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Megon möchte sich nach ihrer Ausbildung in der Amy Foundation als Kosmetikerin selbstständig machen

Am Anfang stand ein grausamer Mord. Amy Biehl wollte am 25. August 1993 Freunde nach Hause fahren, als ein wütender Mob in Kapstadts Township Gugulethu ihr Auto attackierte. Südafrika befand sich damals an der Schwelle von der Apartheiddiktatur zur Demokratie, ein Jahr später sollte Nelson Mandela der erste frei gewählte Präsident des Landes werden. Noch aber terrorisierte die Polizei des weißen Regimes die Schwarzen in den Townships. So auch an jenem Tag, als die Einsatzkräfte eine friedliche Demonstration zerschlagen hatten – entsprechend gereizt war die Stimmung.

Als eine Gruppe überwiegend junger Männer Amy Biehl, eine US-Amerikanerin, sah, schrien sie Parolen gegen Weiße. Einige Angreifer zerrten die junge Frau aus dem Wagen, attackierten sie mit Ziegelsteinen und stachen schließlich mit Messern auf sie ein. Das Flehen von Biehls schwarzen Freunden, die verzweifelten Schreie, dass sie doch eine der ihren, eine Genossin, sei – es half nichts. Amy Biehl, die als Doktorandin der Politikwissenschaften nach Südafrika gekommen war, um beim Aufbau einer neuen, nicht rassistischen Gesellschaft mitzuhelfen, wurde nur 26 Jahre alt.

Bemerkenswert ist, was fünf Jahre nach dem Mord geschah. Inzwischen war eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingerichtet worden, die unter Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu die Verbrechen der Apartheid-Ära aufarbeiten sollte. Im Gegenzug für die vollständige Offenlegung ihrer Verbrechen konnten die Täter von einst eine Amnestie beantragen, wenn sie aus politischen Motiven gehandelt hatten. Der Gedanke dahinter: Nicht Bestrafung, sondern Aussöhnung sollte das Fundament des neuen Südafrikas bilden. Auch die vier Männer, die für den Mord an Biehl ursprünglich zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren, beantragten ihre Freilassung.

Biehls Eltern hätten vor der Kommission ein Veto einlegen können. Doch sie stimmten zu. Sie waren überzeugt vom Konzept der Versöhnung, und sie glaubten, dass auch ihre Tochter es so gewollt hätte. Kurze Zeit später traten zwei der Täter an die Biehls heran. Sie wollten eine Initiative gründen, um jungen Menschen Perspektiven zu geben, um Armut, mangelnden Bildungschancen und Bandenkriminalität etwas Positives entgegenzusetzen. Gemeinsam mit den Mördern ihrer Tochter bauten die Biehls schließlich eine Stiftung auf. Heute fördert die "Amy Foundation" etwa 1.800 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Kapstadts Townships.

61 Prozent Jugendliche arbeitslos

Trevious Ndebele ist einer von ihnen. Der 24-jährige wuchs in Gugulethu auf, vis-a-vis des Amy-Biehl-Gedenksteins. Heute durchläuft er ein dreimonatiges Ausbildungsprogramm der Amy Foundation, sein Ziel ist ein Arbeitsplatz im Gastgewerbe. "Wir können hier einiges lernen, wie wir kommunizieren, wie wir uns um Gäste kümmern, aber auch wie wir uns selbst sehen und uns selbst motivieren", sagt Trevious. Ein leichter Weg ist das nicht für ihn. Die Eltern leben getrennt, zwei Geschwister hat er bereits verloren, von den beiden verbliebenen Brüdern ist einer Alkoholiker, der andere drogenabhängig. Er selbst schreibt Gedichte, um den Schmerz zu verarbeiten, bald will er sie bei einer Veranstaltung auf der Bühne vortragen.

Zum Gespräch im Konferenzraum trägt Trevious noch das Haarnetz, das in der Lehrküche Pflicht ist. Die Kursteilnehmer lernen praxisnah und bereiten für das gesamte Ausbildungszentrum das Mittagessen zu. In den Kursen geht es darum, die jungen Erwachsenen auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Etwa die Hälfte von ihnen hat keinerlei Vorerfahrung in der Arbeitswelt. Die Stiftung kooperiert deshalb auch mit Betrieben, die die Kursabsolventen in Praktika übernehmen. Landesweit liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 61 Prozent. Für das Gros der jungen Menschen in Südafrika ist die Situation schlicht hoffnungslos.

"Die kommen hier mit sehr wenig Selbstbewusstsein an", sagt die stellvertretende Programmleiterin Trudy Louw über ihre Schützlinge. Die Gründe dafür liegen allerdings nicht nur in der Arbeitsmarktsituation und im Scheitern des Bildungssystems, das Kindern aus den Armenvierteln kaum Chancen bietet. Hinzu kommen soziale Probleme. Gerade eben musste sich Louw noch um eine junge Programmteilnehmerin kümmern, die in Tränen ausgebrochen war. "Sie wurde vergewaltigt als sie fünf und als sie 13 war und jetzt lebt sie mit einem Mann, der sie unterdrückt. Das sind die Fälle, mit denen wir hier Tag für Tag konfrontiert sind", sagt Louw.

„Manche jungen Menschen haben nicht den Mumm, die Mauern zu durchbrechen und nach einer Arbeit zu suchen.“ Curtley Slingers, 23, Koch in der
Stiftungsküche

"Die Mehrheit der Kinder kommt aus Haushalten und Familien, die sehr stark benachteiligt sind, aus einem sehr schwierigen Umfeld", sagt auch Siyabonga Ngqame, Programmmanager der Nachmittagsprogramme der Stiftung für Schulkinder. "Das Sandwich, dass sie bei uns nachmittags um 17 Uhr bekommen, ist für viele die letzte Mahlzeit des Tages."

In der Nachmittagsbetreuung erhalten die derzeit 1.190 Kinder im Alter von 5 bis 18 Jahren in fünf Jugendzentren Nachhilfeunterricht und einfach eine "Chance zu spielen und zu tanzen", sagt Ngqame. Auch der Sport spielt eine große Rolle, im Fußball und Netball spielen die Mannschaften sogar im Ligabetrieb, die talentiertesten Kinder können bei Sichtungstrainings von Profiteams auf sich aufmerksam machen. "Wir zeigen diesen Youngstern eine Welt, zu der sie sonst keinen Zugang hätten", sagt Ngqame.

Eine Chance hinter jeder Tür

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Curtley (li.) ist in der Stiftung als Koch geblieben, Trevious sein AzubiFotos: Christian Selz

Übertragen lässt sich das auch für die Berufsausbildungsprogramme für die jungen Erwachsenen. Hinter jeder Tür, so scheint es beim Rundgang durch das Zentrum der Stiftung im Kapstädter Arbeiterviertel Sybrand Park, herrscht emsiges Treiben. Im Obergeschoss sticht der beißende Geruch von Lack in die Nase, eine Gruppe aus überwiegend jungen Frauen lernt hier die Grundlagen der Nagelpflege und Kosmetik. Einen Raum weiter findet eine Theoriestunde zu Massagen statt, die Liegen für den praktischen Teil stehen schon bereit. Eine Etage tiefer feilt die Technikgruppe gerade an Werkstücken.

"Manche jungen Menschen haben nicht den Mumm, die Mauern zu durchbrechen und nach einer Arbeit zu suchen", sagt Curtley Slingers, der gerade die Sandwiches fürs Mittagessen zubereitet. Der 23-Jährige, der eine Förderschule besucht hat, hat den Gastgewerbe-Kurs absolviert und wäre nach einem Praktikum in einem 4-Sterne-Hotel sogar fest übernommen worden. Er musste ablehnen, weil er zu weit weg wohnt und kein Geld für einen Umzug hatte. Dennoch sagt er: "Das Jobangebot zeigt mir, dass ich alles schaffen kann, wenn ich mich ins Zeug lege." Vorerst arbeitet er jetzt in der Küche der Stiftung.

Nicht immer aber geht es darum, Arbeitsplätze für die jungen Menschen zu finden. Stolz erzählt Stiftungsleiter Kevin Chaplin, dass ihre Absolventen bereits 175 neue Unternehmen gegründet haben. Megon Laverlot will die nächste sein, die das schafft. Die 26-jährige Mutter eines vierjährigen Sohnes hat bereits knapp fünf Jahre Berufserfahrung in der Datenverarbeitung und in einem Callcenter. Vor zehn Monaten warf sie hin, weil der Stress und der Leistungsdruck zu groß wurden. Nun will sie sich als Kosmetikerin selbständig machen, weil das schon immer ihre Passion war.

Zur Amy Foundation kam sie, weil das Programm kostenlos ist, die Stiftung finanziert sich vollständig über Spenden. "Woanders zahlst du 10.000 Rand (etwa 500 Euro; Anm. d. Red.) für einen Kurs", sagt Laverlot und sieht darin ein wesentliches Problem. "Das ist verdammt teuer und es gibt für die Branche keine Stipendien." Man müsse gerade die praktischen Ausbildungsberufe stärker fördern, um auch jungen Menschen ohne Schulabschluss eine Chance zu geben, sagt sie. Der Bedarf in Südafrika, wo die Hälfte der knapp 60 Millionen Einwohner unter 27 Jahre alt ist, wäre gigantisch.