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Mit einem 100-Tage-Ultimatum, Konfetti und notfalls Streiks zum Entlastungstarifvertrag an der MHHFoto: Jonathan Funk

"Auf vielen Stationen herrscht akuter Personalmangel. Wir müssen ständig irgendwo einspringen. Sogar auf fachfremden Stationen, wenn die noch schlechter besetzt sind. Selbst Auszubildende springen in die Lücken von examinierten Pflegefachkräften, weil nicht genug Personal da ist", berichtet Anja Nachtigall (Name geändert), Pflegefachkraft an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). "Nie haben wir genug Zeit. Ständig sind wir in Eile und müssen uns um mehrere Patienten gleichzeitig kümmern. Wir verzichten auf Pausen, doch dann fehlt uns die nötige Erholung. Das leisten wir jeden Tag und kommen deutlich über unsere Belastungsgrenze. Viele Auszubildende brechen im ersten Drittel ab. Ich liebe den Beruf, aber es muss sich etwas ändern", sagt sie.

"Wir wollen gesund pflegen und nicht krank arbeiten. Es muss jetzt was passieren." Pflegefachkraft Anja Nachtigall

Die Situation an der MHH ist kein Einzelfall. Auch anderswo sind viele Beschäftigte in den Krankenhäusern überlastet oder haben ihrem Arbeitsplatz bereits den Rücken gekehrt. Im Rahmen der bundesweiten Tarifbewegung für mehr Personal und Entlastung hat ver.di gemeinsam mit den Beschäftigten an 25 Krankenhäusern, überwiegend Universitätskliniken, schon Entlastungstarifverträge erkämpft. Darin sind Personalvorgaben geregelt und was passiert, wenn diese unterschritten werden. So einen Entlastungstarifvertrag fordern jetzt auch die Beschäftigten an der MHH. Der Zeitpunkt sei gekommen, betont Pflegefachkraft Nachtigall. "Wir fühlen uns im sozialen Beruf ausgenutzt. Wir haben die Pandemie hinter uns und wurden beklatscht. Aber nichts hat sich seither für uns geändert. Wir wollen gesund pflegen und nicht krank arbeiten. Es muss jetzt was passieren."

Der Countdown läuft

Über zwei Drittel der rund 4.000 betroffenen Beschäftigten der MHH haben sich für einen Tarifvertrag Entlastung ausgesprochen, weil sie am Limit sind. Neben der Pflege sind auch therapeutische Berufe und die Auszubildenden betroffen. Am 8. Mai überreichten mehr als 400 Beschäftigte als Delegation der Belegschaft ihre Forderungen dem Präsidium der Uniklinik im Beisein von Unterstützer*innen aus der Stadtgesellschaft sowie Politikern von SPD, Grünen und Linke. Zudem haben sie ein 100-Tage-Ultimatum für eine tarifliche Lösung gestellt. Der Countdown läuft. Für den Fall einer Ablehnung bereiten die Beschäftigten Streiks vor.

Von der Klinikleitung fordern sie einen "Tarifvertrag Entlastung", in dem konkret festgelegt wird, wieviel Personal zur Versorgung der Patient*innen sichergestellt sein muss sowie einen Belastungsausgleich, wenn die vereinbarten Personalschlüssel unterschritten werden. Zudem fordern sie mehr Zeit und Qualität für die Sicherstellung der Ausbildung. Ein solcher Tarifvertrag Entlastung würde zusätzlich zum bestehenden Tarifvertrag der Länder vereinbart. Die Beschäftigten könnten also dafür streiken und befinden sich nicht in der Friedenspflicht.

"Seit Jahren geht die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens zulasten der Patienten und Beschäftigten", betont Andrea Wemheuer, ver.di-Landesleiterin Niedersachsen-Bremen, zum Start der Tarifbewegung. Es sei ein Akt der Notwehr für die eigene Gesundheit. Arbeiten im Gesundheitswesen dürfe nicht krankmachen. Von der Landespolitik fordert ver.di, die Kosten des Tarifvertrags zu übernehmen, die nicht von den Krankenkassen refinanziert werden. Dies betrifft vor allem Kosten für mehr Personal in den nicht-pflegerischen Berufen, denn es geht um alle Bereiche, in denen sich die Beschäftigten gewerkschaftlich für Entlastung engagieren.

Andrea Wemheuer: "Wir appellieren an die Politik, eine Einigung zu unterstützen und an der Medizinischen Hochschule Hannover einen Leuchtturm der guten Versorgung für das Land Niedersachsen zu errichten."

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