlfahrerin auf ein Brett hieven und die Straße hoch schaffen, soweit den Hang hoch, dass die Flut dort nicht hinkam. Ein Nachbar, der tot am Grundstücksrand lag, und die frühere Babysitterin seiner Kinder – fünf Tage später nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt gefunden – schafften es nicht mehr. "Es war ein Horrorfilm", sagt Karaschewitz heute. Am Ende des Tages hatten sie nahezu allen materiellen Besitz verloren. Nur das Haus stand noch, zerstört.

Soforthilfe aktiviert

Sebastian Hebeisen, DGB-Geschäftsführer der Region, war am nächsten Morgen von Koblenz nach Saarbrücken zu einer DGB-Veranstaltung unterwegs. Als er losfuhr, regnete es immer noch, wie seit Tagen schon. "Normalerweise", sagt er, "ist die Ahr so winzig, dass man bei wenig Wasser noch nicht mal Kanu drauf fahren kann." Jetzt ließ der Dauerregen das eigentliche Rinnsal sieben Meter höher als normal anschwellen, an einigen Stellen staute sich das Wasser auf mehr als 10 Meter. Die Ahr riss Schlamm, Zäune, Heizkörper, Bäume, Motorräder mit sich und schleuderte sie Richtung Tal. Sebastian Hebeisen begegnete an diesem Tag viel Blaulicht auf der Straße. Als er das Radio anschaltete, sprachen die Nachrichten von zehn Toten, später waren es schon 30, und als er in Saarbrücken eintraf, "war klar, dass wir etwas tun müssen, mit Gewerkschaften helfen."

Ein Anruf in Berlin, und die Nothilfe war aktiviert: 20.000 Euro zahlte der DGB-Regionsgeschäftsführer in den kommenden Tagen im Auftrag von Gewerkschaften helfen aus, anhand von Listen von Flutopfern, die ihm die Einzelgewerkschaften genannt hatten. Betroffene bekamen sofort bis zu 500 Euro in bar als schnelle Soforthilfe und später noch einen vierstelligen Beitrag als Unterstützung. Einer von ihnen: Holger Karaschewitz. "Ich bin Gewerkschaften helfen sehr dankbar für die Unterstützung, wir haben fast 3.000 Euro bekommen", sagt er.

Vor dem Steigenberger, ihrer Arbeitsstelle, trafen sich Karaschewitz und andere betroffene Kolleg*innen, damit Sebastian Hebeisen ihnen auf einer Holzkiste das Geld auszahlen konnte. "Einige haben Rotz und Wasser geweint." Die Flut hatte ihnen nicht nur ihr Haus, sondern auch noch ihren Arbeitsplatz geraubt. Wie viele andere Häuser ist auch das Hotel Steigenberger noch nicht wiederaufgebaut – Holger Karaschewitz und seine Kolleg*innen können bis heute nicht wieder arbeiten gehen.

Im ver.di-Haus in Berlin ist Olga Losinskaya fertig. Über 700 Pakete in drei Varianten hat sie bisher gepackt – ein Erstausstattungspaket mit Hygieneartikeln, ein Wohnungsausstattungspaket mit Bettwäsche und Küchentextilien sowie eine Kinderbox mit Malstiften, Unterrichtsmaterial und Spielen. Die Pakete verschickt sie bundesweit, von dem Büro aus, das ihr die ver.di-Bundesverwaltung zur Verfügung gestellt hat: "Nur die wenigsten ukrainischen Familien leben in Großstädten wie Berlin, die meisten sind in kleinen Städten oder auf dem Land gelandet", sagt Olga.

Der Hamburger ver.di-Landesverband hatte auch schon vor Ausbruch des Krieges Kontakt zur MTWTU und hat mit der Unterstützung von Olga und der finanziellen Unterstützung von Gewerkschaften helfen Sanitärartikel nach Odessa schicken können. Insgesamt 25.000 Euro haben Gewerkschaften bisher insgesamt für Olgas Projekt für die ukrainischen Familien gespendet – den Großteil davon Gewerkschaften helfen.

Hilfe für Geflüchtete

ukraine_kriegt_verdi_spenden_01jpg.jpg
Mit Sachspenden unterstützt der Verein ukrainische GeflüchteteFoto: privat

Es ist eines von mehreren Hilfsprojekten, mit dem der Verein Menschen in und aus der Ukraine unterstützt – Hilfe, die ankommt, wie eine Mutter Olga schrieb: "Als meine Familie und ich das erste Set erhielten, waren wir wegen des Krieges noch in einem so schrecklichen Stresszustand, dass es mir gar nicht in den Sinn kam, Ihren Kontakt zu suchen und zu schreiben, wie schön es ist, in einem fremden Land eine kleine Unterstützung zu erhalten – eine Schachtel, die jemand zusammengestellt hat, um sein Mitgefühl auszudrücken. Danke an Sie und Ihr Team!"

Aktuell sammelt Gewerkschaften helfen zugunsten der Opfer der Erdbeben in der Türkei und Syrien. Spendenkonto: Gewerkschaften helfen e.V., Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien, IBAN: DE55 2505 0000 0152 0114 90, BIC: NOLADE2HXXX. Spender*innen, die eine Spendenquittung erhalten möchten, geben bitte direkt in der Überweisung ihren vollständigen Namen und ihre Adresse an und bekommen Anfang des nächsten Jahres die Spendenbescheinigung.