Ausgabe 02/2025
Pionierarbeit bei TikTok

In Deutschland zeigt sich, dass Mitbestimmung auch in global agierenden Tech-Konzernen möglich ist – und an Bedeutung gewinnt. Bei TikTok Germany hat sich in den letzten Jahren viel verändert: Während das Unternehmen die Gründung eines Betriebsrats im Sommer 2022 noch zu verhindern versuchte, ist die betriebliche Interessenvertretung inzwischen fest etabliert.
Dass sich immer mehr Beschäftigte gewerkschaftlich organisieren, ist kein Zufall. Die Erfahrungen mit Stellenabbau, intransparenten Leistungsbewertungen und Arbeitsverdichtung haben das Bewusstsein für Mitbestimmung geschärft. "Das nimmt gerade richtig Fahrt auf", erklärt die für TikTok zuständige ver.di-Gewerkschaftssekretärin Kathlen Eggerling. Eine Gruppe engagierter Kolleg*innen habe sich zusammengefunden, um die gewerkschaftliche Organisation voranzutreiben. Schwarze Bretter werden aktualisiert, Aufrufe zur Organisierung verstärkt und Workshops durchgeführt. Unterstützt wird ver.di von Daniel Gutierrez, einem erfahrenen Organizer mit amerikanischen Wurzeln, von dem besonders die englischsprachigen Beschäftigten profitieren.
Besonders in Krisenzeiten zeigt sich die Bedeutung eines starken Betriebsrats. Während TikTok weltweit Stellen abgebaut hat, wurden die Umstrukturierungen in Berlin mit dem Betriebsrat abgestimmt. Ein Sozialplan wurde ausgehandelt, und Kündigungen liefen nach klaren Regeln ab. An Standorten ohne Betriebsrat hingegen wurde Personal ohne Mitbestimmung entlassen. Langfristig soll in Deutschland ein Netzwerk aus Betriebsräten entstehen – mit dem Ziel, einen Konzernbetriebsrat zu etablieren.
Doch ein Betriebsrat allein löst nicht alle Probleme. Diese Fehleinschätzung, so Daniel Gutierrez, sei typisch für junge Gewerkschaftsbewegungen. "Viele glaubten eine Betriebsratsgründung würde alle unsere Probleme lösen. Als schnelle Verbesserungen aber ausblieben, ließ auch die Motivation der Beschäftigten nach."
Ein Grund für das Nachlassen der Beteiligung sei laut Gutierrez das Service-Verständnis vieler Mitglieder: "Gewerkschaften werden oft als Serviceanbieter missverstanden. Doch es geht nicht nur darum, welche persönlichen Vorteile ich von einer Mitgliedschaft habe, sondern auch um Engagement. Deshalb setzen wir hier mit strukturiertem Organizing auf Eigeninitiative und gemeinschaftliches Handeln." Anstatt sich allein auf gewerkschaftliche Strukturen zu verlassen, werden Beschäftigte ermutigt, eigenständig Organizing-Kampagnen zu starten. Dabei übernehmen sie zentrale Aufgaben, die sonst Gewerkschaftssekretär*innen vorbehalten sind – etwa Schulungen oder die Mobilisierung von Kolleg*innen.
Lernen, mobilisieren, verändern
Die monatlichen Mitgliedertreffen ("Monthly Membership Meetings") bieten dafür praxisnahe Schulungen zu Eins-zu-eins-Gesprächen, Betriebsversammlungen und Kampagnenplanung. Teilnehmende lernen, ihre Kolleg*innen zu mobilisieren und Veränderungen im Betrieb anzustoßen – auf Englisch.
"Diese Treffen sind offen für alle – egal ob von TikTok, Spotify, HelloFresh oder N26. Dieses selbstorganisierte Vorgehen stärkt nicht nur ihre Position im Betrieb, sondern auch das Bewusstsein für kollektives Handeln und gegenseitige Unterstützung", so Gutierrez.
TikTok gehört zum chinesischen Mutterkonzern ByteDance und hat mehr als 10.000 Mitarbeitende weltweit. Allein in Berlin beschäftigt der Konzern über 400 Mitarbeiter*innen. Ein Dauerthema ist die Leistungsbewertung der Beschäftigten – sie ist entscheidend für Boni und Karriere und erfolgt halbjährlich in acht Stufen – basierend auf Leistung, Unternehmenswerte und gegebenenfalls Führungsqualitäten.
"Die Bewertungsverfahren sind oft intransparent. Da es keine Möglichkeit gibt, gegen eine als unfair empfundene Bewertung vorzugehen, fühlen sich viele Beschäftigte machtlos. Deswegen wollen wir mit dem Unternehmen darüber verhandeln", sagt Gutierrez.
"Nach einem langwierigen Prozess beginnen die Gespräche dazu nun endlich im März", erklärt ver.di-Betriebsratsmitglied Andreas Hänisch. Sich gemeinsam an einen Tisch setzen hat schon früher funktioniert.
Ein Beispiel für die erfolgreiche Arbeit des Betriebsrats war die Verhandlung eines Sozialplans. Sean Krusch, einer der ersten Mitglieder des Betriebsrats, berichtet: "Als uns im Februar 2024 eine Massenentlassung angekündigt wurde, nahmen wir sofort an einer Schulung bei ver.di b+b teil, um uns gut vorzubereiten. In einer Einigungsstelle verhandelten wir dann einen Interessenausgleich und erzielten ein deutlich besseres Angebot für die Mitarbeitenden am Berliner Standort."
Auch beim Thema Präsenzzeit konnten sie Erfolge erzielen. "Wir haben eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten abgeschlossen", so Hänisch. Nachdem eine Umfrage zeigte, dass die Mehrheit der Beschäftigten maximale Flexibilität wünschte, setzte das Gremium eine Lösung durch, die die Bürotage auf drei pro Woche beschränkt. "Zudem sorgten wir dafür, dass es keine Konsequenzen in der Leistungsbeurteilung aufgrund der Häufigkeit des Bürobesuchs gab und dass kein Badge-Tracking eingeführt wurde – ein großer Erfolg für die Belegschaft", so Krusch. Badge-Tracking erfasst per Zugangskarten die Anwesenheit und Bewegungen von Mitarbeitenden in Bürogebäuden.
Das ist erst der Anfang
Der Blick des Betriebsrats ist in die Zukunft gerichtet. Ziel ist es, die Mitgliederzahlen weiter zu erhöhen, größere Strukturen zu schaffen und sich langfristig für einen Tarifvertrag einzusetzen.
Die gewerkschaftliche Organisierung in der Tech-Branche steht noch am Anfang, doch der Fall TikTok zeigt: Selbst bei globalen Konzernen mit schwierigen Strukturen kann Mitbestimmung etabliert und durch kollektives Handeln gestärkt werden. Es braucht Zeit, Beharrlichkeit und Engagement – aber der Erfolg zeigt sich bereits.
"Echte Veränderung entsteht nur durch Organisation", sagt Gutierrez. "Ein Betriebsrat allein reicht nicht – entscheidend ist, dass sich die Beschäftigten aktiv einbringen und gemeinsam für bessere Bedingungen einsetzen."