Liebe Leserin, lieber Leser,

das ist schon ein starkes Stück, was sich die Arbeitgeber da gerade in der Tarifrunde der Länder im öffentlichen Dienst erlauben: In der zweiten Verhandlungsrunde, die am 2. und 3. November stattgefunden hat, haben sie sich nicht nur still und leise gedacht, ihre Beschäftigten sollen doch bitteschön zum Wohngeldamt gehen, wenn sie mit ihren Einkommen nicht mehr über die Runden kommen. Nein, sie haben das laut ausgesprochen! Wenn wir inzwischen so weit sind, dass nicht einmal mehr der Staat angemessene und ausreichende Löhne zahlen will, dann haben wir wirklich ein dickes Problem.

Man muss dieser Tage auch nur auf den neuen Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung blicken. Seit 2010 steigt die Einkommensarmut, 2022 hat sie bei knapp 17 Prozent gelegen. Wir reden hier von Menschen, die trotz eines Einkommens immer häufiger auf grundlegende Dinge wie nötige Kleidung verzichten oder gar beim Lebensmitteleinkauf Abstriche machen müssen. Mehr dazu auf Seite 11.

Was diese zunehmende soziale Ungleichheit bewirkt, zeigt sich schon länger in Wahlumfragen und zuletzt auch nach der jüngsten Wahl in Bayern: Zulauf haben in erster Linie die demokratiefeindlichen Parteien. Und da beißt sich die berühmte Katze in den Schwanz: Wenn selbst dem Staat die Situation seiner Beschäftigten herzlich egal ist, dann ist denen irgendwann auch ihr Staat egal.

Es gilt also, dicke Bretter zu bohren. Das tun übrigens auch die Gewerkschaften in Albanien, einem der ärmsten Länder Europas. Dort berappelt sich die Demokratie nach Jahrzehnten der Diktatur. Die Einkommen sind niedrig, meist zu niedrig, aber die Gewerkschaften arbeiten daran – unter anderem mit Hilfe von ver.di –, das zu ändern (Reportage Seite 6+7). Leicht haben sie es nicht, aber ohne Gewerkschaften ist eben auch kein Staat zu machen. Bleiben wir dran, hier und dort.

Petra Welzel

Chefredakteurin der ver.di publik