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Weniger Hierarchie und teamorientiertes Arbeiten, das lockt PersonalFoto: epd/imago

Fachkräfte fehlen in vielen Branchen und da immer mehr Männer und Frauen der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben scheiden, wird die Lücke zwischen Bedarf und Angebot weiter wachsen. Das belegt auch das Innovationsbarometer Fachkräftesicherung, das der ver.di-Bereich Innovation und Gute Arbeit veröffentlicht hat.

Gerade in Dienstleistungsberufen fehlt es an Personal – etwa in Kindertagesstätten, Schulen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Um Kinder, Klient*innen oder Kranke gut zu versorgen, müssen die Einrichtungen neue Wege bei der Werbung um Beschäftigte gehen. So wie das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau, eine gemeinnützige GmbH, die Anfang 2023 auf einer großen chirurgischen Station ein Pilotprojekt startete. "Die Idee war, die Arbeit attraktiver zu machen, etwa durch weniger Hierarchie, neue Umgangsformen und ein insgesamt stark teamorientiertes Arbeiten", sagt der Betriebsratsvorsitzende Andreas Parr.

Eine Betriebsvereinbarung sei gestaltet worden und es sei gelungen, in kurzer Zeit erheblich mehr Bewerbungen für die Pilotstation zu bekommen. Auch sei die Idee des teamorientierten Arbeitens auf die urologische Ambulanz ausgeweitet worden. "Nach einem Jahr gab es eine Evaluation, die auch in wirtschaftlicher Hinsicht sehr positiv ausfiel", so der Betriebsratsvorsitzende. Genug Fachkräfte bewerben sich für die beiden Stationen bis heute sowohl von außerhalb als auch aus dem eigenen Haus. "Die veränderten Arbeitsbedingungen sind ein starkes Zugpferd." Inzwischen interessieren sich auch Betriebsräte aus anderen Krankenhäusern für die Neuerung.

Wie Betriebe Fachkräfte binden

Ob sich in Zukunft angesichts des demografischen Wandels weiter allein mit innovativen Ideen genügend Personal finden lässt, kann im Moment niemand beantworten. Die Befragung unter Betriebs- und Personalräten für das Innovationsbarometer Fachkräftesicherung zeigt immerhin, wie Betriebe derzeit vorgehen, um den Fachkräftemangel auszugleichen. An erster Stelle mit 56 Prozent Zustimmung (voll oder eher mehr) steht dabei die Aufstockung der Stundenzahl von Teilzeitbeschäftigten. 52 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihren Unternehmen die bessere Vereinbarkeit von Beruf mit Familien- und Pflegepflichten unterstützt werde. Das ermöglicht vor allem Frauen, ihre Arbeitszeit auszudehnen. Durch mehr Weiterbildung würden eigene Beschäftigte im Betrieb fit für die interne Besetzung freier Stellen gemacht, gaben 51 Prozent der Befragungsteilnehmer*innen an. 48 Prozent erklärten, dass bei ihnen mehr Ausbildungsplätze geschaffen wurden. Auch mit verstärktem Technikeinsatz und Rationalisierung versuchen Unternehmen, dem Fachkräftemangel zu begegnen, sagten 41 Prozent der Beschäftigtenvertreter*innen.

91 Prozent wollen "gesunde Arbeit"

Einen Ansatz wie das Klinikum in Aschaffenburg-Alzenau, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, verfolgen 30 Prozent der Unternehmen. Die von der Bundesregierung forcierte Anwerbung von Fachkräften aus anderen Ländern spielt nach Angaben der Betriebs- und Personalräte nur in 25 Prozent der Firmen eine Rolle. In 24 Prozent der Unternehmen würden Kolleg*innen zurückgeholt, die zuvor bereits gekündigt hatten. Könnten die befragten Interessenvertreter*innen selbst über Maßnahmen gegen Personalmangel entscheiden, setzten 91 Prozent auf die Förderung gesunder und nachhaltiger Arbeit. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familienarbeit (90 Prozent), mehr Angebote zur Weiterbildung (85 Prozent), mehr Ausbildungsplätze (75 Prozent) sowie Stundenaufstockung für Teilzeitkräfte (65 Prozent) wurden häufiger genannt als sie tatsächlich in den Betrieben umgesetzt werden. Mit 54 Prozent erreicht die Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland ebenso eine mittlere Zustimmungsquote wie die Rückholung abgewanderter Kolleg*innen (51 Prozent) und mehr Technikeinsatz (47 Prozent).

"Die veränderten Arbeitsbedingungen sind ein starkes Zugpferd." Andreas Parr, Betriebsratsvorsitzende Klinikum Aschaffenburg-Alzenau

Ein Hauptproblem für den aktuellen Fachkräftemangel ist laut Innovationsbarometer der Unterschied zwischen den nachgefragten und den angebotenen Berufsqualifikationen. Es entstehe ein "Fachkräfte-Paradox", wenn in einem Betrieb Stellen abgebaut oder befristete Verträge nicht verlängert würden, während in anderen Abteilungen Arbeitsplätze wegen fehlender Fachkräfte unbesetzt blieben.

"Die Innovationsfähigkeit der Unternehmen wird beeinträchtigt, wenn qualifizierte Beschäftigte fehlen, die Neuerungen vorantreiben, und wenn eine steigende Arbeitsbelastung durch Personalmangel dazu führt, dass kaum Zeit für die Entwicklung von neuen Produkten und Prozessverbesserungen bleibt", heißt es in der Publikation. Gemeinsam mit den anderen DGB-Gewerkschaften hat ver.di "Anforderungen in der Fachkräftedebatte" formuliert. Die sollen nun unter Einbeziehung von Praxiserfahrungen und mit Beteiligung der Kolleg*innen in die Entwicklung konkreter betrieb- licher Schritte umgesetzt und mit der Perspektive Gute Arbeit verbunden werden.

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