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Tarif-Guerilla in Nordrhein-Westfalen – bundesweit streiken Beschäftigte im Handel für deutlich höhere LöhneFoto: Dietrich Hackenberg

Die Stimmung in der Stuttgarter Innenstadt ist an diesem Freitag im Juni kämpferisch. Gut 350 Streikende aus Einzelhandelsbetrieben wie Kaufland, H&M, Ikea, Galeria Karstadt Kaufhof, Primark und Zara beteiligen sich an der Demonstration. "Wir alle haben den Laden am Laufen gehalten", sagt eine Kaufland-Mitarbeiterin. "Nun sollen wir nicht einmal genug Lohnerhöhung bekommen, um die gestiegenen Kosten für Lebensmittel und Strom bezahlen zu können. Dabei ist klar: Ohne uns kein Geschäft!"

Die Handelsunternehmen aber geizen, wenn es um die Beschäftigten geht. Viele von ihnen haben in der Corona-Pandemie ihre Gewinne gesteigert. Doch an die Beschäftigten wollen sie davon nur wenig abgeben. In den aktuell laufenden regional geführten Entgelttarifrunden für den Einzel- und Versandhandel sowie für den Groß- und Außenhandel bieten sie nur Mini-Lohnerhöhungen. Das treibt die Beschäftigten auf die Straße.

Insgesamt waren am Streiktag am 9. Juni in Baden-Württemberg rund 1.600 Beschäftigte im Ausstand. Mehr als 600 Mitarbeiter*innen aus den Großhandelsstandorten von Edeka in Heddesheim, Ellhofen und Balingen legten die Warenversorgung für den Einzelhandel des Lebensmittelkonzerns in der Region teilweise lahm. "Es brodelt im Handel. Wenn die Arbeitgeber ihre Angebote nicht kräftig verbessern, werden die Zahlen der Streikenden noch erheblich steigen", erläutert Wolfgang Krüger, ver.di-Verhandlungsführer in Baden-Württemberg. Die Forderungen lauten hier auf 13 Prozent mehr für den Groß- und Außenhandel sowie 15 Prozent Erhöhung für den Einzelhandel.

"Die Beschäftigten können weitere Reallohnverluste nicht hinnehmen"
Silke Zimmer, Verhandlungsführerin in NRW

Wie im Südwesten streiken derzeit landauf, landab Kolleg*innen aus dem Handel für Entgelterhöhungen, die ihren Namen auch wert sind. Doch bei den Arbeitgebern ist bisher keine Einsicht erkennbar. Auch in der dritten Verhandlungsrunde für 517.000 sozialversicherungspflichtige und 197.000 geringfügige Einzelhandelsbeschäftigte im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) am 12. Juni sind sie bei einem Angebot geblieben, das weit unter der Inflationsrate liegt.

Weitere Streiks

"Die Beschäftigten können weitere Reallohnverluste nicht hinnehmen", sagt ver.di-Verhandlungsführerin Silke Zimmer. "Sie sind auf schnelle, nachhaltige und tabellenwirksame Tariferhöhungen angewiesen." Nötig sei mehr Druck auf die Arbeitgeber; die Streiks sollen ausgeweitet werden. Auch in NRW haben bereits mehrere Arbeitskämpfe in verschiedenen Städten stattgefunden, um der Forderung nach 2,50 Euro mehr Gehalt und Lohn pro Stunde Nachdruck zu verleihen. Außerdem setzen sich alle ver.di-Landesfachbereiche für eine Laufzeit von zwölf Monaten und für die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge ein, denn die Tarifbindung ist in den letzten Jahren auf unter 30 Prozent zurückgegangen.

Auch im ver.di-Landesbezirk Bayern haben sich bereits mehrfach Kolleg*innen aus dem Handel an Arbeitskämpfen beteiligt. Am zentralen Streiktag legen sie quer durch die beiden Branchen die Arbeit nieder, unter anderem bei Amazon in Graben, den vier Edeka-Großhandelsstandorten, den Zentrallagern von Lidl, Rewe und Kaufland sowie bei H&M.

"Im April sind die Preise für Lebensmittel um 17,2 Prozent gestiegen. Die Arbeitgeber bieten nach zwei Verhandlungsrunden für das laufende Jahr gerade einmal 52 Cent mehr Entgelt pro Stunde", verdeutlicht der ver.di-Verhandlungsführer für den bayerischen Einzelhandel, Hubert Thiermeyer, die Diskrepanz zwischen Angebot und Bedarf. Weiterer Reallohnverlust mache die Kolleg*innen sauer, deshalb gingen sie auf die Straße.

Bei mehr als 250 Aktionen vor den Verhandlungen am 13. Juni in Bayern sind rund 4.000 Streikende im Ausstand. Da die Arbeitgeber keine substanziellen Verbesserungen angeboten haben, hat ver.di auch für Bayern die Ausweitung der Streiks angekündigt. Thomas Gürlebeck, der im Süden auf ver.di-Seite die Tarifverhandlungen für den Groß- und Außenhandel führt, stellt unmissverständlich klar, dass die Beschäftigten dieser Teilbranche das Rückgrat der bayerischen Wirtschaft sind. "Sie machen unter schwierigen Bedingungen einen Superjob und versorgen uns tagtäglich. Da ist doch Respekt und Wertschätzung auch beim Gehalt das Mindeste, was sie erwarten können."