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ASYMMETRISCHES STRATEGIESPIEL VON VANGELIS BAGIARTAKIS, VARNAVAS TIMOTHEOU U.A., GIANT ROC, 1–4 PERS., AB 14 J., DAUER CA. 90–180 MIN., CA. 115€

Je nach Anzahl der Spielenden stehen sich im Spiel Hegemony verschiedene ­soziale Klassen sowie der Staat im Kampf um die Vorherrschaft gegenüber: Zu zweit sind es die Arbeiter- und Kapitalistenklasse, zu dritt kommt die Mittelklasse hinzu und zu viert mischt sogar der Staat aktiv mit. In insgesamt fünf Runden absolvieren die Spieler*innen nacheinander Aktionen, indem sie eine ihrer Hand­karten ausspielen oder ablegen. Jede*r verfügt dabei über eigene Karten, ein ­eigenes kleines Tableau sowie über unterschiedliche Strategien, um als Sieger*in nach Punkten vom Tisch zu gehen.

Gewerkschaft bringt Siegpunkte

In unserem Testspiel sitzen Jenny, Yasmine, Philipp und Max am Tisch. Wir sind im letzten Durchgang von Runde 3, auf dem Brett liegen bereits Karten mit Bezeichnungen für Unternehmen, Spiel­marken und farbige Figürchen haben sich angesammelt. Die meisten Figuren gehören zu Max, der die Arbeiterklasse spielt und damit jede Runde beginnt. Max hat in den Runden zuvor bereits mehrere rote Arbeiter, „Meeples” im Brettspieljargon, auf ein öffentliches Krankenhaus, eine private Klink und auf eine mittelständische Arztpraxis gestellt, also diesen Unternehmen Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Er hat nun auch genügend Figuren auf dem Brett, um eine Gewerkschaft zu gründen. Dafür legt er eine seiner Handkarten ab, ohne die Aktion darauf zu nutzen, und legt eine weitere rote Figur, diesmal in eine der fünf Aussparungen für Branchengewerkschaften, auf sein vor ihm liegendes Tableau. Damit wird er in den nächsten Runden konstant mehr Siegpunkte erhalten.

Jenny als Spielerin der Mittelklasse ist als nächste am Zug. Sie kann selbst kleine Unternehmen gründen, aber auch Meeples stellen, die Angestellte sind. Dass Max ihre mittelständische Klinik funktionsfähig gemacht hat, als er dort seinen roten Arbeiter neben ihren roten Angestellten gestellt hat, kommt ihr gerade recht. Sie spielt eine Karte, die ihr erlaubt, das Gut „Gesundheit“ auch außerhalb der Klinik zu produzieren. So bekommt sie genug dieses Gutes in Form von herzförmigen Spielmarken zusammen und kann so den Wohlstand ihrer Klasse steigern. Sie gibt die eben erhaltenen Spielmarken einfach ab, erhöht ihre Leiste für Wohlstand auf ihrem Tableau und rückt dort zudem ihren Siegpunktemarker entsprechend nach vorne.

Philipp hingegen ist mit dem Stand seiner Unternehmen zufrieden, spielt die Karte „Fake News” und legt fünf blaue Steine in den Abstimmungsbeutel. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für seine Kapitalistenfraktion, bei der nächsten Wahl erfolgreich zu sein, denn in der kommenden Runde will er über eine Änderung des Mindestlohnes zu seinen Gunsten abstimmen lassen und gleich dazu auch weitere Siegpunkte einfahren. Dies könnte ihm zwar Streiks einhandeln, aber mit höheren Gewinnen kann er sein Kapital in den kommenden Runden ein­facher in eine andere Industrie verlegen. Außerdem überlegt er, ob er seine Krankenhäuser verkaufen soll, um die Gewerkschaft von Max zu schwächen und ihm damit den Hahn für weitere Punkte zuzudrehen.

Als Letzte ist Yasmine dran, die als Staat die Aufgabe hat, die drei Klassen möglichst gleichermaßen zufriedenzustellen. Auf ihrem Tableau befinden sich Leisten, die die Höhe der Legitimität, also des Rückhalts bei den drei Klassen anzeigen. Yasmine entscheidet sich, mit ihrer Hand­karte einen Boom in der Bauindustrie auszulösen, wodurch Beschäftigte und Kapitalisten Geld verdienen. Yasmin wird deshalb von beiden Klassen „legitimiert“, unterstützt. Solch eine Aktion kann sie jedoch nicht zu oft machen, sonst ist ihr Staat trotz Krediten bald pleite, und der Internationale Währungsfonds greift ein, was für alle Nachteile hätte.

Wohlstand für die Meeples

Kurzum: Das Spiel ermöglicht es allen ­Seiten, konstant Siegpunkte zu machen und die Endauswertung schlägt noch ­einige obendrauf. In unserem Testspiel konnte Max für seine Arbeiterklasse genügend Wohlstand erwirtschaften, was ihm die nötigen Punkte für den Sieg einbrachte.

Das Besondere an Hegemony ist das Thema: Klassenkampf findet eher selten auf Brettspielen statt. Den Titel haben die Spiele-Entwickler dem Intellektuellen ­Antonio Gramsci entlehnt, der als Vorsitzender der italienischen kommunistischen Partei seine Überlegungen zum Klassenkampf unter Mussolinis faschistischer Herrschaft im Gefängnis nieder­geschrieben hat. Trotz des historischen Vorbildes ist der Konflikt zwischen den Klassen in Hegemony zeitgemäß: Die ­Arbeiter fordern einen höheren Mindestlohn, die Kapitalisten wollen ihn niedrig halten, und es sind Beschäftigte, die dafür streiken und nicht der Staat.

Auch lassen sich über das Thema Klassenkampf die Spielmechaniken und Ziele gut erklären, sodass der Einstieg in dieses recht komplexe Spiel leichter fällt, als man zunächst denkt. Die Meeples sind hier nicht nur Mittel zum Zweck, sondern tatsächlich auch spielbare Partei. Jeder Zug fühlt sich bedeutsam an, stets gibt es im eigenen Kartenstapel noch neue Aktionen, die man ausprobieren möchte. Durch die vier vollkommen unterschiedlichen Gruppen mit ihren sehr verschiedenen Spielweisen kann man Hegemony öfter spielen und wird noch nicht alles entdeckt haben. Auch wenn das Spiel den täglichen Klassenkonflikt auf das Wesentliche zusammengedrängt darstellt: Speziell Gewerkschafter*innen beschert es nicht nur einen spannenden Spieleabend. Wir können am Spielbrettrand unser eigenes Engagement reflektieren und mit Freunden oder Kolleg*innen diskutieren, wie wir die Kapitalisten am besten besiegen.

Philipp Wilhelm Kranemann ist Dozent in der außerschulischen Bildung, war Betriebsratsmitglied und wird hoffentlich bald Personalratsmitglied für die ver.di-Liste; Max Rudel ist aktiver Gewerkschafter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europäischen Akademie der Arbeit in Frankfurt.