Ausgabe 02/2024
Erfolg auf ganzer Linie
Zugegeben, ein bisschen Ausdauer hat es gebraucht, damit die erste Europäische Bürgerinitiative (EBI) ein Erfolg wurde. Vor über zehn Jahre haben ver.di und der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGöD) sie auf den Weg gebracht. Aber die EBI „Wasser ist Menschenrecht“ wirkt auch heute noch kräftig nach.
„Wir sind die einzige EBI, die es geschafft hat, dass alle von uns geforderten Themen auf die politische Agenda gesetzt wurden“, zieht Andreas Kahlert Bilanz. Er ist der Sprecher der ver.di-Bundesfachgruppe Wasserwirtschaft und einer der Mitinitiatoren der EBI. Knapp zwei Millionen Europäer*innen unterstützten die Forderung, das Menschenrecht auf Wasser im europäischen Recht zu verankern. Gefordert wurde außerdem, Wasser als öffentliches Gut zu behandeln, das nicht wie andere Handelswaren den Regeln des Binnenmarktes unterworfen wird. Beide Forderungen finden sich inzwischen in europäischem Recht wieder. Die einzelnen europäischen Länder setzen die entsprechenden EU-Richtlinien dann in ihr jeweiliges nationales Recht um.
Mit der Neufassung der europäischen Kommunalabwasserrichtlinie steht nun auch die Umsetzung der dritten und letzten Forderung der EBI an: die Verankerung des Menschenrechts auf den Zugang zu Sanitärversorgung im EU-Recht. Denn noch immer haben rund 10 Millionen Europäer*innen keinen Zugang zu einer grundlegenden Sanitärversorgung. Clivia Conrad, ver.di-Bundesfachgruppenleiterin Wasserwirtschaft, rechnet damit, dass die Kommunalabwasserrichtlinie noch vor der EU-Wahl am 9. Juni im EU-Parlament verabschiedet wird.
Und das wäre gut so. Denn mit der Neufassung dieser EU-Richtlinie soll das Verursacherprinzip auch für die Wasserwirtschaft festgeschrieben werden. Das bedeutet: Unternehmen wie etwa Pharmakonzerne, die mit Mikroschadstoffen erheblich zur Verunreinigung von Abwasser beitragen, müssen künftig wohl 80 Prozent der Kosten übernehmen, die für das Herausreinigen dieser Spurenstoffe aus dem Abwasser anfallen.
„Das ist ein großer Erfolg“ sagt Clivia Conrad. „Denn damit sinkt der finanzielle Druck auf die Abwasserbetriebe.“ Und dort, wo der Kostendruck sinkt, gerät auch der Personalkostenanteil nicht so stark unter Druck. Das ist eine gute Botschaft für die Beschäftigten. Denn die Fixkosten in der Wasserwirtschaft sind enorm hoch. Besonders die Abwasserreinigung ist energieintensiv, hinzu kommen Kosten für die Instandhaltung der Infrastruktur, mit Kläranlagen, Pumpwerken und Kanälen.
Zur Verbesserung der Wasserqualität sieht die neugefasste Kommunalabwasserrichtlinie außerdem die flächendeckende Einführung der vierten Reinigungsstufe für große Kläranlagen vor. „In dieser vierten Reinigungsstufe werden gezielt die sogenannten Spurenstoffe heraus gereinigt, die zum Beispiel über Medikamente und Kosmetika ins Wasser gelangen“, erklärt Holger Thoms. Er ist Informationselektroniker im Klärwerk Augsburg.
Dort erwartet man durch den bereits vom Freistaat Bayern beschlossenen Ausbau der vierten Reinigungsstufe enorme Zusatzkosten. Diese werden zum einen durch eine Förderung vom Land getragen, zum anderen durch Gebühren von Bürgerinnen und Bürgern. „Mit der Neufassung der Kommunalabwasserrichtlinie und der Herstellerverantwortung, könnte ein Teil dieser Kosten über einen Fonds aufgefangen werden, in den die Industrie einzahlt“, fasst der Personalrat Holger Thoms zusammen.
Doch für Holger Thoms, der sich auch für die EBI „Wasser ist Menschenrecht“ einsetzte, leisten EU-Richtlinien noch viel mehr. „Durch Wasserknappheit kommt es zunehmend zu Verteilungskämpfen, zwischen der Landwirtschaft, der Mineralwasserherstellung und der öffent-lichen Wasserversorgung“, so der Personalrat. Und stellt klar, dass die öffentliche Trinkwasserversorgung der Bürger*innen „durch EU-Richtlinien geschützt und an erste Stelle gestellt wird.“
„Unsere EBI zeigt: europäische Demokratie funktioniert“, ist Andreas Kahlert überzeugt. „Wir können in Europa etwas bewegen, wenn sich genügend Leute zusammentun,“ sagt der Betriebsratsvorsitzende der Wasserwerke Westfalen. Es sei entscheidend, sich in europäische Prozesse einzumischen und sich zu beteiligen. „Ein weiterer Weg, auf dem das möglich ist, sind die anstehenden Europawahlen im Juni,“ so Andreas Kahlert und ruft alle europäischen Bürger*innen ab 16 Jahren dazu auf, am 9. Juni 2024 die demokratischen Kräfte in Europa mit ihrer Stimme zu stärken.