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Margot auf dem Weg zur Donaumündung mit einem E-Bike vom DiscounterFoto: Joschija Bauer

Wer auf Facebook oder Instagram aktiv ist, kennt vielleicht ihren Account. "Margot reist" heißt er und ist ein echter Hingucker: eine schlanke, jugendlich wirkende Frau jenseits des gängigen Influencer-Alters, die allein mit dem Motorrad, dem Auto oder Rad immer weiter ostwärts fährt. Die in die Wirren des iranischen Frauenaufstands und später in die katastrophale Flut in Pakistan gerät. Die auf den Bildern sehr oft von schönen Männern umgeben ist, dort, wo eine Alleinreisende eine echte Sensation ist.

Ein Gruppenbild mit Dame zeigt die Abenteurerin umringt von schwer bewaffneten Männern, die sie hinter der iranisch-pakistanischen Grenze durch die gefährliche Provinz Belutschistan begleiten. Auch die Biker, die ihr auf dem Pamir-Highway Pakistans bei einer Verletzung helfen, sieht man neben ihr strahlen. Wie sie das anstellt? "Ich begegne nun mal vielen Männern", sagt sie im Gespräch und lacht, "weil eben in diesen Ländern überwiegend Männer allein unterwegs sind. Aber ich wehre mich auch nicht gegen diese Begegnungen."

Mit dem E-Bike

Gerade die Zufalls-Bekanntschaften mit den unterschiedlichsten Menschen – sie sind das Privileg der Alleinreisenden. Auch deshalb reist Margot prinzipiell ohne Begleitung: "Da bin ich ganz bei mir und kann ich selbst sein. Niemand sagt mir morgens, wie siehst du denn aus, oder fragt, was denkst du? Wer mir folgen will, muss das medial tun."

Als wir für dieses Interview miteinander telefonieren, ist Margot seit dem 10. Mai wieder unterwegs. Sie hat sich zu Hause im hessischen Thurnhosbach auf ihr E-Bike gesetzt und ist mit der Unterstützungsstufe 1 soeben in Ulm angekommen. Diesmal führt sie ihre Reiseplanung von der Donauquelle bis ans Schwarze Meer in Rumänien – das sind 2.850 Kilometer auf dem Donauradweg, dem Eurovelo 6, der durch Deutschland, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien führt. Am nächsten Tag will sie weiter Richtung Passau.

Margot Flügel-Anhalt ist jetzt 69 Jahre jung. Zu Hause hält sie sich mit Wandern fit. Außerdem betreibt sie seit 20 Jahren Kampfsport in einer "gemischten Männergruppe", der Trainer ist Polizist. "Das hilft, nicht als Opfer unterwegs zu sein", sagt Margot. Worauf sie sich bei ihrem aktuellen Trip einstellen muss, ist ihr klar: "Die Fahrradtour wird anstrengend. Oft gibt es keine Radwege, auch waren die letzten Tage ziemlich kalt mit Gegenwind, es hat häufig geregnet. Das alles ist nicht easy. Manche denken ja, man könne sich einfach von der Donauquelle bis zum Schwarzen Meer bergab rollen lassen. Aber da gibt es jede Menge Steigungen. Und mit dem Zelt und der Technik, die ich dabeihabe, ist das eine Herausforderung."

Mit der Technik meint sie ihre Filmausrüstung, also Kamera, Mikrofon, Stativ, Akkus, Aufladegeräte. Seit ihrer Reise mit dem Motorrad 2019 begleitet sie ein kleines Filmteam jeweils ein Stück des Weges. Insgesamt drei Kurz-Dokumentarfilme sind so über sie und ihre Abenteuer entstanden. Ist das Filmteam wieder weg, dreht sie mit der eigenen Kamera weiter.

Oder sie schreibt, notiert unterwegs ihre Gedanken und Eindrücke. "Als der Film Über Grenzen erschien, fragte mich der Lektor Philip Laubach, ob ich nicht ein Buch schreiben wolle, er hat mich quasi entdeckt. Übrigens auch ein hübscher junger Mann", sagt Margot und lacht wieder, "und mit viel Unterstützung und Werbung ist man dann plötzlich Spiegel-Bestseller." Einige ihrer Texte postet sie für ihre Follower schon vorab in den Sozialen Medien. Am 23. Juni notiert sie:

"Ich liebe den Kontakt mit der mich umgebenden Welt. Ich rieche das frisch gemähte Gras und den Duft der Sommerblumen. Höre die Vögel zwitschern. Ich beobachte Tiere und Menschen. Es ist ruhig. Ich fahre und fahre. Langsam hört das Gedanken-Karussell auf. Ich nehme einfach nur wahr. Den Duft des serbischen Sommers. Das Herunterrieseln von Steinen an der Felswand. Der Fahrtwind saust warm über meine nackten Arme und Beine. Ich fahre. […] Es gibt nichts das mich drängt. Ich muss nirgendwohin. Ich beobachte. Urteile nicht. Schmetterlinge taumeln sonnentrunken über den warmen Asphalt. Ich fahre. Ich möchte immer so weiter fahren..."

Kein Partner, kein Problem

Drei Bestseller hat sie inzwischen über ihre Reisen veröffentlicht, Unter Strom wird ihr viertes Reise-Buch. Margot hat keine Sponsoren und ist durch und durch unabhängig. Bücher und Filme spülen inzwischen genügend Geld in die Kasse, um ihre Reisen nachträglich und künftig zu finanzieren.

Margot wurde 1953 in Tuttlingen geboren. Gereist ist sie schon immer gern. Mit 13 radelte sie in die Schweiz, mit 24 blieb sie ein Jahr in Marokko: "Es war mir schon immer ein Bedürfnis, andere Lebenswirklichkeiten kennenzulernen", sagt die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und Großmutter eines Enkelkindes. "Ich war verheiratet, aber meine Partner sind inzwischen verstorben. Ich genieße es, allein zu verreisen. Ohne Partner gibt es kein Problem, und ich werde mir auch keinen mehr antun." Es ist ihre Freiheit, die sie liebt.

Margot ist auch ver.di-Mitglied. "Ich war schon als Jugendliche in der Gewerkschaftsjugend und hab Seminare besucht. Nach der Mittleren Reife habe ich eine Lehre als Grafische Zeichnerin begonnen. Als die Firma bankrott ging, habe ich die Lehre an den Nagel gehängt und das Abi nachgeholt." Es zieht sie nach Berlin, wo sie Teil der Studentenbewegung sein will. Ihre erste Erfahrung an der Evangelischen Fachhochschule für Soziale Arbeit: "Ein Streik. Irgendwas hat uns nicht gepasst, vermutlich fehlende Mitbestimmung", erinnert sie sich. Bis 1993 bleibt sie in der Großstadt, anschließend arbeitet sie als Sozialpädagogin im Rathaus von Eschwege, in der Jugend- und Seniorenarbeit und als Frauen-und Gleichstellungsbeauftragte. Inzwischen selbst Seniorin, ist es ihr wichtig, bei ver.di vernetzt zu bleiben.

Margot ist gerade 64, als ihr in den Sinn kommt, mit dem Motorrad zu verreisen, obwohl sie noch nie auf einem gesessen hat. Doch nichts ist unmöglich. Sie kauft sich eine 125er Enduro – eine Geländemaschine. Ihr Haus liegt in schräger Hanglage, die Abfahrt ist steil. Also bittet sie ihren Sohn, ihr zu zeigen, wie sie mit der Karre den steilen Hang runterkommt. Als das klappt, packt sie ihre beantragten Visa und Siebensachen zusammen, winkt ein letztes Mal zurück und fährt insgesamt 18.000 Kilometer durch die Ukraine, über die Wolga, Tadschikistan, das Pamir-Gebirge und durch den Iran.

Seither ist sie mehrmals im Jahr unterwegs. Nach der Fahrradtour will sie im Spätsommer in der Türkei den Ararat besteigen. Ihre Begeisterungsfähigkeit treibt sie an. "Ich verliebe mich in jeden, dem ich begegne", sagt Margot, "aber ich halte niemanden fest".

So hält sie es aktuell auch mit dem französischen Radfahrer, der auf dem Donauradweg 6 wie ein Seelenverwandter auf einmal "um die Ecke kam". Auch er radelt an die Donaumündung. Keine Bindungen aufbauen, so das Motto der zwei Freigeister, aber die Zuversicht, dass beide schon irgendwie erfahren werden, wenn der jeweils andere das Ziel am Meer erreicht hat.

Unterwegs mit Margot

Bücher:

Über Grenzen: Freiheit kennt kein Alter (DuMont Verlag)

Einfach abgefahren: Freiheit kennt keinen Ruhestand (Ullstein)

Hoch. Hinaus: Meine Reise zu den Menschen an den höchsten Bergen der Welt (Polyglott)

Unter Strom: Mit dem E-Bike ans Schwarze Meer (Polyglott): Dezember 2023

Filme:

ARD-Mediathek, Suchbegriff "Reisehelden"

Editorial Reise: Hinter den Bergen

Das Alter kennt keine Grenzen, jedenfalls nicht, wenn es ums Reisen geht. Endlich – nach einem langen Arbeitsleben – ist Zeit reichlich vorhanden, um die Welt zu erkunden. Dabei muss es nicht immer in die Ferne gehen wie bei Margot, die wir auf dieser Seite mit ihren abenteuerlichen Reisen auf zwei Rädern vorstellen. Viele haben im Alter auch nicht unbedingt das Geld, um in die weite Welt zu reisen. Das ist auch gar nicht nötig. Die beginnt nämlich oft schon vor der eigenen Haustür oder im nächstgelegenen Park, Wald oder Gebirge. In dem Buch "Die Vermessung der Berge", das wir auf der Seite 20 vorstellen, lässt die Physikerin und Autorin Blandine Pluchet die Berge hinter sich und wandert auf den Spuren der Erdgeschichte hinter ihrem Garten.

Petra Welzel