Ausgabe 08/2024
Kultur? Muss drin sein!
"Ich bin Künstler*in, ich kann nicht weg!" Ein Sharepic mit diesen Worten teilen gerade etliche Kunst- und Kulturschaffende in Deutschland, auch Sophia Lund, Szenografin. Vor einem Jahr gestaltete Sophia Lund für das inklusive Theaterstück "mit mir. die sintflut" Bühne, Kostümbild und Sounddesign. In dem Stück finden Menschen Schutz vor einem Unwetter in einer alten Turnhalle und denken voll Sorge über den Klimawandel nach. Auch damals schon war Sophia Lund selbst besorgt über ihre persönliche Zukunft. Ihr Jahreseinkommen aus ihrer künstlerischen Arbeit liegt unter 15.000 Euro. Dass sie noch nicht ganz über die Aufgabe ihres Berufes nachgedacht hat, ist allein dem Umstand geschuldet, dass sie seit über einem Jahr ihr Atelier in Hamburg mit einem Mininebenjob als Ordnerin im Stadion und bei Konzerten finanzieren kann.
„Ich gucke schon nach einem Job als Busfahrerin“
Sophia Lund, Szenografin, Jahreseinkommen unter 15.000 Euro
Doch inzwischen ist es wieder so weit. "Ich gucke schon nach einem Job als Busfahrerin", sagt die Szenografin. Überall um sie herum werden die Gelder für Kultur zusammengestrichen. Wieder sieht sie die eigene Existenz in Frage gestellt, das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, macht sich in ihr breit. "Danke für nix." Das ist aktuell ihr Grundgefühl, dass sie mit tausenden Kulturschaffenden bundesweit ebenso teilt wie ihr Sharepic mit einem Bild von sich in schwarz-weiß, mit Kopfhörern tief in sich versunken.
Die nackten Zahlen
0,43 Prozent. So hoch, oder besser so niedrig bemessen waren die öffentlichen Ausgaben für Kultur – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2020. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor, aber viel höher sind die Ausgaben auch heute nicht. Sie steigen seit Jahren tatsächlich nur unerheblich: Innerhalb von zehn Jahren waren sie seinerzeit lediglich um 0,07 Prozent gestiegen, 2010 lag ihr Anteil am BIP noch bei 0,36 Prozent. Kunst und Kultur – das zumindest lässt sich zweifelsohne festhalten – scheint uns kaum etwas wert zu sein. Auch wenn es in nackten Zahlen 14,5 Milliarden Euro gewesen sind, die Bund, Länder und Gemeinden 2020 für Kultur ausgegeben haben, gibt's da nichts schönzureden: Kaum ein halbes Prozent unseres BIP investieren wir in die Kultur. Dass die Kulturförderung nun zudem allerorten massiv eingedampft werden soll, bedroht Kunst und Kultur in ihren Grundfesten. Und die Demokratie gleich mit, schaffen Kunst und Kultur doch Räume und Möglichkeiten, Gesellschaften aufzuklären und zusammenzubringen. So sieht das auch Sophia Lund.
Von den Streichungen betroffen sind Theater und Musik, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Bibliotheken und Museen, Denkmalschutz und -pflege, kulturelle Angelegenheiten im Ausland, sonstige Kulturpflege, öffentliche Kunsthochschulen sowie die Verwaltung für kulturelle Angelegenheiten, also so ziemlich alles, was mit Kunst und Kultur zu tun hat.
Das Grundgesetz schützt im Artikel 5 ausdrücklich die Freiheit künstlerischen Ausdrucks sowie Kulturschaffende in besonderem Maße. Grundlage dieses verfassungsrechtlichen Schutzes ist die Überzeugung, die Freiheit der Kunst sei wesentlich für die demokratische Grundordnung. Dem Staat obliegt dabei eine besondere Verantwortung. Er darf sich nicht einmischen, aus dem Grundgesetz leitet sich dennoch seine Aufgabe ab, die Ausübung von Kunst zu fördern.
Einsparungen in Millionenhöhe
Doch ausgerechnet den Kulturschaffenden, die oft genug wie Sophia Lund kein Einkommen zum Leben haben, geht es jetzt ans letzte Hemd. Allein der Bundeskulturfonds soll um etwa 50 Prozent gekürzt, in München sollen 8 Millionen Euro noch im laufenden kommunalen Haushalt eingespart werden, und dass, nachdem der Haushalt für 2024 ohnehin schon um 11 Millionen gekürzt worden war. Dresdens städtische Kulturbetriebe sollen in den kommenden zwei Jahren 4,76 Millionen Euro einsparen; allein beim sehr beliebten, international renommierten und stets gut besuchten Deutschen Hygiene-Museum bedeutet es Einsparungen von 1,33 Millionen Euro pro Jahr. In Hannover sind es über 2 Millionen Euro Fördergelder, die den Theatern und der freien Kulturszene von der Stadt gestrichen werden sollen.
Komplett an die Substanz geht es den Kultureinrichtungen und den Kulturschaffenden in Berlin: 12 Prozent, in Summe 130 Millionen Euro, sollen im Kulturhaushalt 2025 wegfallen. "Fünfzig Jahre lang habe ich erbittert um das Überleben des stets unterfinanzierten GRIPS kämpfen müssen", sagt Volker Ludwig dieser Tage in einem Post auf Instagram. Er ist der Gründer dieses einzigartigen Kinder- und Jugendtheaters, das wie kaum ein anderes seit Jahrzehnten wichtige Themen und Zeitgeschehen für Kinder und Jugendliche und so auch für Erwachsene aufbereitet. Sein Stück "Linie 1" über die vielfältige Berliner Gesellschaft, die sich täglich auf der U-Bahnlinie 1 trifft, ist durch die Welt getourt.
Ludwig sagt weiter: "Als es bei Klaus Wowereit [von 2001 bis 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin; die Red.] hieß: ,Sparen bis es quietscht', unser Leitmotto bis heute, standen wir trotz Weltruhms mehrmals vor der Insolvenz. Aber auf die teuflische Idee, uns einfach Geld wegzunehmen, und zwar für sämtliche Neuproduktionen eines Jahres, wären auch die schlimmsten Feinde des GRIPS nicht gekommen."
„Wer jetzt die Kunst und Kultur finanziell beschneidet, riskiert den Zusammenhalt der Gesellschaft.“
Lisa Mangold, Leiterin des Bereichs Kunst und Kultur bei ver.di
Am 7. November protestierten hunderte Künstler*innen in Hannover gegen die dort geplanten Kürzungen in der Kultur. "Wer jetzt die Kunst und Kultur finanziell beschneidet, riskiert den Zusammenhalt der Gesellschaft", sagte Lisa Mangold, bei ver.di für die Kulturbranche und ihre Beschäftigten zuständig, auf der provisorischen Bühne. Wenn in der Kultur gekürzt werde, fuhr sie fort, würden Räume der Begegnung, der Stimmenvielfalt, der Kontroverse gestrichen. "Ohne Kunst fehlt unserer Gesellschaft der Antrieb, sich mit Widersprüchen auseinanderzusetzen und neue Denkanstöße zu finden."
ver.di ist auch die Gewerkschaft der Kulturschaffenden und fordert daher, statt die Kultur kaputtzusparen eine faire Kulturfinanzierung: Öffentliche Gelder müssen auch im Kulturbereich an Mindeststandards gebunden werden. Das bedeutet einerseits Tarifbindung etwa für fest engagierte Beschäftigte an den Bühnen, andererseits Basishonorare für freischaffende Künstler*innen. Und Kultur muss vor allem verlässlich finanziert werden, damit sie frei sein kann. Die Bundespolitik müsse deshalb Verantwortung übernehmen, auch um Kahlschläge in strukturschwachen Kommunen zu verhindern.
Unter der ver.di-Kampagne "Kultur finanzieren" organisieren sich gerade landauf, landab Künstlerinnen und Künstler, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und Schaffensräume zu kämpfen. Unter dem gemeinsamen ver.di-Dach vernetzen sie sich und erhöhen den Druck auf die Regierung und ihre Kommunen.
16.000 Euro brutto im Jahr
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um ihre künstlerische Existenz, Hungerkünstler*innen sind sie ohnehin schon häufig. So hat die Künstlersozialkasse, die staatliche Sozialversicherung, bei der rund die Hälfte der freischaffenden Künstler*innen kranken- und rentenversichert ist, unlängst errechnet: Nur etwas mehr als 16.000 Euro brutto haben freie Musiker*innen 2024 in Deutschland im Durchschnitt im Jahr verdient. Freie Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen und bildende Künstler*innen haben mit 20.000 Euro durchschnittlichem Jahreseinkommen nur wenig mehr gehabt. Zum Leben reichen solche Einkommen nicht, für finanzielle Rücklagen bei Krankheiten oder eine ausreichende Altersversorgung erst recht nicht.
Am 13. November 2024 versammelten sich in Berlin rund 2.000 Kulturschaffende und ihre Unterstützer*innen vor dem Brandenburger Tor. Mit prominenter Unterstützung der Schauspieler*innen Katharina Thalbach und Lars Eidinger. Es war ein Protest und Fest der Kunst zugleich und die Message unmissverständlich: Sie alle sind nicht gewillt, klein bei- oder gar aufzugeben. Sie sind Künstler*innen, sie können nicht weg.
Zur Kampagne: kultur-finanzieren.de/ gerechte-kulturfoerderung