Anfang November hat der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sein Jahresgutachten vorgelegt. In einem ­Kapitel äußert er sich auch zum Thema Rente und legt dazu einige Reformvorschläge vor. „Nicht neu, nicht gut und nur zu Lasten der heutigen und künftigen Rentner*innen“, lautet das Urteil von ver.di-Rentenexpertin Judith Kerschbaumer.

Denn vorgeschlagen werden allein Maßnahmen für die Gesetzliche Rentenversicherung und die private Vorsorge. Eine Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge spiele keine Rolle, kritisiert die Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim ver.di-Bundesvorstand. Die Vorschläge dienten nicht dazu, das Alterssicherungssystem nachhaltig und zukunftsfest zum Wohle der Versicherten zu machen. Stattdessen werde das Risiko des demografischen Wandels den heutigen und künftigen Rentner*innen überlassen. Kerschbaumer befürchtet, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich so weiter öffnet und sich auch die Altersarmut verstärkt.

Eines der Kernelemente ist die Anhebung des Renteneintrittsalters ab 2032. Denn es soll auch an die fernere Lebenserwartung gekoppelt werden. Für jedes weitere Jahr Lebenserwartung schlagen die Sachverständigen eine acht Monate längere Erwerbsphase vor. Kerschbaumer geht davon aus, dass dann mehr Beschäftigte frühzeitig mit Abschlägen in Rente gehen (müssen). Das komme de facto einer Rentenkürzung gleich. ver.di macht sich dafür stark, dass die Altersrente abschlagsfrei ab dem 63. Lebensjahr in Anspruch genommen werden kann. Auch die vorgeschlagene Anhebung der Abschläge lehnt ver.di ab. Gleiches gilt auch für die Abschaffung der Altersrente für besonders langjährige Versicherte, im Volksmund „Rente mit 63“ genannt.

Um künftige Rentenerhöhungen niedriger zu halten, wollen die Sachverständigen sie an die Inflation anpassen. Bislang sind sie an die Lohnentwicklung gekoppelt. „Das hat der gesetzlichen Rentenversicherung über Jahrzehnte hohes Vertrauen gebracht und die Rentner*innen an der Wohlstandsentwicklung der Beschäftigten teilhaben lassen“, sagt Kerschbaumer.

Ein weiterer Vorschlag zielt auf eine Umverteilung hin, aber nur bei gesetzlich Versicherten. Liegt ihr Brutto-Einkommen oberhalb von 3.700 Euro monatlich, bekommen sie weniger Entgeltpunkte und damit auch später Rente. Bei geringen Einkommen soll die Rente hingegen überproportional steigen. Für Kerschbaumer ist das keine echte Umverteilung, da zum Beispiel Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze von 7.300 Euro brutto unberührt bleiben. Viel sinnvoller sei es, die Einkommen von Selbstständigen, Beamt*innen und berufsständisch Versorgten wie Ärzt*innen, Abgeordneten oder Architekt*innen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Eine wirkliche Umverteilung könne nur über Steuermittel erfolgen. Um Altersarmut wirksam zu bekämpfen, müssten rentenrechtliche Mindestsicherungselemente ausgebaut werden.

Zur Stärkung der privaten Vorsorge schlagen die Wirtschaftsweisen einen öffentlich verwalteten, stark aktienbasierten Fonds vor – aus Sicht von ver.di völlig indiskutabel. „Das ist das genaue Gegenteil einer sozial ausgewogenen Alterssicherungspolitik“, sagt Kerschbaumer. Stattdessen seien Betriebsrenten – idealerweise tarifvertraglich vereinbart und mit einem wesentlichen Beitrag der Arbeitgeber*innen – ein wichtiger ergänzender Baustein für die Alters­versorgung.

Zur Weiterentwicklung der Rente wird mit Spannung ein Gesetzentwurf der Ampelregierung erwartet. Er war schon für den Sommer angekündigt, allerdings verschiebt sich die Veröffentlichung immer wieder.

Sachverständigenrat

Der fünfköpfige Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch die Wirtschaftsweisen genannt, verfasst einmal im Jahr ein Jahresgutachten. In diesem Jahr trägt es den Titel „Wachstumsschwäche überwinden – in die Zukunft investieren“. Darin geht es um verschiedene Themen zur gesamtwirtschaft­lichen Entwicklung, nicht nur um die Rente.

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