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In der Bildungsstätte Mosbach wird nachhaltig gekocht – zu 85 Prozent mit frischen Bio-Produkten
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„Wir brauchen wirklich nur noch sehr geringe Mengen an Reinigungsmitteln, aber alles wird damit sauber.“ Larissa Deisling, Leiterin des Reinigungsteams
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Marco Brandhäcker vom Team Küche
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Seminarleiter bei der Arbeit
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Zu 85 Prozent frische Bio-Produkte
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Steffen Rauer sorgt mit Spaß für geringeren Wasser- und Stromverbrauch

Die Deckenlampen haben gerade einmal 10 Watt – und doch ist die Küche hell ausgeleuchtet. Slawik Schmidt pendelt mit ­raschen, ruhigen Bewegungen zwischen Pfanne, Ofen und Rollständer, auf denen er die vorbereiteten Speisen zwischenlagert. Seit dem frühen Morgen haben er und seine Kolleg*innen Gemüse geschält, gehackt, geraspelt und geschnitten, jetzt hängen mehrere Edelstahlbehälter hinter der Glastür des Konvektomaten – einem Gerät, das backen, dämpfen und aufwärmen kann. „Was die gleichen Temperaturen braucht, schieben wir parallel rein. Das spart Strom“, sagt der Mann mit dem schwarzen Basecap, während er kurz die Digitalanzeige checkt.

Seit neun Jahren arbeitet der leidenschaftliche Koch im ver.di-Bildungszentrum ­Mosbach, die auf einem Hügel hoch über der Neckarstadt liegt und sich seit Jahren bemüht, auf allen Ebenen Spitze zu werden in punkto Nachhaltigkeit. „In vielen Restaurants schneidet man heute nur noch Tüten mit dem Teppichmesser auf und macht die Sachen warm; sogar die Gewürze sind da oft schon drin“, weiß er aus Erfahrung. Hier verarbeiten sie dagegen zu 85 Prozent frische Bio-Produkte, die zu einem großen Teil aus der Region stammen und insofern auch der Jahreszeit entsprechen: Erdbeeren gibt es im Sommer, Spargel im Mai, Kohl und Pastinaken im Winter. „Ich kenne zum Beispiel den Metzger, der uns das Fleisch liefert und kann auch mit ihm reden“, erklärt Slawik, während er mit kurzen Drehungen seines Handgelenks die etwa 30 Schnitzel wendet. Die sind im heißen Fett nicht ­geschrumpft – auch daran zeigt sich die Qualität der Zutaten.

Lieber kleine Schüsseln

Maria Pahl deckt die Tische im Restaurant. Die bodentiefen Fenster geben den Blick frei auf die große Terrasse und die dahinterliegenden Felder und Wälder. Auf den Tischen stehen Schiefertafeln mit den Titeln der vier Kurse, die heute in den beiden Stockwerken oben drüber laufen. Maria stellt vielfältige Salate und Nachtische in die ­Vitrine, aus der sich die Leute gleich selbst bedienen können. Die Schüsseln sind recht klein – lieber immer wieder etwas aus der Küche nachliefern, als später Lebensmittel wegwerfen. Was einmal draußen stand, darf nicht erneut aufgetischt werden; so schreibt es das deutsche Lebensmittelrecht vor.

Um 12 Uhr nehmen die ersten Leute Platz. Das Küchenteam arbeitet hochkonzentriert Hand in Hand und drapiert die Speisen in hoher Geschwindigkeit auf die Teller. Die Seminarteilnehmenden haben zuvor angekreuzt, welches der fünf Gerichte am Mittag und vier am Abend sie gerne essen möchten. Ein vegetarisches Angebot sowie ein Essen ohne jede tierische Zutat sind immer dabei – alles höchst kreativ und raffiniert zubereitet, nicht zuletzt, weil Pascal Burkart im vergangenen Jahr den Studiengang „Veganer Koch“ als Jahrgangsbester beendet hat.

Und auch die levantinische Küche des östlichen Mittelmeers ist sehr präsent, die als besonders bekömmlich gilt und durch viele Linsen und Kichererbsen auch zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Böden beiträgt. Expertin dafür ist Yasmin Khoulani aus Syrien, die heute Baklava zum Menü beigesteuert hat – ein köstlicher Nachtisch aus Nüssen, Honig und einem mit Pistazien bestreuten Blätterteig.

Maria wirft einen Blick auf die Menü-­Listen und eilt dann mit den vorbereiteten Tellern ins Restaurant. Viele Gäste spricht sie mit Vornamen an, während sie ihnen die Speisen serviert. Man duzt sich – die gesamte Belegschaft und so gut wie alle Gäste sind ver.di-Mitglieder.

Koch Ramzi Sweed hat erst vor ein paar Wochen hier angefangen. „Ich hatte vorher keine Erfahrung mit Gewerkschaften“, ­erzählt der junge Familienvater. Niemand habe ihm gesagt, dass er bei 10-Stunden-Schichten das Recht auf eine 45-minütige Pause hat oder es an Feiertagen Zuschläge gibt. Bevor er den Arbeitsvertrag unterschrieb, informierte er sich ein bisschen im Internet über ver.di. Marco Brodhäcker, mit dem er sich heute die Spätschicht teilt, erzählte ihm dann mehr über seine Rechte.

Auch die Vorgaben vom Verband Naturland, der das Bildungszentrum in Mosbach zertifiziert, lernte Ramzi erst hier kennen. Als einziger Bioverband überprüft der nicht nur die ­Qualität der Zutaten, sondern auch die ­Arbeitsbedingungen bei den Lieferanten. Die Vorgaben sind streng, alles muss exakt dokumentiert werden. Im Trockenlager gibt es ein Extra-Regal für die wenigen konventionellen Produkte, jeden Abend werden Plastik-, Bio- und Restmüll gewogen. Vor allem dank der Umstellung auf Tellergerichte konnte das Team die Lebensmittelverschwendung enorm reduzieren.

Drei goldene Sterne

Schon seit 1952 findet hier in Mosbach ­gewerkschaftliche Bildung statt. 1992 ließ die ÖTV, eine der ver.di-Vorgängerorganisationen, den alten Komplex abreißen und neu bauen. Seither begrenzen zwei zweistöckige Gebäude mit roten Satteldächern eine großzügige Grünfläche mit Rasen und Büschen. Während das halbrunde Gästehaus mit seiner gleichmäßigen Fassade ­Ruhe ausstrahlt, wirkt das Seminar- und Gemeinschaftsgebäude mit großen Fensterfronten transparent und einladend. ­Große, überdachte Terrassen vor den Seminar­räumen ermöglichen ungestörtes Lernen drinnen und draußen. Der Eindruck, dass es sich hier um eine luxuriöse Herberge handelt, täuscht keineswegs: Neben dem Eingangsportal prangen drei goldene ­Hotel-Sterne.

„Zweieinhalb Jahre haben wir alle darauf hingearbeitet. Wir sind wirklich sehr stolz darauf“, sagt Larissa Deisling. Die kleine, drahtige Frau leitet das etwa 10-köpfige Reinigungsteam, das sie liebevoll „meine Mädels“ nennt. Einige der Frauen sprechen noch kaum Deutsch. Jeden Morgen holt Larissa sie mit ihrem Auto von zu Hause ab oder sammelt sie an der Bushaltestelle ein, damit sie den steilen Berg nicht zu Fuß raufgehen müssen.

Sobald die Gäste in den Seminarräumen verschwinden, holen die Frauen die Rollwägen mit den bunten Putzeimern und Sprühflaschen aus dem Depot. Rund zehn Minuten brauchen die Zweierteams für die tägliche Zwischenreinigung der Gäste­zimmer, die ein örtlicher Schreinereibetrieb mit schlichten, geschmackvollen Möbeln ausgestattet hat. Im Bad Spiegel und Zahnputzbecher abwischen, Flaschen mit Ökoseife auffüllen, Duschabfluss herausnehmen, Klo von außen und innen reinigen – jeder Griff sitzt. Die Partnerin macht derweil das Bett, saugt den Boden, reinigt den Tisch; im nächsten Zimmer werden die Rollen ­getauscht.

„Wir haben verschiedene Öko-Putzmittel bestellt und dann eine zweiwöchige Testphase gestartet“, berichtet Larissa. Nicht nur Kalk und Dreck sollten gut zu entfernen sein. Auch ein angenehmer, ätzfreier ­Geruch und eine geringe Dosierung waren Kriterien. Bei der Abstimmung am Schluss waren sich alle einig. „Wir brauchen wirklich nur noch sehr geringe Mengen an Reinigungsmitteln, aber alles wird damit sauber“, betont die 45-Jährige.

Wasser und Strom gespart

Sparsam ist auch der Wasserverbrauch. Vor einiger Zeit hat Haustechniker Steffen Rauer alle Waschbecken mit neuen Armaturen ausgestattet. Kamen früher zehn Liter pro Minute aus dem Hahn, sind es inzwischen nur noch sechs. „Die 100 Euro Investitionskosten pro Stück haben sich schon amortisiert“, erzählt der Mann mit Ohrstecker und Igelfrisur. Auch die Duschköpfe in den Gästezimmern sind neu. Gegenüber im Seminar­gebäude wurden außerdem abwasserlose Urinale installiert.

Den Ökostrom liefern die Stadtwerke Mosbach. Doch natürlich soll auch hier gespart werden. Im vergangenen Herbst hat Steffen deshalb in sämtlichen Räumen LED-Lampen eingebaut. „Ich gehe davon aus, dass wir den Stromverbrauch dadurch im Jahresdurchschnitt um 20 Prozent senken können“, frohlockt der 54-Jährige, dem der permanente Verbesserungsprozess im Haus spürbar Spaß macht. Jeden Mittag, wenn die Gäste beim Essen sitzen, dreht er eine Runde durch die Seminarräume und checkt, ob überall das Licht aus ist.

Die treibende Kraft

Treibende Kraft und Mastermind hinter dem Nachhaltigkeitskurs des gesamten Bildungszentrums ist Anja Kuhn. Die Wirtschaftsleiterin hat ihr Büro im Erdgeschoss des Seminar- und Verwaltungsgebäudes mit politischen Grafiken und persönlichen Fotos dekoriert. Neben der Tür hängt ein roter Boxsack, den sie von einem Mitarbeiter geschenkt bekommen hat.

Seit 26 Jahren arbeitet sie hier, zunächst an der Rezeption und dann nach einem BWL-Abendstudium als wirtschaftliche Leiterin. „Ich achte bei meinen Lebensmitteln, Klamotten und im Haushalt schon lange auf Nachhaltigkeit“, sagt sie. Die Aussicht, ein großes Haus mit vielen Gästen entsprechend auszurichten, erschien ihr als große Chance – und zugleich war ihr am Anfang klar, dass sie behutsam und Schritt für Schritt vorgehen müsste, um keine Ängste und Widerstände zu schüren.

Zunächst stellte sie einen 10-Jahresplan mit kurz-, mittel- und langfristigen Schritten auf und schickte ihn an die ver.di-Bundesverwaltung in Berlin. Die gab grünes Licht, wobei klar war, dass die laufenden Kosten durch den Bioeinkauf nicht wesentlich steigen dürften. Als günstig erwies sich, dass die beiden ­früheren Köche kurz vor der Rente standen und sie in der Küche mit neuen Mitarbeitern starten konnte, die Lust auf Experimente und Innovationen hatten: keine Tiefkühlkost und Fertigprodukte mehr, stattdessen neue Rezepte mit einem deutlich höheren Gemüse- und geringerem Fleischanteil, die Verwendung aller Teile eines Tiers und die Reduzierung der Lebensmittelabfälle auf ein Minimum. „Wir haben hier wirklich das weltbeste Küchenteam“, sagt Anja. Im Endeffekt gelang es, den Preisanstieg auf 5 Prozent zu begrenzen.

Allerdings war die Begeisterung bei den Gästen zunächst keineswegs einhellig. „Manche sind richtig aggressiv geworden, als sie das Biosiegel gesehen haben“, ­erinnert sich die 53-Jährige. Auch in der ver.di-Bundesverwaltung gingen Protestbriefe ein. Etwa 70 Prozent zufriedene Gäste und 30 Prozent unzufriedene, ergab die Auswertung der Rückmeldebögen in der Anfangszeit. Inzwischen sind 90 Prozent voll des Lobs, und nur 10 Prozent hätten nach wie vor lieber eine Auswahl am Buffet statt eines Tellergerichts, auch wenn damit deutlich mehr Lebensmittelverschwendung einhergeht.

„Mein Stil ist es nicht, Leute zu belehren“, sagt Anja Kuhn. Eher hofft sie, dass positive Erfahrung Veränderungen und neue Sichtweise anstoßen – auf vielen Ebenen. Gleich beim Einchecken können die Gäste eine hübsche Glasflasche ausleihen, die sie an verschiedenen Stellen im Haus mit sprudelndem oder stillem Leitungswasser füllen können. Viele entscheiden sich am Schluss, die Flasche mit nach Hause zu nehmen und den Plastikflaschen aus dem Supermarkt Lebewohl zu sagen.

Auch was ein gutes Zusammenleben angeht, wirkt das Bildungszentrum Mosbach vorbildlich. „Hier im Haus arbeiten Menschen gut zusammen, die aus sehr vielen Ländern stammen. Ich glaube, die Leute kriegen mit, dass sie sich mögen und gegenseitig unterstützen,“ sagt Anja.

Ein nie endender Prozess

An Plänen, was noch alles zu verbessern ist, mangelt es der Wirtschaftsleiterin nicht. „Das ist ein nie endender Prozess.“ Gerade recherchiert sie zu fairer und ökologischer Arbeitskleidung. Demnächst soll im Foyer ein Tante-Emma-Laden eröffnen, bei dem es dann Hummus im Glas, veganes Curry, den hauseigenen Honig oder Produkte von regionalen Erzeugern geben soll. Und in den kommenden Tagen hat sie eine Verabredung mit dem Bürgermeister, um über ein Nahwärmenetz zu sprechen, dessen Zentrum auf einem benachbarten Bauernhof liegen könnte. „Ich bin in vielen Bereichen Autodidaktin und suche mir dann für jedes Thema Expert*innen“, beschreibt die Wirtschaftsleiterin ihr Vorgehen. Und natürlich diskutiert sie die Vorschläge auch mit den Kolleg*innen im Haus.

360 Seminare haben im vergangenen Jahr im ver.di-Bildungszentrum Mosbach stattgefunden. Das sind zum einem Betriebsratsschulungen, die die Arbeitgeber bezahlen müssen. Zum anderen finden hier aber auch viele politische Bildungsveranstaltungen statt wie gerade ein fünftägiges Seminar zur arabischen Welt. Die Teil­nehmenden haben dafür Bildungsurlaub beantragt und zahlen als ver.di-Mitglieder nichts für den gesamten Aufenthalt. Auch für die Anreise bekommen sie Unterstützung. Finanziert wird das Angebot durch die Tantiemen, die ver.di-Gewerkschaftsfunktionär*innen für ihre Arbeit in Aufsichtsräten gezahlt bekommen.

Jürgen Behre leitet zusammen mit einem Kollegen den Kurs über den Nahen Osten. Der Freiberufler kommt mehrfach im Jahr hierher, kennt aber auch die anderen acht ver.di-Bildungszentren, die im ganzen Land verstreut sind. „Mosbach ist in punkto Nachhaltigkeit sicher ganz vorneweg; die anderen haben andere Vorteile und Qualitäten“, sagt der Dozent. Dass es auch inhaltlich ­immer mehr Angebote zur sozial-ökologischen Transformation gibt, freut ihn sehr. Jedes Jahr bietet er in Mosbach den Kurs an: „Schmeckt’s noch? Über die Produktion von Hunger und Überfluss.“ Neben der ­Kritik am gegenwärtigen Ernährungs­system geht es selbstverständlich auch um Alternativen – und so gehört ein Hintergrundgespräch mit der Küchencrew ebenso zum Programm wie der Besuch der neu ­angelegten Streuobstwiese und der vier Komposthaufen.

Nach dem Lernen lädt die schöne Umgebung des Odenwalds zu Waldspaziergängen und Radtouren ein. Wenn alles nach Plan läuft, soll es bald hinterm Gästehaus einen sich selbst reinigenden Schwimmteich geben inmitten einer artenreichen ­Naturwiese. Wer mag, kann heute schon eine Massage bestellen, mit Kolleg*innen kegeln oder Billard spielen. Hauptattraktion für die meisten ist abends allerdings die Kneipe. Viele nutzen die Gelegenheit, Kolleg*innen aus anderen ver.di-Bereichen kennenzulernen.

Und natürlich kommen auch hier Erfahrungen zum Thema Nachhaltigkeit auf den Tisch. „Unser Arbeitgeber ist ein Dinosaurier, der will noch alles auf Papier ­haben“, erzählt Betriebsrätin Julia, die bei einem Rettungsdienst ­arbeitet und sich um eine Digitalisierung der Dokumentation bemüht. Auch Marcel aus der Logistikbranche stört, dass vieles zwei und dreifach in Plastikfolien eingeschlagen wird. Bei sich selbst anfangen, rät Stefan, der die Gebäude in einem hessischen Städtchen managt. Er hat vor zwei ­Jahren sein Auto abgeschafft und fährt seither mit dem Zug zur ­Arbeit. „Das war erst komisch, aber jetzt fühle ich mich ein bisschen befreit.“