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Gestresste Städter*innen setzen immer mehr auf Lieferdienste, statt selbst einzukaufenFoto: Lêmrich (Alina Emrich, Kien HoangLe) / Agentur Focus

Trotz strömenden Regens huschen sie in Blau, Grün, Pink und Orange auf ihren bunten Lieferrädern durch die grauen Straßen – die Rider von Delivery Hero, Flink und anderen blitzschnellen Lieferdiensten. Ihr emsiges Treiben verleiht Berlin selbst an solch trüben Tagen ein Hauch von Farbe. Berufstätige, Studierende und gestresste Stadtbewohner*innen, die gemütlich im Trockenen sitzen, setzen vermehrt auf Lieferdienste, um ihre Einkäufe zu erledigen. Kein Brot, ­keine Milch! Kein Problem? Nicht ganz. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Versprechen von schnell gelieferten Lebensmitteln eine andere Realität, wie eine neue Studie des Instituts für Mitbe­stimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung aufdeckt.

Schlechte Bedin­gungen, miese Löhne

Die Studie von Navid Armeli, Sebastian Campagna und Alexander Sekanina vom I.M.U. und dem Experten für Bilanzanalyse Markus Sendel-Müller nimmt über einen Zeitraum von sechs Jahren die wirtschaftliche Lage von Just eat Takeaway, Delivery Hero, Hello Fresh, JD.com und Meituan Maicai in den Blick. Andere Anbieter wie Gorillas, Getir oder Flink konnten nicht einbezogen werden, da diese nicht börsennotiert sind und nur unregelmäßig Finanzdaten veröffentlichten. „Wir wissen bereits aus anderen Untersuchungen, dass in diesen Geschäfts­modellen der Blitzlieferdienste oder des Quick Commerce schlechte Arbeitsbedingungen herrschen und dass die negativen Schlagzeilen vor allem durch schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Löhne, der Verhinderung von Betriebsratsgründung etc. gemacht wurden. Dieses Mal haben wir uns das Ganze unter dem Gesichtspunkt der betriebswirtschaftlichen Performance angeschaut”, erklärt Navid Ameli.

Und diese Performance zeigt, dass das Wachstum dieser Unternehmen hauptsächlich durch Risikokapital finanziert wurde, was jedoch nicht in nachhaltige Gewinne umgewandelt werden konnte. „Insgesamt scheint dieses Geschäfts­modell einfach nicht profitabel zu sein, was sich natürlich auf die Arbeitsbedingungen auswirkt”, sagt der Wirtschaftsreferent gegenüber ver.di publik. Denn wie so oft wird das Wachstum eines Unternehmens auf den Rücken der Arbeiter*innen ausgetragen – in diesem Fall der Rider*innen, die tagtäglich durch Städte hetzen, um der digitalen Wohlstandsgesellschaft den Gang zum Supermarkt zu ersparen.

Die Fahrer*innen, meist als (Schein-⁠)Selbstständige tätig, sind von den wirtschaftlichen Erfolgen der Unternehmen abhängig. Niedrige Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen sind nach wie vor herausragende Probleme. Für die Beschäftigten der untersuchten Unter­nehmen können insbesondere ­fehlende Absicherung und mangelnde Perspektiven zum Verhängnis werden.

Lieferdienste wie der Berliner Bitz­lieferdienst Gorillas setzen auf schnelles Wachstum und harte Arbeitsbedin­gungen. Schlechte Bezahlung, Überwachung, aber vor allem Unsicherheit – all das taucht immer wieder auf, wenn Rider über ihre Arbeit berichten. Eine Betriebsratsgründung versuchte das Unternehmen Gorillas lange mit allen Mitteln zu verhindern. Inzwischen haben die Beschäftigten sich jedoch durchgesetzt und einen Betriebsrat etabliert.

Und dennoch: Das Geschäft erwies sich als höchst unrentabel, Gorillas verbrannte regelrecht Geld. Im Dezember 2022 wurde es schließlich von dem türkischen Unternehmen Getir geschluckt, ein On-Demand-Lieferservice für Lebensmittel. Das hatte insofern Auswirkungen auf die Beschäftigten, als dass Leute entlassen bzw. freigestellt wurden und Standorte, sogenannte Darkstores, einfach geschlossen wurden, erklärt Navid Armeli.

Daniel Gutierrez, für Quick Commerce zuständiger ver.di-Gewerkschaftssekretär, gibt Einblicke in die Arbeitsrealität der Rider: „Wie im Start-up-Sektor im Allgemeinen sehen wir auch im Quick Commerce, dass sich die Arbeitsbedingungen für Arbeiter und Angestellte ­verschlechtern. Viele junge Kolleginnen und Kollegen kommen in dem Glauben in diese Branche, dass sie in einem nicht-hierarchischen und fairen Arbeitsumfeld arbeiten. Aber wenn sie anfangen, mehr Arbeitsplatzstabilität oder Transparenz zu fordern, erleben wir eine bemerkenswerte Zerschlagung und Unterdrückung von Gewerkschaften.“

Wachstum ohne Gewinne

Obwohl die Branche in den letzten Jahren exponentiell wuchs, bleiben die ­Unternehmen hinter den Rentabilitätskennziffern, also der Wirtschaftlichkeit etablierter Handelsunternehmen zurück. Die I.M.U.-Analyse legt offen, dass die Lieferdienste bei keiner der untersuchten Rentabilitätskennziffern mit einer Vergleichsgruppe bekannter und börsen­notierter Unternehmen aus dem Bereich Handel, Konsum und Nahrungsmittel mithalten können. Das hohe Wachstum wird nicht in Profit umgemünzt, das Risiko­kapital hat lediglich das Umsatzwachstum vorangetrieben, ohne nachhaltige Gewinne zu generieren.

Armeli und seine Kollegen prognostizieren, dass eine Zusammenführung oder Konzentration des Marktes in der Zukunft unvermeidlich sein wird. Der Markt wird sich demnach auf einige wenige große Unternehmen und spezialisierte Anbieter konzentrieren, während andere geschluckt werden oder aus dem Markt ausscheiden. Wie auch im Falle von Gorillas.

Die Aussichten für die Arbeitsbedingungen bleiben jedoch auch dann düster, da der Druck, die „letzte Meile“ der Auslieferung profitabel zu gestalten, weiterhin besteht. Niedriglöhne werden daher eine bedeutende Rolle in den bestehenden Geschäftsmodellen der Branche spielen. Die Forschungsergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer umfassenden Debatte über die Situation und Zukunftsaussichten der Beschäftigten in diesen neuen Geschäftsmodellen.

Für Daniel Gutierrez ist das eine Chance: „Die Menschen arbeiten in einem Sektor, der sie von einem Moment auf den anderen fallen lässt, und zwar in fast allen Einkommensschichten. Deshalb ­haben viele von ihnen jetzt deutlich mehr Interesse, gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Für uns als ver.di ist das eine große Chance, nachhaltige Strukturen und Verbesserungen in der Branche durchzusetzen und uns gegenseitig zu zeigen, warum Gewerkschaften für alle Beschäftigten wichtig sind.“