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Foto: NGBK

Nächster Halt Kotti

Kunst im Untergrund – Junkies, Polizei, Obdachlose, Pendler*innen, Taschendiebe, Touristen – das Kottbusser Tor, in Berlin "Kotti" genannt, ist einer der gegensätzlichsten Orte der Stadt. Dort treffen in den U-Bahnlinien 1 und 8 Welten aufeinander: Menschen aus dem tiefen Neukölln und dem vorstädtischen Wittenau, aus dem jugendlichen Friedrichshain und dem mondänen Charlottenburg. Die U-Bahnen transportieren Beschäftigte, Schüler*innen, Kauflustige und Partyvolk. Und an manchen Tagen trifft sich eine Mischung von allen am Kotti, dem Teil Kreuzbergs, der seit den 1960er Jahren überwiegend von Familien türkischer Gastarbeiter bewohnt wird. Klein-Istanbul nennen ihn manche. Und es ist ein Ort, der von sozialem Widerstand geprägt ist – aktuell gegen die Vertreibung von Menschen, die die rasant gestiegenen Mieten nicht mehr zahlen können. Der 1. Mai wird mit einem Straßenfest gefeiert, das manches Jahr nahtlos in den revolutionären Mai mit Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und Polizei übergeht. Und dieser Ort ist nun über den Sommer ein Ort der Kunst: Die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) stellt dort unter anderem mit der Konzeptkünstlerin Irene Fernandez Arcas die Ergebnisse des internationalen Kunstwettbewerbs "Kunst im Untergrund" aus.

Fernandez Arcas möchte mit ihrer Kunst heilen. Ihre bunten Bilder hüllen den Bahnsteig der U1 ein wie einen Wald, der als Zufluchtsort gedacht ist, in dem jede*r über einen QR-Code 15 Minuten angeleitet in sieben Sprachen meditieren kann. Die Künstlerin möchte so Intimität und Verbundenheit im urbanen Umfeld schaffen, blickt aber gleichzeitig kritisch auf die rein wirtschaftliche Vermarktung von sogenannter Self-Care. Auch hinter den anderen Ausstellungsorten unter der Erde beziehungsweise in den überirdischen U-Bahnstationen steht die Idee des Platzes als Ort des Gemeinwohls. Das Kollektiv Liminal Beast of Prey veranstaltet vor dem Roten Rathaus Ringkämpfe, um aktuelle politische Entwicklungen darzustellen. Und das mit Humor, egal, ob es um queere Identitäten oder postkapitalistische Sehnsüchte geht. Performt wird auch am Strausberger Platz, und auch dort geht es um Identitäten, aber auch um Ausbeutung in Afrika, wo seltene Erden für unsere Smartphones unter teils miesesten Bedingungen von Händearbeit gewonnen werden. U-Bahnfahren in Berlin ist so oder so ein Erlebnis, diesen Sommer ein ganz besonderes. Petra Welzel

U1/U5/U8 BERLIN, ROTES RATHAUS, STRAUSBERGER PLATZ, KOTTBUSSER TOR, PROGRAMMÜBERSICHT UNTER NGBK.DE, BIS 10. AUGUST

Charlotte Salomon

Das vermeintliche Leben in Charlotte Salomons getuschtem Buch "Leben? oder Theater?" beginnt mit dem Tod. Die 18-Jährige Charlotte Knarre, das Alter Ego der jüdischen Künstlerin Charlotte Salomon (1917 Berlin – 1943 Auschwitz) ertränkt sich im Schlachtensee Berlin.

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Das vermeintliche Leben in Charlotte Salomons getuschtem Buch "Leben? oder Theater?" beginnt mit dem Tod. Die 18-Jährige Charlotte Knarre, das Alter Ego der jüdischen Künstlerin Charlotte Salomon (1917 Berlin – 1943 Auschwitz) ertränkt sich im Schlachtensee Berlin. Als Salomon die Arbeit an ihrem etwas anderen Tagebuch beginnt, 1939 nach ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten aus Berlin nach Südfrankreich, erfährt sie dort von ihren Großeltern von einem anderen Schicksal ihrer Familie, die durch die Hatz auf Juden und Jüdinnen auseinandergetrieben wurde: nämlich von einer Reihe von Selbstmorden in der weiblichen Linie der Familie, einschließlich der eigenen Mutter. Durch die Judenverfolgung vom Tod bedroht, wird Salomons unermüdliche Arbeit an ihrem Buch, die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte und der ihrer Familie, das Mittel zum Überlebenskampf, auch gegen die eigenen Dämonen. 768 Gouachen umfasst das von ihr so genannte "Singespiel" aus drei Akten, das durch seine Farben, den Pinselstrich und ebenso gemalten Textpassagen bis heute gleich einer modernen Graphic Novel in den Bann zieht. Ihre Bilder sprechen Bände über ein Künstlerinnen-Leben in der NS-Zeit. Und bleibt damit einmalig.

Petra Welzel

STÄDTISCHE GALERIE IM LENBACHHAUS, LUISENSTR. 33, 80333 MÜNCHEN, DI 10–21, MI–SO 10–18 UHR, BIS 10. SEPTEMBER

Plastic World

Die überdimensionalen Anemonen aus Plastik von Otto Piene wirken ähnlich bedrohlich wie die Spinnen aus Bronze der französischen Künstlerin Louise Bourgeois. Wo immer die Spinnen stehen, muss sich niemand vor ihnen fürchten.

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Letztlich auch nicht vor den Plastik-Anemonen. Doch im Gegensatz zu den bronzenen Spinnen durchdringt der Werkstoff Plastik längst unsere gesamte Welt und inzwischen vermutlich auch jeden Haushalt weltweit. Plastik ist fast überall verfügbar und vor allem billig. In dieser Ausstellung wird der künstlerischen Verwendung des Materials seit den Anfängen in der 1950er Jahren nachgespürt. Vom Plastic Age war seinerzeit die Rede, als noch kaum jemand die Folgen der massenhaften Verwendung des synthetischen Stoffes beachtete. Auch wenn der Garten Eden aus Plastik von Gino Marotta von um 1970 eher noch eine Ode an den Werkstoff darstellte, wirkt der giftgrüne Garten heute wie ein Zeichen für das zunehmende Verschwinden von Natur. Eine Ausstellung für Freunde des Trashs genauso wie für Klimaaktivist*innen, denn vor allem die jüngeren Arbeiten setzen sich kritisch mit dem Plastik auseinander.

Petra Welzel

SCHIRN, RÖMERBERG, 60311 FRANKFURT, DI, FR–SO 10–19, MI/DO 10–22 UHR, BIS 1. OKTOBER